Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper. Christian Springer
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СКАЧАТЬ er mit einem Auge bei der Kunst, mit dem anderen beim Publikum. Puccini forderte einen Gegenstand, der ein breites Publikum bezaubern konnte, „denn ich schreibe für Menschen jeglichen Schlages“. Die italienische Oper des 19. Jahrhunderts wendet sich an die Massen und möchte vom breiten Publikum verstanden werden. Bellini, Donizetti, Verdi und Puccini und ihre Zeitgenossen hätten ohne Zögern eine Äusserung Defoes unterschrieben: „Wenn ich nach dem vollkommenen Sprachstil gefragt würde, gäbe ich zur Antwort: der, in dem man sich fünfhundert gewöhnlichen Menschen unterschiedlicher Herkunft, Idioten und Verrückte ausgenommen, gleichermaßen verständlich machen kann.“ Sie würden genau so bereitwillig Baudelaire zugestimmt haben, der in beabsichtigter Übertreibung schrieb: „Jedes Buch, das sich nicht an die Mehrzahl der Menschen wendet und zugleich Ansprüche an die Auffassungsgabe seine Leser stellt, ist ein dummes Buch.“ Die Kehrseite dieses Bemühens um ein breites Verständnis und Popularität sind Züge von Naivität und Vulgarität, die ein nichtitalienisches Publikum oftmals befremden. Gewiss verletzen manche Eigenschaften der italienischen Oper das Empfinden der strengen Puristen, der Intellektuellen, der Ästheten, der Menschen mit schrecklich verfeinertem Geschmack; aber man müsste schon dreist sein, um zu behaupten, dass kraftvolle Leidenschaftlichkeit mit rein ästhetischem Genuss unvereinbar sei, denn sie kann in der Tat ein Zeichen gesunden und unverdorbenen künstlerischen Instinktes sein. Ich zitiere noch einmal Baudelaire: ‚Die intellektuellen Autokraten, diejenigen, die Lob und Tadel austeilen, die Monopolisten in Geistesdingen, haben euch erzählt, dass ihr kein Recht habt zu fühlen und zu genießen, sie sind Pharisäer.‘“[36]

      So weit der kluge Mosco Carner. Man könnte die „intellektuellen Autokraten“ und die „Monopolisten in Geistesdingen“ durch „Regietheater-Regisseure“ ersetzen. Die Schlussfolgerung wäre dieselbe.

      Hätten die Regietheater-Regisseure, die den Großteil des heutigen Publikums mit ihren idiotischen Einfällen quälen und verärgern, all das Obgesagte gewusst und verstanden, hätten sie allen Beteiligten viel Ärger erspart.

      Ein erstes, charakteristisches Symptom, die Natur zu vergewaltigen, hatte schon Herr Wagner – auch er in dieser Hinsicht ein Vorläufer der Regietheater-Ideologie – höchstselbst erkennen lassen. Die berühmeste Gesangspädagogin ihrer Zeit, Mathilde Marchesi[37], hat ein aufschlussreiches Gespräch mit Wagner über Stimmenbehandlung festgehalten:

      Richard Wagner besuchte uns in Wien, und ich hatte über Gesang und Gesangeskunst eine eingehende Unterredung mit ihm, konnte mich jedoch über diesen Punkt nicht mit ihm einigen. Wagner behauptete nämlich, dass jede Stimme vollständig dem Willen des Componisten untergeordnet sein, ich dagegen, dass jeder Componist den Grenzen der verschiedenen Stimmgattungen streng Rechnung tragen müsse, wodurch Vortrag, Aussprache und Declamation nur gewinnen könnten. Wagner ist seiner Meinung treu geblieben, seiner Musik sind leider auch schon viele Stimmen zum Opfer gefallen und viele tüchtige Sänger und Sängerinnen der Kunst dadurch entzogen worden.[38]

      Selbstverständlich hat Frau Marchesi recht. Wagners Haltung in Sachen Stimmen ist nur mit jener eines Komponisten vergleichbar, der sich weigert, bei seiner Ausbildung das Fach Instrumentenkunde zu belegen, und später nicht das komponiert, was die Instrumente leisten können, sondern das, was er der Meinung ist, dass sie leisten können müssen. Zu diesem Zwecke kann man neue Instrumente erfinden und bauen, bei Sängern ist das bekanntlich nicht möglich. Sein Vorgehen ist aufgrund der Missachtung der Realität also ebenso willkürlich wie jenes der Regietheater-Regisseure.

      Zwei Jahre vor der Wiener Aufführung des Tannhäuser am Hof-Operntheater (1859) brachte Johann Nestroy[39] am Wiener Carltheater die gleichnamige „Zukunftsposse mit vergangener Musik und gegenwärtigen Gruppierungen in drei Akten“ heraus. Wie dem Untertitel zu entnehmen ist, zielte der Spott Nestroys, der eine professionelle Sängerkarriere durchlaufen hatte, und seines Komponisten Karl Binder auf Wagners ohrenbetäubende Zukunftsmusik und auf seine stimmenverschleissenden Rollen. So verurteilt Landgraf Purzel Tannhäuser wegen seines Aufenthalts im Venusberg dazu, mit dem Wagnermusik schmetternden Männergesang-Verein fortzuziehen:

      Bei Zukunftsmusik geht wohl ohne Zweifel

      Der festeste Tenor gar bald zum Teufel.

      Drum sprech’ ich teils in Milde, teils im Grimme:

      Auf Wiedersehen, jedoch nur ohne Stimme!

      Und im dritten Akt berichtet der Protagonist in einer Parodie der Romerzählung, wie er zur Strafe den Tamino und den Max in Zukunftskompositionen singen musste:

      So ging’s und ging es fort, ich schrie im Übermaß,

      Ich sang drauf los, wußt’ selber oft nicht, was.

      Und trotzdem hab’ ich doch die Stimme nicht verloren.

      Doch ward mir endlich bang für meine Ohren.

      Posaunen, Bombardons, Trompeten und Tamtam,

      Das reißt das stärkste Trommelfell ja endlich z’samm.

      Ganz ernsthaft, jedoch im Kern seiner Aussage durchaus ähnlich wie Nestroy, äusserte sich Ignaz Moscheles[40] über den Tannhäuser:

      Man versucht hier Wagners Musik einheimisch zu machen, und der „Tannhäuser“ hält sich schon mehrere Monate auf dem Repertoir, ob aber irgend eine andere Nation als die deutsche die Geduld und Beharrlichkeit haben wird, solche Musik zu singen und anzuhören, steht zu fragen.[41]

      Was mit all dem deutlich gemacht werden soll, ist die unselige Art der „Nordländer“, nicht nur die Gesetze der Opernbühne nach eigenem Gutdünken neu erfinden zu wollen, sondern auch die Singstimmen, deren Grenzen von der Physiologie des menschlichen Organismus vorgegeben sind, ohne Rücksicht auf Verluste nach dem Willen von Komponisten zu verbiegen, ganz so, wie Regietheater-Regisseure die italienische Opernliteratur nach eigenem Wohlgefallen umformen wollen.

      So wie Hanslick mit seinen Kritiken und sonstigen Texten an Verdi und dem großen Themenkreis der italienischen Oper und Kultur kläglich gescheitert ist, ohne es zu bemerken, und so wie Wagner in höchst ungesunder Weise für Stimmen geschrieben hat, um sein Ego nicht reduzieren zu müssen, so tun die Regietheater-Regisseure Tag für Tag dasselbe, ohne im entferntesten zu begreifen, dass die Gesetze der italienischen Oper ebensowenig wie die das Gesetz der Schwerkraft aufgehoben werden können, ohne dieser Kunstform Schaden zuzufügen.

      ERSTE SPIELLEITER

      Interpretationskritik ist bei Hanslick nur nebenbei zu finden, Werkkritik dominierte bei ihm wie bei seinen Kollegen. Gelegentlich brachte er die Rede auf eine Inszenierung, wenn beispielsweise Kulissen, Versatzstücke oder Kostüme aus anderen Opern verwendet wurden[42] und nicht zum aufgeführten Stück passten. Weder die Arbeit der Spielleiter noch deren Namen wurden in Kritiken erwähnt, denn die Inszenierungen richteten sich – nach Maßgabe der finanziellen Möglichkeiten der jeweiligen Opernhäuser – ausnahmslos nach den Vorgaben der Autoren und wurden als invariabler Teil des Werks wahrgenommen. Im Falle Verdis sind diese äusserst präzise, da bei ihm die visuelle Komponente bei der Komposition eine wesentliche Rolle spielte. Inszenierungsexzesse wie jene des heutigen Regietheaters gab es zu Hanslicks Zeit nicht einmal ansatzweise. Die Spielleiter setzten die Werke entsprechend den Vorstellungen und Wünschen der – oft noch lebenden und aktiven – Autoren szenisch um und verschlimmbesserten sie nicht mit unerwünschten, selbsterfundenen Zutaten. Francesco Maria Piave beispielsweise, ein erfahrener Librettist, der neben Verdi, für den er zehn Libretti[43] verfasste, mit vielen anderen Komponisten[44] erfolgreich zusammengearbeitet hatte, berufsbedingt ein genauer Kenner der Operndramaturgie und der Mechanismen der Opernbühne war und als Spielleiter zuerst in Venedig am Teatro La Fenice und danach in Mailand am Teatro alla Scala arbeitete, hat im Laufe seiner Tätigkeit kein einziges Mal СКАЧАТЬ