Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper. Christian Springer
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СКАЧАТЬ neuen Stücken und, daraus folgend, die Ermüdungserscheinungen, die die ständigen Wiederholungen der ewig gleichen Werke[51] in unserer Epoche der künstlerischen Mittelmäßigkeit hervorrufen. Die Wiederholung einer beschränkten Anzahl von Werken wiederum ist auf das Repertoiresystem zurückzuführen, das damit den Wünschen des Publikums entgegenkommt. Es kommt diesen Wiederholungen im Laufe der Zeit aber wohl oder übel jegliche Frische und Originalität abhanden. Wie also den abgespielten Stücken des Standardrepertoires nur einen Teil ihrer früheren, von der Substanz herrührenden Originalität wiedergeben? Dem breiten Publikum unbekannte Werke, so großartig sie auch sein mögen, auszugraben und aufzuführen ist zwar verdienstvoll, kann aber riskant und teuer sein. Also lieber beim Altbekannten und Beliebten bleiben und es so aufbereiten, dass wieder darüber gesprochen wird. Man diskutiert natürlich nicht mehr darüber, wie skandalös es ist, eine Nobelprostituierte oder einen Buckligen als Protagonisten eines Stücks auf der Bühne zu sehen, sondern darüber, was ein Regisseur aus diesen liebgewonnenen Bekannten, die schon fast zur Familie gehören, gemacht hat. Wo und wann wird das Stück spielen? Werden die Hauptfiguren zu erkennen sein? Werden neue Figuren oder Doppelgänger eingeführt? Wird es nackte Darsteller geben, die miteinander kopulieren oder sich in einem Cocktail aus Blut und Exkrementen wälzen? Diese Erwartungshaltung treibt den öffentlichen Blutdruck in die Höhe (wenn auch nur geringfügig, denn die Sex- und sonstigen Skandale öffentlicher Persönlichkeiten, die jeglichen Realitätsbezug verloren haben, übertreffen alles, was selbst ein krankes Regisseurhirn aushecken könnte). Das gewünschte Ziel ist erreicht, denn man spricht und schreibt über diese Events, die immer weniger mit Kunst und den ursprünglichen Werken zu tun haben. Musikalische und sängerische Kompetenz sind dabei sekundär.

      Als dritter Grund kommen als Erklärung für das Phänomen Regietheater und seine Täter die Spätfolgen der sogenannten „anti-autoritären“ Erziehung in Frage, bei welcher die „1968er“ die notwendige Erziehung von Kindern mit Laissez-faire verwechselten und unwidersprochen jeden Unsinn tolerierten, der einem Kindergehirn entspringen mochte. Der Begriff „anti-autoritär“ wurde dabei als Kampfparole gegen die bürgerlichen „autoritären“ Erziehungsmethoden eingesetzt, war also wie beim Regietheater ein ideologischer Ansatz. Die Folgen dieser Nichterziehung konnten nicht ausbleiben und wirkten bis in die folgenden Generationen nach. Wie anhand mehrerer Beispiele zu sehen sein wird, besteht kein Unterschied zwischen dem Tun eines nach diesem Erziehungsstil anti-autoritär, d.h. überhaupt nicht erzogenen, weil sich selbst überlassenen Kindes, und dem Treiben von Regietheater-Regisseuren, die bei ihren Opernregien sachlich unbegründbaren infantilen Unsinn und Trotzreaktionen gegen Autoritäten in der Person der Autoren ausleben, keine von den Autoren oder nur vom Hausverstand festgelegten Vorgaben und Grenzen akzeptieren und keine Verantwortung gegenüber dem zu inszenierenden Werk, dessen Schöpfern und dem Publikum zu übernehmen imstande sind. Dass solchen Regisseuren jeglicher Respekt vor den Arbeiten anderer abhanden gekommen ist, ist nur folgerichtig. Das sonderbare Verhalten vieler dieser Regisseure gegenüber ablehnenden Publikumsreaktionen, die sie geradezu zu suchen scheinen, erhärtet diesen Verdacht und ähnelt in verblüffender Weise dem Verhalten von Kindern, die ihre Grenzen gegenüber Erwachsenen ausloten. Zum Unterschied von diesen haben sie gelernt, die Ablehnungen, Zurückweisungen und Schmähungen, die ihnen zuteil werden, mit einem Lächeln und Verbeugungen zu quittieren und in vielen Fällen geradezu zu genießen, oder dies provokativ, jedoch angestrengt vorzutäuschen.

      Last, but not least, ist es der üble Einfluss des Feuilletons, das im Kielwasser der Arbeiten erziehungsauffälliger Spielleiter seinen Neophiliewahn besinnungslos und ohne Rücksicht auf die Folgen auslebt und somit in hohem Grade mitverantwortlich ist für die beklagenswerten Zustände, von denen die Rede sein wird.

      Der als Sänger seit längerem immer wieder mit Problemen kämpfende Tenor Rolando Villazón hat sich tentativ als Regisseur betätigt und im Jänner 2011 in Lyon Massenets Werther inszeniert. Er besitzt zwar keine Ausbildung als Regisseur, hat aber der gleicherweise unqualifizierten Kollegenschaft etwas voraus: Er kennt wenigstens eine Partie der Oper in- und auswendig, nämlich die des Protagonisten. Das ist schon viel mehr als man von heutigen Regisseuren erwarten darf. Ein renommierter britischer Rezensent hat das als Anlass für eine allgemeine Betrachtung dieses Berufs genommen: „Among his many other non-singing pursuits, Rolando Villazón has become the latest active singer to try his hand at opera directing, which must be one of the only professions in the world these days for which no qualification other than a recognizable name is required.“[52]

      Dass der hyperaktive Tenor, Regisseur, Clown, Karikaturist, Schriftsteller usw. mit seinen Regiearbeiten übel danebengreifen kann, zeigte sich an der Wiener Volksoper, wo er 2015 Donizettis Opera buffa Viva la mamma (Originaltitel: Le convenienze e le inconvenienze teatrali) in Szene setzen durfte. Die Reaktionen darauf waren harsch: „die Wrackteile [der Inszenierung] versinken im Marianengraben der Geschmacklosigkeit“, „wer diesen zweiten Akt gesehen hat, wird die Bilder nie mehr aus seinem Gedächtnis bannen können, denn er hat das absolute Grauen geschaut. Und er weiß nun: Die höchste Form allen Grauens ist bunt“ sowie zusammenfassend: „Das ist keine Opernproduktion, sondern ein Verbrechen.“[53]

      Dass der auch als Clown aktive Herr Villazón einen starken Hang zum Zirkus und seiner grellen Buntheit besitzt, zeigt seine in einer Zirkusmanege angesiedelte Inszenierung von La traviata in Baden-Baden, wo der Intendanz offenbar ein bekannter Name genügt, um jeden beliebigen Unsinn auf die Bühne zu bringen. Zwar gibt die Pressestelle des Festspielhauses bekannt, dass der Regisseur das „Geschehen aus den Pariser Salons des frühen 19. Jahrhunderts in eine zeitlose [?] Manegen-Landschaft [?] verlegt“, bleibt aber eine Begründung dafür schuldig. (Einen gleicherweise sinnlos in einer Zirkusmanege spielenden Rigoletto hatte man bereits 2013 in Aix-en-Provence gesehen.) Der Höhepunkt der Traviata bestand in einem Auftritt von Vater Germont als steinerner Gast (eine recht primitive Metapher), jener des Rigoletto in einer Selbstentblößung des Duca di Mantova, der splitterfasernackt eine Leiter erklimmt, um mit Gilda zur Tat zu schreiten.

      Der Bariton Leo Nucci, der es wegen der Praktiken des Regietheaters[54] seit langem ablehnt, in Regietheater-Inszenierungen deutscher Opernbühnen aufzutreten, hat öffentlich berichtet, dass ihn in der Vergangenheit in mehreren Fällen deutsche Regisseure am ersten Probentag einer neuen Produktion verstohlen um Hilfe bei der Regie gebeten haben, mit der Begründung, dass er das jeweilige Werk doch viel besser als sie kenne und sie selbst weder damit im Detail vertraut wären noch es je auf einer Bühne gesehen hätten. Kein Filmregisseur würde es wagen, ähnlich unvorbereitet zum ersten Drehtag zu erscheinen. Täte er es dennoch, würde er vor Ende des ersten Arbeitstages bereits wieder entlassen. Nicholas Ofczarek bestätigt das: „Immer mehr Regisseure kommen unvorbereitet zu den Proben, das kann man sich beim Film nicht leisten.“[55]

      Da ist man bei den Regisseuren[56] angelangt, die weder ihren Beruf ernst nehmen noch ihr Handwerk beherrschen und dies in der Folge durch pseudointellektuelles Geschwätz[57] zu tarnen versuchen. Sie müssen, um ihre Arbeit in Angriff nehmen zu können, zu einem zu inszenierenden Bühnenwerk – durch und durch unprofessionell – „eine Beziehung haben“.[58] Meistens haben derlei impertinente Ignoranten – so nannte der Dirigent Sergiu Celibidache Menschen mit dem Berufsethos der Beziehungs-Regisseure – aber keine Beziehung zu Opern, was nichts anderes bedeutet, als dass sie das jeweilige Werk (oder sogar generell die Oper als Kunstform) nicht kennen und nicht mögen sowie nicht wissen, wie sie beim Regieführen vorgehen sollen. Sie inszenieren aus einem Reclam-Heftchen oder einem CD-Booklet mit einer Librettoübersetzung, weil sie die gesungene Sprache nicht verstehen, und erkennen nicht, wo und weshalb die Übersetzung, die sie vor Augen haben, mitunter weit vom Ausgangstext und somit von ihrer Inszenierung abrückt.

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