Humbug & Mumpitz – 'Regietheater' in der Oper. Christian Springer
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СКАЧАТЬ lag weder an der fehlenden Phantasie der damaligen Spielleiter noch daran, dass die damals lebenden Autoren Änderungen oder Hinzufügungen bei ihren Werken keinesfalls toleriert hätten, sondern an zwei weiteren Umständen: Erstens, dass zeitgenössische Autoren und Publikum vergleichbar gebildet und sozialisiert waren und daher das allgemeine Verständnis des Autorenwillens vorausgesetzt werden konnte; zweitens, dass eine Hilfskraft wie ein Spielleiter gar nicht auf die Idee verfallen wäre, ein von den Autoren als fertig erachtetes Stück eigenmächtig zu verändern.

      Die von Theaterleuten kolportierte Entstehungsgeschichte des Berufes des Spielleiters erklärt dessen Wesen: Als einmal ein paar Schauspieler auf einer Bühne standen und über eine Szene eines Stücks diskutierten, baten sie einen von ihnen, in den Zuschauerraum hinunterzugehen und zu schauen, ob sie in der Mitte der Bühne ständen. Daraus ergab sich in weiterer Folge der Aufgabenkreis des Spielleiters: die Disposition der Figuren, die Verkehrsregelung von Solisten und Massen sowie die verständliche, allenfalls verdeutlichende szenische Darstellung des Inhalts einer Oper. Der Zuschauer sollte – damals wie heute –, wenn er ein ihm unbekanntes Werk zum ersten Mal auf der Bühne sieht und die gesungene Sprache nicht versteht, aufgrund der vom Autor vorgeschriebenen szenischen Darstellung, d.h. der die Musik und den gesungenen Text ergänzenden visuellen Eindrücke, möglichst der Handlung folgen können. Das ist werkabhängig, denn ein solcher Zuschauer wird Opern wie Carmen oder Otello leichter folgen können als Werken wie Die Frau ohne Schatten oder Parsifal. Wesentlich ist, dass dem Zuschauer die von den Autoren geschaffenen Inhalte vermittelt und plausibel gemacht werden. Das geschieht beim Regietheater deutscher Prägung zumeist nicht.

      DER ERSTE BEDEUTENDE REGISSEUR: EIN BÜHNENAUTOR

      Zu der Zeit, als William Shakespeare in London als Schauspieler auftrat, gab es den Beruf des Regisseurs nicht einmal als Denkmodell. Die Mitglieder des bewährten und erfolgreichen Schauspielerkollektivs, das unter verschiedenen Namen wie Lord Strange’s Men, ab 1594 als Lord Chamberlain’s Men und später als King’s Men mit Shakespeare als Schauspieler und Autor in Erscheinung trat, agierten in Eigenverantwortung (ein Begriff, der bis heute inhaltlich immer mehr an Bedeutung verloren hat, nicht nur im Theater und in der Oper, sondern im täglichen Leben und im kollektiven Bewusstsein, wenn nämlich vieles an den Staat oder sonstige Institutionen delegiert wird, weil der einzelne sich nicht damit befassen will).

      Der Beruf des Regisseurs in der seriösen Form, die wir heute bei manchen Vertretern des Berufs noch gelegentlich erkennen, entstand allmählich ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch schon lange davor hatte es im Musiktheater Einzelerscheinungen gegeben, die de facto als aufführungs- und werkgestaltende Regisseure auftraten, jedoch kaum als solche wahrgenommen und mit keiner Berufsbezeichnung ausgestattet wurden.

      Einer von ihnen, höchstwahrscheinlich der wirkungsmächtigste, war Pietro Antonio Domenico Bonaventura Trapassi (Rom 1698 – Wien 1782), der unter dem Namen Pietro Metastasio[45] in die Musikgeschichte eingegangen ist. Er war nicht nur Dichter und Librettist, sondern auch ausgebildeter Komponist, der neben seinem schriftstellerischen und musikalischen Talent über alle Kenntnisse und Eigenschaften gebot, die ihn dazu befähigten, mit tiefem dramaturgischem Verständnis in mehrfacher Hinsicht gestaltend für die Opernbühne zu arbeiten.

      Er verfasste im Laufe seiner langen Karriere – zwischen 1723 und 1771 – siebenundzwanzig Libretti für Opere serie, die im Laufe der Jahrzehnte mangels Urheberrechtsschutz von mehr als 300 Komponisten vertont wurden und als Grundlage für insgesamt über 800 Opern dienten. Dazu kamen zahlreiche Texte für Serenate, Cantate, Canzonette und Oratorien.

      Den Anstoß zur nicht nur rein dichterischen, sondern dramaturgischen und bühnenpraktischen Auseinandersetzung mit den Problemen des Musiktheaters hatte er von einer Sängerin erhalten. Schon früh in seiner Karriere war er mit Marianna Bulgarelli (Rom 1684-1734) in Kontakt gekommen, einer Sopranistin, die herkunftsbedingt „La Romanina“ genannt wurde, die „kleine Römerin“. Sie war um vierzehn Jahre älter als Metastasio und für ihre ausserordentliche Ausdrucks- und Darstellungskraft bekannt, jene Eigenschaften, für welche sie Metastasio am meisten bewunderte. Sie hatte 1703 debutiert und war bei ihrer Tätigkeit an den Opernhäusern von Genua, Neapel und Venedig äusserst erfolgreich. Sie hatte Werke der bedeutendsten Komponisten ihrer Zeit im Repertoire, so von Tomaso Albinoni, Antonio Maria Bononcini, Francesco Gasparini, Johann Adolph Hasse, Carlo Francesco Pollarolo, Nicola Porpora, Domenico Sarro, Alessandro Scarlatti oder Leonardo Vinci. Als sie die Cantata Gli orti esperidi von Nicola Porpora auf einen Text von Metastasio sang, war sie von dessen Dichtung so beeindruckt, dass sie den anonymen Autor ausfindig machen ließ. Sie überzeugte hierauf den begabten Dichter, die Juristerei, der er als Brotberuf in einer neapolitanischen Rechtsanwaltskanzlei nachging, aufzugeben und sich ganz dem Verfassen von Operntexten zu widmen und nahm ihn künstlerisch unter ihre Fittiche. Er zog hierauf in das Haus der Sängerin und ihres Mannes ein und lernte dort die bedeutendsten Komponisten seiner Zeit kennen: Neben Nicola Porpora, der ihn in Komposition unterrichtete, Francesco Durante, Johann Adolph Hasse, Leonardo Leo, Bendetto Marcello, Giovanni Battista Pergolesi, Alessandro Scarlatti und Leonardo Vinci. Viele von ihnen sollten später Texte von Metastasio vertonen. Im Hause Bulgarelli lernte Metastasio auch den Kastraten Carlo Broschi, genannt Farinelli, kennen, dessen Gesangskunst und Stil er bewunderte. Zwischen dem Sänger und Metastasio sollte es später mehrfach zur Zusammenarbeit kommen, aus der man wechselseitig profitierte.

      Als Metastasio als Nachfolger von Apostolo Zeno Hofdichter am Wiener Kaiserhof geworden war, wollte Marianna Bulgarelli ihn 1734 hier besuchen, verstarb aber auf der Reise. Sie hatte den Dichter als ihren Alleinerben eingesetzt.

      Was ist konkret über Metastasios Wirken als Regisseur bekannt?

      Einige Hinweise darauf sind den szenischen Anweisungen in seinen Libretti zu entnehmen, mehr jedoch erfahren wir aus seiner Korrespondenz. Die Anweisungen in den Libretti variieren in Umfang und Aussagekraft beträchtlich und hängen davon ab, ob Metastasio eine Produktion selbst überwachte oder leitete. In solchen Fällen sind die Hinweise im Text aus verständlichen Gründen spärlich. Während das Textbuch zu Leonardo Vincis Oper Catone in Utica, die 1728 unter Metastasios szenischer Leitung in Rom gegeben wurde, wegen des direkten Kontaktes mit den Sängern und Musikern kaum szenische Anweisungen aufweist, ist sein Libretto zu Nicola Confortos Oper Nitteti, die 1756 auf Farinellis Wunsch vom spanischen Hof in Auftrag gegeben wurde, von detaillierten Anweisungen geradezu übersät. Diese beziehen sich nicht nur auf das szenische Geschehen, sondern beinhalten auch Hinweise auf den musikalischen und sängerischen Ausdruck. Da Metastasio nicht selbst an Ort und Stelle in die Inszenierung eingreifen konnte, musste er sich auf Farinelli, der ein nur mittelmäßiger Schauspieler war, und das diesbezügliche Wissen, das er ihm vermittelt hatte, verlassen. Zwei Jahre zuvor hatte er Farinelli, der in Francesco Corsellis Oper Alessandro nell’Indie in Madrid auftrat, zwecks Veranschaulichung der Situationen auf der Bühne Szenenbilder von der Hand des in Wien tätigen Bühnenbildners Giovanni Maria Quaglio gesendet. Dem dichtenden Regisseur bzw. regieführenden Dichter Metastasio lag daran, seinen Interpreten dramatische Aktionen immer klar und im Detail vor Augen zu führen.

      Aus diesem Grund arbeitete er bei der Vertonung seiner Texte eng mit Komponisten zusammen, wie das Beispiel von Johann Adolph Hasse zeigt. Im Sommer 1749 schrieb er anlässlich der bevorstehenden Premiere von Attilio Regolo in Dresden dem Komponisten, mit dem er schon oft zusammengearbeitet hatte, einen ausführlichen Brief, in welchem er nicht nur detaillierte Charakterstudien jeder einzelnen Figur lieferte, sondern auch angab, an welchen Stellen die Accompagnato-Rezitative am vorteilhaftesten anzuordnen waren. Aus diesem Brief ist zu entnehmen, was einen großen Bühnendichter und Regisseur damals wie heute ausmacht: Tiefe Einsichten in das Werk und ein ausgeprägtes Gefühl für dramatische Wirkungen, präzise Bühnenanweisungen, Gesang und Schauspiel sowie das Zusammenwirken dieser Faktoren mit der Musik.

      DAS DEUTSCHE ‚REGIETHEATER‘

      Unter dem negativ besetzten СКАЧАТЬ