Zulassung zur Abschaffung - Die heillose Kultur - Band 2. Dr. Phil. Monika Eichenauer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zulassung zur Abschaffung - Die heillose Kultur - Band 2 - Dr. Phil. Monika Eichenauer страница 26

СКАЧАТЬ und/oder setzen ihre Existenz aufs Spiel!

      Das sollte jedem Bürger zu denken geben: Wenn Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten die Berufsidentität und finanzielle Sicherheit politisch entzogen werden kann, wer sagt dann, was und wer wen heilt? Wenn die Behandler nicht entsprechend ihrer gesellschaftlich wichtigen Funktion und ihrer Berufsidentität primär heilend tätig werden – und das will die Mehrheit der Behandler – und sie der ökonomisch ausgerichteten Gesundheitspolitik Grenzen setzen, dann erscheint alles möglich.

      Der Mensch an sich ist nicht veränderbar. Er besitzt eine Grundausstattung an Bedürfnissen und Gefühlen, die (zu) ihm gehören. Die Anpassungsfähigkeit an Unmöglichkeiten im Gegensatz zu Freuds Unbehagen in der Kultur ist daher begrenzt. Krankheiten sind das Opfer, das man an Leib und Seele bringt, und sie zeigen gleichzeitig Grenzen auf. Nun lassen sich Grenzen mit Medikamenten, Doping und der Inkaufnahme weiterer oder anderer Symptome noch ein wenig ausdehnen. Gesund werden kann man so aber kaum. Die auf Heilung bedachte innere Stimme des Behandlers muss niedergetrampelt, zum Schweigen gebracht werden, weil sie nicht zu den ökonomischen Leitlinien passt. Behandler sind kulturpolitisch nicht mehr mit Ansehen und Einfluss ausgestattet.

      Kurz: Sie haben nichts mehr zu sagen, nur noch zu funktionieren. Können demokratisch gewählte Volksvertreter dieses Lehrstück des Abbaus von Berufsidentität tatsächlich so durchexerzieren? Den Grund, Boden und Standort von Behandlung und Behandler einfach wegstrukturieren, bürokratisieren und die Patienten gleich mit? Die Behandlung rückt von den Behandlern weg. Stattdessen geben andere Berufsgruppen vor, wie viele Patienten in welchem Zeitraum und vor allen Dingen wie zu behandeln sind. Was als „Krankheit“ anerkannt wird, ist festgelegt, und wem was verschrieben werden darf, kann aus Listen abgelesen werden. Der Behandler selbst wird zur Schablone, die, unter der Voraussetzung vollständiger Akzeptanz, Änderungen von Behandlungsinhalten nach Gutdünken, sprich, ärztlicher Erfahrung, nicht vorsieht. Nur was in den Leitlinien und Verordnungen als „wissenschaftlich anerkannt“ gilt, ist abrechnungsfähig: Heilungswissen, jahrelang erworbene Intuition, Können und Fachwissen haben in den Hintergrund zu treten, werden ersetzt durch „wissenschaftlich anerkannte Module“ und generelle Durchführungsbestimmungen.

      Mediziner oder Psychologische Psychotherapeuten müssen sich nur noch fragen, ob sie diese Berufshandschuhe überziehen wie einen Handschuh oder ein Kleid und bereit sind, sich mit ihnen zu identifizieren. Seele, Gefühle, eigene Vorstellungen vom Menschen und Behandler sind getilgt, sobald der ökonomisierte Einheitsanzug passt.

      Die Kluft – im doppelten Wortsinne – symbolisiert vollständigen Verzicht auf Heiler und Heilung. Die Widersinnigkeit liegt auf der Hand: Konkurrenz schließt Gemeinsamkeit aus. Es ist ein gesetzlich gesteuerter Konkurrenzkampf, genannt Wettbewerb. Wie beim Sackhüpfen ist der Platz eng und verbaut, Füße und Hände sind ihrer normalen Beweglichkeit entledigt, eingeschränkt. Keiner kommt richtig voran. Es sei denn, er bestellt sich eine Sänfte aus wissenschaftlichen Kooperationen und fusioniert mit Pharmazie oder Kapitalgebern von Oben, die ein Geschäft mit ihm wittern und ihn für ihre Kapitalinteressen einspannen wollen. Letztlich hat er den Titel, der durch Fremde, durch die Wirtschaft, die von Mensch, Behandler und Heilbehandlung keine Ahnung haben, vermarktet werden kann.

      Was ist noch um die Ecke?

      Generell gibt es kaum Platz zum Leben, weil Wohnraum immer teurer wird. Die Nähe zu anderen Menschen rückt insofern innerlich in weite Ferne: Denn, um Menschen nahe zu sein, brauchen Menschen einen äußeren Raum, in dem sie sich frei bewegen können – wenn sie den nicht haben, müssen sie sich innerlich zurückziehen. Ebenso ergeht es nicht wenigen Menschen beim Gang durch die Stadt: sie fühlen sich erdrückt ob der vielen Menschen. Äußerlich sind Resultate der strukturellen Dezentralisierung, der Auflösung dörflicher Strukturen, um noch einmal das Bild aufzugreifen, schon lange etabliert: Kindergärten, Schulen, Universitäten und soziale Einrichtungen werden zunehmend vom normalen Leben abgekoppelt. Tante-Emma-Läden? Der Bäcker mit eigener Backstube nebenan? Raritäten. Stattdessen Franchiseketten und Megastores. Auf dem Campus lässt sich ganz anders rechnen und mit Gewinnen kalkulieren. Selbst Postämter und Banken machen sich rar. Und wer denkt an die alten und kranken Menschen? Nichts ist mehr um die Ecke! Folgerichtig plant man nun auch die Auflösung des Arztes in der Nachbarschaft. Was tun, wenn ein Kind oder ein alter Mensch stürzt? Das ist schnell beantwortet: Sich fünf Stunden in die Ambulanz setzen – und geduldig warten, bis ein völlig übermüdeter Arzt einen Augenblick Zeit findet. Eine Anekdote aus dem Leben der Autorin: Schmerzendes, geschwollenes Zahnfleisch, aber der Zahnarzt hatte Angst, den kleinen Schnitt selbst zu setzen. Was er befürchtete, teilte er nicht mit, sondern ordnete an, da die Kieferorthopäden schon Feierabend hatten, ich solle in die Ambulanz einer Klinik fahren. Dort angekommen, erfuhr ich, wie lange ich da vor mich hindarren sollte, und entschloss mich nach einer halben Stunde des Wartens zur Selbstbehandlung. Neben mir saß eine Bekannte, die seit vier Stunden wartete und es sich bereits in der sterilen Atmosphäre des Ambulanzwartezimmers gemütlich gemacht hatte. Und was tun, wenn – auch das ein Beispiel aus dem Leben – ein Familienangehöriger einer Patientin angesichts des plötzlichen Todes des Vaters plötzlich „nicht mehr normal“ reagiert und dringend stationäre Behandlung braucht? Der Gedanke, man könne mal eben in einer Klinik ein Gespräch für eine stationäre Aufnahme führen oder zumindest eine Diagnose erfahren, wurde im Umkreis von 300 Kilometern schnell zurechtgestutzt und auf den aktuellen Stand der Reformen gebracht: Kein Termin frei. Es gäbe viele andere Beispiele anzuführen, doch die Schuld an den Missständen wird grundsätzlich den Behandlern zugeschoben, denn sie haben die von der Politik verursachten Engpässe persönlich zu meistern und auszubalancieren.

      Wie solche kulturellen Umstände und Umwälzungen keine Gefühle hervorbringen sollen, ist mir schleierhaft – ob nun bei Behandler oder Patient. Ich bin sicher: Gefühle wie Angst, Enttäuschung und Zorn sind da. Aber über Gefühle wird eben nicht gesprochen, weil jeder Einzelne allein damit fertig zu werden hat. Der Gewinn durch Unterbesetzung an Kassen in Warenhäusern und Einkaufsketten, lange Wartezeiten im Gesundheitswesen, fehlenden personellen Service bei Versicherungen und Banken geht zu Lasten von Kunden und Patienten, die ihre Gefühle, dass aus ihrer Zeit Profit geschlagen wird, in ihrem Leib zu Lasten ihrer Gesundheit verarbeiten müssen. Und deshalb wird Acht gegeben, dass vor allem die Berufsfachgruppe der Psychotherapeuten zahlenmäßig und hinsichtlich ihres politischen Handlungsspielraumes klein gehalten wird. Viele Jahre funktionierte das ja sehr gut. Aber jetzt nicht mehr: In Deutschland ist zu viel des Guten, besser des Schlechten, durchregiert worden. Zu viele Menschen brauchen ganz offensichtlich dringend psychische Unterstützung. Und wer, wenn nicht die Psychologischen und medizinischen Psychotherapeuten, weiß genauer, was an der menschlichen „Basis“ vor sich geht? Wer kennt denn das Leben von Patienten bis ins intimste Detail sowie die Konfliktwelt und die Symptome? Die Perspektive des Psychotherapeuten offenbart die Verbindungen zwischen wirtschaftlicher Basis, politischen Veränderungen und individuellem Leben. Das dafür notwendige tiefe Vertrauen seitens der Patienten bringen diese den übrigen Ärzten nicht im erforderlichen Maße entgegen, wie sich an der ersten quartalsmäßig einzureichenden Berichtspflicht der Psychotherapeutenschaft gegenüber Ärzten zeigt: Die Patienten wollen nicht, dass Ärzte oder vor allen Dingen Hausärzte vierteljährlich einen Bericht über ihre Psychotherapie bekommen! Warum sollten sie auch? Die Ärzte sprechen doch auch sonst nicht mit ihren Patienten. Verwunderlich bis ärgerlich ist auch die Vermessenheit der Ärzteschaft gegenüber dem Fachbereich Psychotherapie. Glaubt sie doch tatsächlich, beurteilen zu können, was einem Patienten fehle, und in der Lage zu sein, entlang ihres (fast) blanken Nichtwissens Konsiliarberichte auszufüllen, die im Rahmen des Psychotherapieantrags bei den Krankenkassen eingereicht werden müssen. Schikane? Hybris? Oberflächlich politisch verbrämte, den ausgemergelten „Gott in Weiß“ herbeirufende und mittels standesärztlich deklarierter Plausibilität stets erfolgreiche Machtpolitik, die sich immer in barer Münze auszahlt(e)? Die Quittung wird nun unter anderem durch eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung präsentiert: „Burnout, Depressionen oder Ängste: psychische Probleme bleiben bei Hausärzten einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung zufolge oft unentdeckt. Das liege einerseits СКАЧАТЬ