Название: Der Plethora-Effekt
Автор: Jon Pan
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847661313
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Ein kreisender Sog riss mich in eine Unwirklichkeit ohne Bedrohung hinein. Die Nacht, die uns umgab, das Zirpen der Grillen, das Mondlicht, ab und zu die Berührung eines frischen Windes auf meiner Haut, Martinas warmer Körper, der sich weich an den meinen schmiegte, durch all das streifte ich meinen bisherigen Zustand wie eine ausgeleierte, teils brüchig gewordene Hülle ab. Paradoxerweise löste ich mich auf und wurde gleichzeitig immer mehr eine Einheit. Unsere Körper wälzten sich auf der Erde, dicht an der Grenze, von wo aus wir in die zuckende Dimension des Protoplasmas abzusacken drohten. Und irgendetwas oberhalb von uns, eine schwebende Substanz, die ein unbekanntes Organ ausatmete, klammerte sich an uns fest, verschmelzend. Vielleicht schrieen wir, ohne dass es jemand hörte. Mit halboffenem Mund nach Luft schnappend, von schwachem Licht umhüllt und von Sternen beblinzelt, schoss der Gedanke in mich hinein, unsere Leiber würden demnächst in einer mächtigen Detonation zerspringen – dann bliebe hier auf der Erde nichts von uns übrig als ein zitronengelbes Kleid im grünen Gras in der Einsamkeit einer unbewohnten Landschaft.
Die Zeit verdichtete sich auf einen Punkt. Alles stand still. Wie lange wir uns schon liebten, wusste ich nicht. Eine weite Strecke lag noch vor uns. Auch sie würden wir mit dem Gefühl von Ewigkeit in einer zusammen gepressten Sekunde durchrasen. Wie leidenschaftlich Martina war!
Im Taumel zwischen Wahn und Bewusstsein, vernahm ich ein Geräusch. Hinter mir knackte es. Martinas Hände schürten weiter meine Erregung. Ich suchte ihren Lippen, verlor mich erneut in ihrem Bann. Aber es gab kein totales Vergessen mehr. Ich fühlte mich plötzlich beobachtet.
Wie ein Blitz flog es über meinen Rücken, eine Attacke mit der Schnelligkeit eines unerwarteten Überfalls. Meine Glieder spannten sich, und ich wälzte mich seitlich weg.
Martina blieb liegen. Vor mir stand jemand. Eine Hand griff nach mir. Ich wich aus, warf mich schützend über Martina. Die Hand packte mich am Genick. Ich rief, so laut ich konnte: »Loslassen, loslassen!« Keine Reaktion. Und da war noch jemand. Ich versuchte mich aufzurichten. Der Druck an meinem Genick presste mich auf Martina zurück.
Es mussten zwei Männer sein, die dicht bei uns standen. Ich atmete kräftig ein und kämpfte mich frei, richtete mich auf. Tatsächlich entdeckte ich einen Mann. Dann einen zweiten. Sie waren nicht besonders groß. Und auch nicht besonders kräftig, sonst hätte ich mich nicht so leicht freikämpfen können.
»Was wollt ihr?«, rief ich dem einen, der sich direkt vor mir befand, zu. Als Antwort tauchten zwei weitere Gestalten auf, Männer mit etwa demselben Körperbau wie die anderen beiden. Sie trugen dunkle Kleider, die ich durch die Dunkelheit der Nacht nicht richtig erkannte. »Lauf weg!«, rief ich Martina zu.
Sie erhob sich und rannte los. Einer der Männer verfolgte sie.
Was spielte sich hier ab? Hatte etwa Charlotte uns diese Typen nachgeschickt? Unsinn, absoluter Unsinn! Was phantasierte ich da zusammen?
Zwei der Männer kamen bedrohlich auf mich zu. Ich drehte mich schnell um, ein Dritter stellte sich mir in den Weg. Nun waren es schon fünf. Mir fiel ihre sehr ähnliche Erscheinung auf. Zu spät, sie fassten nach mir, hielten mich fest. Ich schlug um mich, doch sie schafften es, mich bewegungsunfähig zu machen.
Wo war Martina? Ich sah sie, nun von zwei Männern verfolgt, wie sie, laut und schrill schreiend, im nicht sehr hellen Mondlicht durch die Büsche rannte.
»Lauf, lauf, sonst erwischen sie dich«, keuchte ich, ohne dass sie mich hören konnte. Ich selbst saß hoffnungslos fest. Die Männer zogen mich mit sich fort. Keiner sprach ein Wort oder gab sonst einen Laut von sich. »Lauf zum Wagen, lauf schon!«, rief ich Martina zu, damit sie es wenigstens schaffte, sich zu retten.
Obwohl sie sie fast eingeholt hatten, ließen die Männer, die sie verfolgten, plötzlich von ihr ab,. Das erstaunte mich. Hatte es damit zu tun, dass ich mich nicht mehr befreien konnte? War ich derjenige, den sie suchten? Die ganze Aktion hatte nicht lange gedauert. Wir traten aus dem mit Büschen und Bäumen bewachsenen Platz heraus. Vor uns lag ein weites Feld mit verdorrtem Gras. Und mittendrin flimmerte ein großes Ding, das in eine neblige Substanz eingehüllt war.
Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Die Männer stießen mich von sich. Ich stürzte nach vorne in den Nebel hinein, der sich wie feingemahlene Kreide auf meiner Haut anfühlte und mir auch gleich in Mund und Nase eindrang. Eine weiße Fläche kam mir entgegen, ich schlug mit dem Kopf auf und verlor die Besinnung.
Kapitel 2 - Unterwegs
Ich kam zu mir, obwohl ich das Gefühl hatte, schon eine ganze Weile in einem Dämmerungszustand einiges wahrgenommen zu haben. Mit dem Gesicht nach unten lag ich auf einer harten Fläche, die stark vibrierte. Ein tiefes, eintöniges Geräusch dröhnte in meinem Kopf. Ich nahm die Hände, die sich halb auf meinem Rücken befanden, hoch und presste mir die Ohren zu. Das schwingende Geräusch ließ sich dadurch etwas abdämpfen, aber es drang nach wie vor in meinen Körper ein. In meinem Mund und meiner Nase hing diese kreideartige Substanz, die ich schon beim Eintauchen in den Nebel auf dem Feld wahrgenommen hatte. Eigentlich hätte ich mich fragen müssen, wo ich war, doch das tat ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Ich tastete mich mit verminderter Wahrnehmung schrittweise in diese mir unbekannte Atmosphäre hinein, krampfhaft bemüht, mich zu orientieren, wobei ich bewegungslos in derselben Stellung, Gesicht nach unten, liegen blieb. Selbst die Augen öffnete ich nicht. Geräusche, Geschmack, Vibrationen und eine ganze Anzahl undefinierbarer Dinge, die in meinem Rücken lauerten, ergaben für mich zwar eine Art Bild, das mir aber nicht klarmachen konnte, was um mich herum geschah. Ich kämpfte mit mir selbst, rang mir Vorstellungen ab, mühsam atmend, beide Ohren zugepresst, die Augen geschlossen, bis ich begriff, dass ich mich damit wehrlos auslieferte.
Aber wem lieferte ich mich aus? Ich musste damit beginnen, die Realität der Situation – und somit auch die Realität der Bedrohung, der ich sicher ausgesetzt war – zu erfassen.
Vorsichtig drehte ich meinen Kopf, öffnete die Augen. Eine starke, grellweiße Helligkeit blendete mich, und mein Blick kehrte in die rötlich-dumpfe Abschirmung meiner Lider zurück, nicht ohne dort einem stetig wiederkehrenden Blitzen ausgesetzt zu sein. Woher kam diese Helligkeit? Ein solches Licht kannte ich nicht. Ich öffnete die Augen nochmals. Diesmal schafften sie es, der Lichtwand standzuhalten. Außer diesem intensiven Weiß konnte ich jedoch nichts sehen, weil es sonst offenbar nichts gab – ich starrte gewissermaßen in ein weißes Nichts hinein.
Ich musste einen Weg finden, mich aus meiner Wehrlosigkeit zu befreien. Ohne Orientierung war das schwer. Sollte ich mich bewegen? Und wenn jemand über mir stand, der mich für tot hielt? Vielleicht lebte ich nur noch, weil sie mich für tot hielten. Sie? Natürlich, die Männer, die mich eingefangen hatten! Sie beobachteten mich bestimmt in diesem Augenblick. Und Martina? Ich spürte den Zwang, nach ihr zu rufen. Ihr Name quälte mich, saß eingezwängt fest, wollte mir laut entschlüpfen. Aber ich nahm mich zusammen, hielt ihn zurück.
Unmöglich! Ich konnte nicht ewig so liegen bleiben und in dieses grelle Weiß blicken. Dazu folterte mich das brummige Dröhnen. Stellenweise glaubte ich, das Geräusch habe seinen Ursprung in meinem Schädel. Doch das war nicht so, der ganze Boden unter mir vibrierte ja mit.
Plötzlich war da eine eigenartige Stimme. Ihr Klang schien vorwiegend mit der Nase erzeugt zu sein und aus dieser richtiggehend herausgepresst zu werden. Das erstaunte mich jedoch nicht so sehr wie die Worte, die, soweit ich das verstand, ausschließlich aus Vokalen wie A, E und O zusammengesetzt waren. Die einzelnen Sätze – wenn es überhaupt Sätze waren – wurden sie sehr schnell gesprochen. Ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte.
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