Название: Am Rande. Eine Bemerkung
Автор: Anna Lohg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742722935
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Aus dem Fond einer Limousine sieht wohl selbst der Krieg wie ein vornehmes Geschäft aus, bis dann zwangsläufig alles ruiniert ist und wieder das Elend den Sieg davonträgt. Als schließlich auch das Letzte verbraucht war und kein Kampf mehr lohnend schien, da kurvte Edmund einen wenig vornehm scheppernden Wagen durch die Gegend. Mittlerweile chauffierte er in einem abgewrackten Gefährt die nachwievor üppig dekorierten Herrschaften an immer mehr Schlachtfeldern vorbei, steckte jetzt auch die selbst erklärte Herrenschicht unvermeidlich in der genau der Misere, die sie angerichtet hatte. Mochte der Schlamm, durch den sie fuhren, irgendwie angleichend wirken, doch Edmund legte sehr viel Wert auf die arrangierten Ungleichheiten, er bestand darauf, in diesem und jedem anderen Krieg kein General zu sein, nicht weil er meinte, ihm fehle der vermeintlich große Verstand, der für das angeblich schwierige Handwerk des Gemetzels nötig sei. Ihm war es letztlich schon zuviel, bloß der Chauffeur zu sein, bei diesem Unterfangen, alles zu zerstören, um darauf vorgeblich wahrhaft Großes zu errichten. Edmund liebte die Beschaulichkeit, den friedlichen Alltag, sicher und verlässlich, doch inzwischen war das Wohlbehagen nirgends mehr zu finden, jeder Ort durch den sie fuhren schien aufgewühlt, als gäbe es kein Entrinnen, von einer Welt, die es mit niemandem mehr gut meinte. Als wäre es nicht sein Krieg, war sein Wunsch längst unbändig, alsbald zurück zu kehren, in den Frieden zwischen Hügeln, zurück zu Mia und seinem alten Leben.
Und dort in diesem leidlich fahrenden Gefährt sprachen die verbliebenen Generäle schon bald von großen Verlusten, von durchbrochenen Fronten, von vorrückenden Alliierten. Dieser Krieg sei leider verloren, obschon sie kurz zuvor noch ehrlich gedacht hatten, sie würden bald die ganze Welt beherrschen, zu ihrem Wohl. Davon sollten jene verzierten Herren nun Abstand nehmen und die Kehrtwende beschließen, mochten andere den Krieg woanders noch munter weiter führen, für Edmund war er hier, mitten im nirgendwo, zu Ende. Er konnte endlich seine ersehnte Heimreise antreten, die nach den Regeln dieses Spiels zuerst geordnet verlief, machten sie sich wie Gänse auf den Weg zurück zum Ausgangspunkt. Von allen Seiten bedrängt, hielt die Formation allerdings nicht lange stand, anfänglich vereinzelt, später aufgescheucht, brach die einst bejubelte Schicksalsgemeinschaft einfach auseinander. Vereint unter dem Hackenkreuz waren sie unlängst noch bereit gewesen, gemeinsam für ihr Wohl zu streben, aber dieser wunderbare totale Krieg kam ihnen jetzt wie ein gewaltiger Schlamassel vor, aus dem sie nur noch schnell heil raus kommen wollten. Der Rausch war vorüber und kaum jemand wollte sich daran noch erinnern können, vorerst wollte niemand mehr sein Schicksal mit irgendwem teilen. Die meisten Kameraden hatten sich eilig aufgemacht, möglichst ihre Uniformen los zu werden, wollten sie sich mit einer abgenutzten, vermutlich geklauten Jacke als harmlose Bauern verkleiden, in Unschuld tarnen. Edmund aber chauffierte bis zum letzten Tropfen, als der Tank leer war, stieg er aus und ging zu Fuß weiter, in seiner jauchigen Tracht blieb er weithin sichtbar ein Soldat der Wehrmacht. Die Uniform erschien ihm als die beste Tarnung seiner Harmlosigkeit, dagegen würde ein unschuldiger Bauer wie ein Feind auf der Flucht wirken. Selbst beim Geschäft des Tötens wurde das vornehme Getue gewahrt und ein Verstoß gegen die Etikette ruft stets Argwohn hervor, weshalb sich Edmund allseits ergeben, als ein besiegter Soldat zeigte. Zumal er bei diesem großen Spiel nur der Chauffeur gewesen war, seine Uniform wies nicht einmal Einstechlöcher für irgendeinen Nippes auf und Untergebene werden grundsätzlich nicht ernst genommen. Ungehindert würde er seinen Weg nach Hause gehen, daran hatte er keinen Zweifel, niemand würde einen Chauffeur aufhalten, denn der trüge keine Verantwortung, träfe ihn deswegen auch keine Schuld.
Das waren die Regeln, die selbst im Dorf galten, stellten sich auch dort die einen unverblümt nach vorne, als stünden die anderen hinten, ganz so wie bei der Wehrmacht, gaben die einen Befehle, die andere befolgten. Mochte Edmund auch vorne gesessen haben und die anderen hinten im Fond, blieb dennoch alles fein säuberlich voneinander getrennt, fuhren die einen Auto, gaben die anderen, unbedingt reichlich beschmückt, die Marschrichtung vor, wieder andere robbten durch den Dreck und schossen scharf. Das macht im Einzelnen eigentlich keinen Unterschied, doch genau darauf wird Wert gelegt, wenn Edmund nur ein einfacher Soldat gewesen sei, in jeglicher Hinsicht völlig bedeutungslos, hätte er nur Befehle befolgt, links, rechts, geradeaus, schien er am Ende unbedenklicher als ein einfacher Bauer. Und so trat Edmund seine Heimreise mit einem reinem Gewissen an, verkleidet als einfacher Soldat, der in diesem Krieg keiner Fliege etwas zu Leide getan hatte, lediglich geklaut, irgendwo auf einem Feld in Ungarn eine Wassermelone. Ein heiterer Soldat der Wehrmacht, die einst loszog, die ganze Welt zu nazifizieren, die Angst und Schrecken verbreitet hatte, Tod und Verwüstung, aber Edmund wähnte sich unschuldig, es war schließlich nicht sein Einfall gewesen. Zuversichtlich machte er sich auf seinen langen Weg nach Westen, den Amerikanern entgegen, auf zum schwarzen Mann, der großzügig seine Schokolade teilt, so marschierte er zurück zu Mia.
Auf seinem Marsch fühlte er sich wie ein freier Mann. Eine Freiheit, die ihm sein unglaublicher Reichtum bescherte, ein Schatz in einer kleinen hölzernen Schachtel, in der er gewissenhaft seine Rationen an Zigaretten gehortet hatte. Der längst vertrocknete Tabak war zwar keine glänzende, aber doch eine harte Währung, welche ihm die Heimreise erleichtern sollte. Er konnte sich Essen kaufen, für Übernachtungen bezahlen oder sich für eine Mitfahrt erkenntlich zeigen, wenn er einen Teil seiner Strecke in einem Auto mitgenommen wurde oder hinten auf einem Zweirad seinen Weg abkürzen konnte. Sehr viel öfter saß er auf einem Heuwagen. Und erst jetzt, auf diesem langen Weg, kurz bevor auch andere ihren Krieg beendeten, sollte Edmund ihm begegnen. Gut genährt, durchaus erholt, beseelt von der Vorfreude auf ein sehnsüchtig erwartetes Wiedersehen erblickte er ringsum nur Elend und Zerstörung. Er sah, was er im Krieg nicht gesehen hatte: Trümmer, Hunger, Verzweiflung, Verwirrung, Trauer, Schmerz, Einsamkeit, Obdachlosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Edmund wurde vom Krieg erschüttert, als dieser letztlich vorbei war.
Mit kaum noch Sohlen an den dicken Schuhen erreichte Edmund endlich jene Stadt, in welcher er den breiten Fluß überqueren konnte. Diese Stadt hatte ihm einst noch die große weite Welt bedeutet, weiter weg war er vorher nie gewesen. Bis hier hin, ungefähr, hatten die Römer ihren Pfad gepflastert, in dieser Ebene an dem Fluß hatten sie ihren Limes erreicht und ungefähr hier begann für Edmund die Heimat, war die vertraute hügelige Landschaft nicht weit. Bis da hin war er durch endlose Verwüstung geschritten, glaubte er dennoch, die Heimat wäre ein Abbild seiner Erinnerung geblieben. Aber von der Stadt fand er nur Überbleibsel. Erst inmitten dieser heimatlichen Trümmer fühlte er sich vollkommen verloren, wenn er vorher schlicht nach dem Weg gefragt hatte, kannte er sich jetzt nicht mehr aus. Einzig die Kathedrale ragte noch unbeschadet gen Himmel, spendete ihm die Kirche erstmals Trost, weil dies Ding unerschüttert über den Ruinen thronte und ihm Orientierung gab. Aus der Ferne wies ihm dieser alles überragende gotische Dom den Weg zum Fluß.
An der behelfsmäßig reparierten Brücke fand er schließlich die Amerikaner, hatte er lange nach ihnen gesucht. Diesen geschätzten Feinden wollte er sich bedingungslos ergeben, die weiße Fahne seiner Kapitulation hissen, sollten sie mit einer banalen Formalität seinen Krieg für beendet erklären. Mitten in der zerstörten Stadt, am Fuße der Kathedrale, an dieser schaukelnden Brücke war für Edmund, amtlich beglaubtigt, der Zweite Weltkrieg endgültig aus und vorbei.
Okay!
Ohne viel Aufhebens bekam Edmund, der besiegte Feind, einen Stempel, der ihn zugleich als harmlosen Soldaten auswies, einer der bloß Befehle befolgt hatte. So einer konnte doch nichts dafür, wenn er in den Kampf eingezogen worden war, um für ein tausendjähriges Reich zu sterben. Nicht die einfachen Soldaten, die Sieger hatten vielmehr die Nazis besiegt, das waren die erklärten Feinde, sie trügen die Schuld an Krieg und Verbrechen, СКАЧАТЬ