Название: Freie Republik Lich - 2023
Автор: Stefan Koenig
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Zeitreise-Serie
isbn: 9783753191294
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„Ah, das Bürgerbüro hat Ihnen – vielleicht eher etwas widerwillig – die Auskunft erteilt“, warf ich gutgläubig ein.
„Was denken Sie! Die haben wohl immer noch striktes Geheimhaltungsgebot, oder die Damen vom Bürgerservice wissen tatsächlich von nichts. Ich habe einen Maulwurf in der Golf-Connection. Der weiß Bescheid. Die Wüst AG ist ein bundesweit tätiger Logistikmoloch, der für andere Handelskonzerne die Infrastruktur bereitstellt und ihnen die umstandslose Verteilung ihrer Waren ermöglicht. Das macht er geschickt und fies zugleich.“
Am Telefon entstand eine Pause und ich rief „Hallo?“ in den Hörer.
„Musste nur kurz Luft holen“, sagte die Frau am anderen Ende der Leitung, bevor sie etwas schnaufend fortfuhr: „Dieser Investor kauft also zu Billigstkonditionen Land auf, handelt mit kleinen Bürgermeisterlein, die mit solch großen Geschäften völlig unerfahren sind, alles zu seinen Gunsten aus. Natürlich – wie es in diesen Kreisen üblich ist – gegen ein angemessenes Taschengeld für das Bürgermeisterlein und weitere Angebote. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, arbeitet das Unternehmen überall nach dem gleichen Muster und nutzt dazu ein ausgefeiltes und breitgefächertes Lobby-System.“
Puhh – Logistikmoloch, Lobby-System, Taschengeld, weitere Angebote, Schweigegebot, Golf-Connection, Geheimhaltung. Sollte ich mich für all diesen Kram interessieren? Ich wusste es nicht.
*
Trotz all des städtischen Weihnachtsschmucks lag das Rathaus an diesem Tag in einem tristen Grau, und ein ungemütlicher Regen prasselte gegen die Fassade. Um acht Uhr gingen die ersten Lichter in den Büros an. Langsam aber stetig belebte sich der historische Bau. Bürger kamen und gingen. Mitarbeiter huschten über die Flure. Türen schlugen und der Hausmeister schloss alle gekippten Fenster, da der Regen mit Wucht gegen die Scheiben klatschte.
Um zehn Uhr war Frühstückszeit, und etwa um diese Zeit herum öffnete Frau Demuth die Tür zum Bürgermeisterbüro einen kleinen Spalt und sagte halblaut: „Ich möchte nicht stören, Herr Groß, aber Ihr angekündigter Besuch, Herr Dr. Wüst, verspätet sich wahrscheinlich um eine Stunde und bittet um Entschuldigung. Ein Stau zwischen Friedberg und dem Gambacher Kreuz, zwei LKW aufeinander gefahren, schwerer Unfall. FFH hat schon berichtet. Kann sogar länger dauern, vermute ich.“
„Kommen Sie bitte einen Moment herein.“ Der Bürgermeister zog seine blau-grau gestreifte Krawatte auseinander, aber irgendetwas klemmte. Er bekam den Knoten nicht auf. „Nun gut, dann habe ich also noch ein wenig Luft zum Atmen ...“ Er rüttelte an seiner Krawatte, bis er sie endlich gelockert und erleichtert über den Kopf gestreift hatte, und beendete den Satz: „... und genügend Zeit zur Vorbereitung.“ Er sah jetzt auffordernd seine Mitarbeiterin an: „Noch etwas zur Wüst-AG herausgefunden, wo, wie und mit wem die welche Projekte betreiben?“
Die Vorzimmersekretärin trat vollends in das Groß-Büro ein. „Ich habe nur den Prospekt mit den vertraulichen Referenzen, den Projektbeschreibungen und Skizzen angeschaut. Sieht ja sehr solide aus. Überzeugend, würde ich sagen.“
„Ja, das finde ich auch. Sehr solides Unternehmen mit offensichtlich starkem Kapitalengagement.“ Das Wort, so fand Bürgermeister Groß, war großartig; er hatte es erst kürzlich gehört – Kapitalengagement. „Die sind dick im Immobiliengeschäft. Dahinter steht wohl auch ein arabischer Großinvestor.“
„Ein Wüstensohn“, warf Daniela Demuth lächelnd ein. Die blonde Mittvierzigerin warf sich in die Brust, denn sie war stolz auf ihre Assoziation: Wüst-AG und Wüstensohn.
Arturo Groß, Anfang Fünfzig, der im Dienst selten lächelte, konnte ein Schmunzeln nicht verhindern. „Jedenfalls haben die große Fische am Haken, ganz große Fische, Versandhäuser und Großhändler und so Zeugs. Ähnlich wie Amazon.“
„Was macht so ein Logistikzentrum im Einzelnen? Das wollte ich Sie schon letztes Mal fragen …“
„Wie gesagt, das ist ein Zentrum, von dem aus alles Mögliche verteilt wird. In diesem Fall geht es speziell um Kloschüsseln ...“ Er stockte kurz und sagte dann: „Dr. Wüst hat wohl ein Faible für Toiletten …“ Jetzt lachte Groß kurz und künstlich auf, bevor er mit ernster Miene fortfuhr: „Also, er hat connections zu einem Großhändler, der auf Kloschüsseln spezialisiert ist. Fragen Sie mich bitte nicht wie, was und warum.“
„Ach, die Wüst AG vertreibt die Dinger gar nicht in Eigenregie?“
„Nein, nein, die betreiben – wenn man so will – nur die Immobilie, investieren alles Nötige und vermieten dann gewinnbringend weiter. In diesem Fall wollen Sie an MyClo vermieten. Wie gesagt: ein Distributor von Kloschüsseln, von Dixi-Häuschen und allen möglichen Aborten. Europaweit werden Kloschüsseln geliefert. Also, ich nehme an, da die sich nur auf diese Scheißhäuschen konzentrieren, werden sie bald schon zur Liga der Global Player gehören. Und dann wird es in unserer Stadtkasse brummen, aber so richtig brummen.“
Arturo rieb sich mit freudig-geheimnisvoller Miene die Hände.
„Und die Toiletten werden auf der Langsdorfer Höhe produziert und dann verschickt?“
„Keine Produktion, kein lästiger Lärm und keine lästigen Emissionen, nein, da wird nur der Kram hingefahren, aufeinandergestapelt und wieder weggefahren.“
„Und das alles nur, um unseren Stuhlgang …“ Frau Demuth schaute ratlos den Rathauschef an.
„Raten Sie mal!“, sagte er grinsend. „Aber sicher, nur dafür! Das wird weltweit gebraucht. Das Geschäft läuft auf Jahrhunderte. Scheißhäuser! Eine krisenfeste Sache!“
So ordinär hatte Frau Demuth ihren Chef noch nie reden gehört. Für einen kleinen Moment stürzte ihr feines Männerbild vom tadellosen Chef ein, aber dann – sie dachte nach: War die Wortwahl nicht absolut verständlich, schließlich lag es an der Ware selbst, dass man das böse Wort auf die Zunge bekam. Sie schaute auf den mit Zetteln übersäten Schreibtisch des sozialdemokratischen Rathauschefs. Er bemerkte ihren suchenden Blick und sagte mit einer gewissen reuigen Demut: „Ich konnte mir heute meinen Kaffee noch nicht selbst machen. Ich mache mir jetzt ein Tässchen. Und Ihnen eine Tasse mit?“
„Bleiben Sie nur, ich mache das schon. Sie brauchen Ihre Zeit jetzt für Wichtigeres. Es ist Ihr erstes Treffen mit dem Chef der Wüst AG, da sollten Sie gut vorbereitet sein.“
Groß sah sie fragend an.
Ihre Stirn legte sich in nachdenkliche Falten, dann fuhr sie fort: „Es geht doch sicherlich um zig Millionen. Aber wem sage ich das! Vielleicht sollten Sie vorsichtshalber mit dem Pachtinteressenten der Wüst AG Kontakt aufnehmen, jener Firma mit diesem amerikanischen Namen ...“
Groß schnippte mit den Fingern und sagte: „MyClo! MyClo heißen die. Nebenbei bemerkt: Schicker Name für solch ein Geschäft, finden Sie nicht auch?“
„Ja, ja“, fuhr seine Mitarbeiterin fort. „Rufen Sie dort doch mal an.“
„Meinen Sie wirklich? Warum?“
„Nur so!“
„Nur so?“
„Na ja, ich meine eigentlich ...“ Sie druckste etwas herum, gab sich schließlich einen Ruck und sagte: „Und fragen Sie, ob es wirklich ein ernsthaftes Interesse an unserem Standort gibt. Nicht dass Dr. Wüst sich vertan hat. Alles СКАЧАТЬ