Freie Republik Lich - 2023. Stefan Koenig
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Freie Republik Lich - 2023 - Stefan Koenig страница 3

Название: Freie Republik Lich - 2023

Автор: Stefan Koenig

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Zeitreise-Serie

isbn: 9783753191294

isbn:

СКАЧАТЬ Villingen hatte einen Sonderstatus, wovon Sie noch rechtzeitig erfahren werden. Von großer Bedeutung war unsere geheime Verbindung über Hattenrod zur Flugplatzsiedlung Ettinghausen, von der aus wir mit einem Flieger operieren konnten, was den rundum stationierten Besatzungsmächten glücklicher Weise eine Zeit lang entging.

      So also sah die Grenzziehung rund um unseren kleinen, aber freien Volksstaat aus. Einige mieden diesen Begriff und sagten dazu »Bürgerstaat« – aber fragen Sie sich bitte selbst: Worin liegt der Unterschied?

      Der große und mächtige »Westbund« war unter dem Düsseldorfer Kö-Regime unser unmittelbarer nordwestlicher Nachbar, ein »Nachbar der untergehenden Sonne«, wie unser neuer Bürgermeister, Arnold Aurora, zugleich Staatschef der Freien Republik Lich, die Westzone gelegentlich nannte. Dass wir so frei und unbehelligt agieren konnten, lag eindeutig daran, dass man uns bei der Aufteilung der Zonen einfach vergessen hatte. Wir bedeuteten für unsere angrenzenden Nachbarn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so etwas wie jenes bereits erwähnte Niemandsland. Ich kann auch erklären, wie das gekommen sein mag – aber nicht jetzt.

      Zwischen der Hauptstadt Lich und unseren Außengrenzen war unser Freistaat mit einer prächtigen Natur und lebenswichtiger Landwirtschaft gesegnet. Wir lebten im Herzen der Natur. Alles war bestens. Bis zu dem Tag, als jener blaugraue Monsterklotz aus dem Boden schoss, der mit Beginn des Jahres 2021 alles schrill zerstörte. Ihn anfangs zu verhindern, dann zu beseitigen, waren wir bereits zwei Jahre zuvor angetreten.

      Unser schönes Lich lag nicht nur im Herzen der Natur, es war vielmehr das Herz selbst, pulsierte für Tourismus und Kultur und produzierte vorwiegend Naturprodukte. Und es hatte eine engagierte Jugend hervorgebracht. Landrebellen.

      Apropos »im Herzen der Natur« – der Freund meines Bruders und mein Bruder selbst, beide zehn Jahre älter als ich, hatten für das Licher Bier den Werbespruch »Aus dem Herzen der Natur« geprägt, inklusive eines lieblichen Gezwitschers des blau-gelben Eisvogels. Rudi Schreiber und mein Bruder Günter waren dem idyllischen Lich mit Leib und Seele verbunden, auch wenn sie fernab in der Rhein-Main-Metropole der späteren Südstaaten wohnten. Und so vermarkteten sie das Licher Bier samt Slogan über Funk und Fernsehen bereits seit Ende der 1970er-Jahre.

      Rudi, mein Bruder und ihre Frankfurter Werbeagentur Pro Natur lebten davon gut und gerne drei Jahrzehnte. Jetzt aber, im Februar 2019, war Rudi erschüttert, als ich ihm am Telefon von den sich anbahnenden Entwicklungen berichtete.

      Doch recht schnell streifte er seine Besorgnis ab und meinte: „Stefan, sei beruhigt! Damit kommen die nicht durch. Da wird kein Klotz mitten in eure schöne Natur gesetzt. Wie kommst du nur darauf! Und diese vielen LKW, vierhundert oder gar fünfhundert Lastwagen pro Tag …“ Er lachte hellauf. „So verrückt sind eure Politiker nicht. Ich kenne einige eurer Entscheidungsträger und Abgeordneten, ich habe mit denen zusammen gefeiert und gesoffen, nein, die Sache ist eine Luftnummer! Eine Totgeburt! Da geht nichts schief! Keine Sorge!“ Rudi lachte noch einmal laut auf, und ich lachte mit ihm.

      Auch mein Bruder musste herzlich lachen, als ich ihm meine Bedenken beichtete. Er hatte mich in früheren Zeiten manchmal als überzogenen Bedenkenträger bezeichnet, was mir natürlich gar nicht gefiel, denn das wäre so, als würde man einen Polizisten dafür rügen, dass er wachsam die Bürger schützt. Das Wort »Bedenken« hängt doch irgendwie mit »Verantwortung« und insbesondere mit dem Wort »denken« zusammen, oder täusche ich mich? Und vorausgedacht haben damals viele der Licher Bedenkenträger.

      „Nein, da wird ganz sicher nichts hingebaut, was dem Charakter eures lieblichen Heimatstädtchens widerspricht oder gar die Luft- und Lebensqualität ruiniert. Nein, das läuft nicht!“, meinte mein Bruderherz kurz und bündig.

      Aber es lief und es ging schief und der Klotz kam und siegte. Doch dann kamen wir, die Entrüsteten, wir sahen – und auch wir siegten. Nur war es ein Sieg auf Messers Schneide, wie man so schön und lapidar zu sagen pflegt. Manche sprachen von einem Pyrrhussieg, was ich persönlich für unzutreffend halte.

      Ist ein Glas halb voll oder halb leer? Es entscheidet der Blickwinkel und der Standpunkt. Und manchmal entscheidet keines von beidem, sondern ausschließlich das Schicksal.

      Ich berichte wahrscheinlich eine Spur zu schnell, ich weiß. Ich zügele mich und werde ab jetzt langsamer berichten. Sie wollen schließlich alles nachvollziehen. Sie lieben die Gewissenhaftigkeit, jedenfalls seitdem Sie mitbekommen haben, wie gewissenlos und flüchtig bahnbrechende politische Entscheidungen getroffen werden können. Nun gut. Neuer Anlauf ...

      Unsere friedliche Revolution hatte schließlich gesiegt. Aber ohne gewisse äußere Umstände und Zufälle hätte es auch anders ausgehen können. Wir hatten Glück. Wir hatten eine komplette Bahnstrecke von Ost nach West unter unsere Regie gebracht. Dazu jenen Flugplatz, wie schon erwähnt, ein Wasserwerk, den Busverkehr und alles andere, was man zum Leben braucht. Die Energieversorgung stellte uns vor besonders hohe Hürden. Aber wir sprangen darüber hinweg und hatten fabelhafte Ingenieure. Dazu später. Und natürlich gehörte uns das Rathaus, und Arnold Aurora war jetzt unser Mann.

      Und jetzt endlich wollen Sie wahrscheinlich wissen, wie es dazu gekommen war. Die Geschichte der Freien Republik Lich ist, wie soll man sagen, ein Nicht-Ereignis geworden. Kein Buch dazu in unserer Stadtbibliothek, kein Vermerk im Stadtarchiv, kein Wort über sie wird laut im Schulunterricht. Ich muss es wiederholen: Einige wollen unseren damaligen Erfolg kleinreden oder sich an diesen fürchterlichen Nebel nicht mehr erinnern. Mag sein, dass es für die schwachen Nerven und feinen Gemüter mancher Beteiligten zu viel war und eine Art Trauma hinterließ. Hauptsächlich aber vermute ich dahinter eine Strategie der damals Entmachteten, die ihr hochheiliges Logistikzentrum und ihre Felle davonschwimmen sahen. Und das alles schwamm ja auch davon.

      Es verschwamm in der Zeit, als uns wütende Monster aufsuchten. Es verschwamm in den Tagen zwischen dem 16. und 19. Dezember 2023 in jenem unheimlichen Nebel, der uns alle überraschte und unserer Revolution folgte oder mit ihr Schritt hielt – oder wie immer man die Sache einzuordnen gedenkt. Ich kann mich auch täuschen, wenn ich hinter der Verdrängung unseres selbstgeschriebenen Stücks Geschichte eine Absicht vermute. Natürlich, und dies liegt in der Natur der Sache, wäre es eine politische Absicht. Welche Personenkreise jedoch könnten dahinterstecken?

      Müssten es, wenn die Logik logischerweise der Logik folgen würde, nicht diejenigen sein, die den Monsterbau befördert und bewilligt haben? Jener Ex-Bürgermeister, Arturo Groß, mit seinen großmundigen Versprechungen? Jener unseriöse Bauaufsichts-Beamte, Rüdiger Halbersach, der in einem außergewöhnlichen Hauruckverfahren seiner tatsächlichen Aufsicht unzureichend, man möchte sagen: bewusst unzureichend, nachkam, sich ungeachtet dessen aber als Held von Lich rühmen ließ? Jene willfährige Erste Stadträtin, Ingrid Steegher, die sich Groß und einem Immobilienhai verpflichtet fühlte und die es verstand, rechtlich klare Linien zu einer rasanten Schlangenlinie umzubiegen?

      Müssten es nicht die vielen bedenkenlosen Mitläufer sein? Jene kleinkarierten Stadtverordneten mit ihrer grenzenlosen Naivität und offensichtlich angeborenen Unterwürfigkeit? Jene, die sich von den sogenannten Profis und Experten gnadenlos überrumpeln ließen? Jene gewählten Bürgervertreter, die es geschehen ließen, dass man ihnen gerade mal drei Tage Zeit ließ, um volle 650 Seiten zu einem komplizierten Bewilligungsverfahrens zu lesen, zu verstehen und letztlich kritisch zu überprüfen?

      Müssten es nicht jene sein, die aus christ- und sozialdemokratischer Bequemlichkeit das Nachfragen unterließen und Gott einen guten Mann sein ließen? Jene, mit all dem Gottvertrauen in die angeblich soziale Macht des Geldes, welche ihnen »ungeahnte Steuereinnahmen« – und natürlich viele, viele Arbeitsplätze, was sonst! – vorflunkerte? Ich sage nur: Tanz um das Goldene Kalb! Politische Halluzinationen! Lassen wir das. Ich möchte der brisanten Geschichte nicht vorgreifen.

      Wie also begann das alles?

СКАЧАТЬ