Название: Altneuland
Автор: Theodor Herzl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754183144
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Friedrich war schon versöhnt: »Ich war dumm. Daß Sie mich mitnahmen, war doch der beste Beweis.«
Kingscourt sagte: »Da fällt mir ’ne Sache ein, die ich einmal mit einem Ihrer Landsleute oder Glaubensbrüder oder — hol’ mich der Deibel — kurz mit einem Juden hatte. Es war im Re’ment. Wir hatten da so ’nen Freiwilligen — Cohn hieß die Kreete, ein jemein … Entschuldigen Sie! Dieser Cohn war ’n ganz verflucht krummbeiniges Subjekt — wie für die Kavallerie geschaffen. Es war einmal in der Reitstunde. Ich ließ die Schweinehunde Barriere springen. Das heißt, ich wollte; sie wollten nicht oder konnten nicht. War auch ’n bißchen hoch. Na, ich habe sie traktiert, wie’s sich für solche gottverlassene Schweinebande geziemt. Damals konnte ich noch fluchen, hol’ mich der Deibel! Seitdem hab’ ich’s verlernt … Ich gab ihnen zu verstehen, so durch die Kavall’rieblume, daß ich sie für das zitterlichste Lumpenpack hielte. Und den Cohn holte ich mir besonders. ,Sie sind wohl ein besserer Wechselreiter?’ höhnte ich ihn. Da schoß dem Juden das Blut ins Gesicht, und er ritt an. Stürzte aber und brach sich den Arm. Das hat mich dann eine Weile gewurmt. Wozu hat so ’n Aas auch Ehrgefühl?«
»Sie meinen, ein Jude sollte kein Ehrgefühl haben?« »Nee, so was! Sie verdrehen mir ja das Wort im Mutterleibe … Übrigens, wenn die Juden Ehrgefühl haben, warum lassen sie sich alle die Bübereien gefallen?«
»Was sollten die Juden tun, Mr. Kingscourt?«
»Was? Ja, das weiß ich nicht. Irgendwas, wie mein Cohn in der Reitschule, ich habe doch mehr Respekt vor ihm bekommen.«
»Weil er sich den Arm gebrochen hat?«
»Nein, weil er mir seinen Willen gezeigt hat … Ich, wenn ich an eurer Stelle wäre, ich würde irgendwas Mutiges, Großes unternehmen, daß auch die Feinde vor Staunen die Mäuler aufreißen müßten. Vorurteile, mein Lieber, wird’s immer geben. Das Menschenpack nährt sich von Vorurteilen, von der Wiege bis zum Grabe. Also, da man die Vorurteile nicht abschaffen kann, muß man sie für sich erobern … Je mehr ich darüber nachdenke: es müßte ganz interessant sein, heutzutage ein Jude zu sein. Gerade weil man alle Welt gegen sich hat.«
»Ach, Sie wissen nicht, wie das schmeckt.« »Nicht süß, das kann ich mir schon denken … Na, und wie ist’s mit dem ollen Palästina? Wollen wir uns das noch begucken, bevor wir aus der Menschheit verschwinden?«
»Mir ist alles recht, Mr. Kingscourt«
Und so bekam die Jacht den Kurs nach Jaffa.
6. Kapitel.
Sie verbrachten einige Tage im alten Lande der Juden. Von Jaffa hatten sie einen unangenehmen Eindruck. Die Lage am blauen Meere wohl herrlich, aber alles zum Erbarmen vernachlässigt. Die Landung in dem elenden Hafen mühselig. Die Gäßchen von den übelsten Gerüchen erfüllt, unsauber, verwahrlost, überall buntes orientalisches Elend. Arme Türken, schmutzige Araber, scheue Juden lungerten herum, alles träg, bettelhaft und hoffnungslos. Ein sonderbarer Moderduft, wie von Gräbern, beengte einem das Atmen.
Kingscourt und Friedrich beeilten sich auch fortzukommen. Sie fuhren auf der schlechten Eisenbahn nach Jerusalem. Auch auf diesem Wege Bilder tiefster Verkommenheit. Das flache Land fast nur Sand und Sumpf. Die mageren Äcker wie verbrannt. Schwärzliche Dörfer von Arabern. Die Bewohner hatten ein räuberhaftes Aussehen. Die Kinder spielten nackt im Straßenstaube. Und in der Ferne des Horizonts sah man die entwaldeten Berge von Judäa. Der Zug fuhr dann durch öde Felsentäler. Die Abhänge verkarstet, wenig Spuren einer einstigen oder gegenwärtigen Kultur.
»Wenn das unser Land ist,« sagte Friedrich melancholisch, »so ist es ebenso heruntergekommen wie unser Volk.«
»Ja, es ist einfach scheußlich, geradezu polizeiwidrig,« erklärte Kingscourt. »Und doch ließe sich da viel machen. Aufforsten müßte man. So eine halbe Million junger Riesentannen, die schießen hoch wie Spargel. Das Land braucht nur Wasser und Schatten, dann hätte es noch eine Zukunft, wer weiß wie groß«.
»Wer soll da Wasser und Schatten herbringen?«
»Die Juden, Kreuzschockschwerenot!«
Es war Nacht, als sie in Jerusalem ankamen, eine wundersame Mondnacht.
»Donnerwetter, ist das schön!« schrie Kingscourt. Der Wagen, in dem sie vom Bahnhof nach dem Hotel fuhren, mußte auf seinen Befehl halten. Er herrschte den Lohndiener an: »Sie können auf dem Bock bleiben und dem Kamel von einem Kutscher sagen, daß er langsam hinter uns nachfahren soll. Wir gehen ein Stück zu Fuß, Doktor, wollen Sie? … Wie heißt diese Gegend?«
Der Lohndiener antwortete demütig: »Das Tal von Josaphat, gnädiger Herr.« »Hol’ mich der Deibel, das gibt es also wirklich? Das Tal von Josaphat! Ich glaubte, das sei nur so ’ne Sache in der Bibel. Hier ist nu unser Herr und Heiland herumgegangen. Was sagen Sie dazu, Doktor? … Ach so! Na ja, aber Ihnen muß das doch auch etwas sagen? Diese alten Mauern, dieses Tal …«
»Jerusalem!« sagte Friedrich mit leise bebender Stimme halb vor sich hin. Er wußte sich gar nicht zu erklären, warum ihn der Anblick dieser unbekannten Stadtumrisse derart ergriff. Erinnerungen vielleicht an Worte der frühen Kindheit? Gebetstellen, die des Vaters Stimme gemurmelt hatte? Die abendliche Weihe des verschollenen Pessachfestes zog ihm durch die Seele. Einer der wenigen hebräischen Satze, die er noch wußte, klang in ihm auf: LeSchonoh haboh beJruscholajim. — Übers Jahr in Jerusalem! … Und er sah sich plötzlich als kleinen Knaben an der Seite seines Vaters zum Tempel gehen. Ach, der Glaube war tot, die Jugend war tot, der Vater war tot — Und vor ihm ragten die Mauern von Jerusalem in märchenhaftem Mondesglanz. Heiß strömte es ihm in die Augen. Es überwältigte ihn. Er blieb stehen, und die Tränen flössen ihm langsam über die Wangen.
Kingscourt erstickte mehrere Deibel in seiner Kehle, winkte dem nachfahrenden Kutscher gewaltig zu, stillzuhalten, und er selbst trat lautlos einen Schritt hinter Friedrich zurück, um dessen wehmütige Andacht nicht zu stören.
Mit einem Seufzer erwachte Friedrich aus der Bezauberung. »Verzeihen Sie, Mr. Kingscourt,« sagte er ein wenig beschämt »Ich habe Sie da warten lassen. Es war — es ist mir jetzt so eigen zumute. Ich weiß gar nicht, was das ist.«
Kingscourt aber schob seinen Arm unter den des jungen Mannes und sagte mit ungewöhnlich weicher Stimme: »Sie, Friedrich Löwenberg, ich habe Sie gern!« Und so ging in großer Mondnacht ein Christ mit einem Juden Arm in Arm der alten heiligen Stadt Jerusalem zu …
Weniger entzückend war der Anblick Jerusalems bei Tage. Geschrei, Gestank, ein Geflirr unreiner Farben, ein Durcheinander zerlumpter Menschen in den engen dumpfen Gassen, Bettler, Kranke, hungernde Kinder, kreischende Weiber, heulende Händler. Tiefer konnte das einst so königliche Jerusalem nicht sinken.
Kingscourt und Friedrich besichtigten die berühmten Plätze, Bauten und Ruinen. Sie kamen auch in das traurige Gäßchen der Klagemauer. Der widerliche Anblick der geschäftsmäßig betenden Bettler belästigte sie.
»Sie sehen, Mr. Kingscourt,« sagte Friedrich, »wir haben uns wirklich zu Tode gestorben. Vom jüdischen Reiche ist nichts mehr übrig als ein Stückchen Tempelmauer, und ich kann in meinem Gemüte bohren so viel ich will, mit diesen kleinen verkommenen Industriellen der Nationaltrauer habe ich nichts gemein.«
Er СКАЧАТЬ