Название: Anna das Mädchen aus Dalarne
Автор: Selma Lagerlöf
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Löwensköld-Trilogie
isbn: 9783754179987
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Auch diesen Ausfall würdigte Charlotte keiner Antwort. Es war ja nur natürlich, daß er nach einem Verteidigungsmittel griff. Das war nichts, worüber sie sich zu ärgern brauchte.
Statt dessen kämpfte sie ihre Tränen nieder, um dem Ausdruck verleihen zu können, was sie ihm schon die ganze Zeit hatte sagen wollen.
»Als ich das alles erfuhr, war ich zuerst entschlossen, heut abend nicht mehr mit dir darüber zu sprechen. Du wolltest am liebsten allein sein, das begriff ich. Aber da ist etwas, das ich dir ohne Aufschub sagen muß. Ich werde mich kurz fassen.«
Er zuckte die Schultern und sah ergeben und unglücklich aus. Sie saßen ja hier im selben Zimmer; er war gezwungen, sie anzuhören.
»Ach, alles miteinander ist ja meine Schuld, das mußt du wissen«, sagte Charlotte. »Ich habe ja Thea überredet – deine ganze Karlstädter Reise – ich, ich war's – du wolltest nicht, aber ich wollte – und wenn nun deine Mutter stirbt, so bin ich es und nicht du …«
Sie kam nicht weiter. Sie fühlte sich nur furchtbar unglücklich und schuldbewußt.
»Ich hätte geduldig sein sollen«, fuhr sie fort, sobald sie einigermaßen wieder Herr ihrer Gemütsbewegung und ihrer Sprache geworden war. »Ich hätte dich nicht so rasch hinschicken sollen. Du trugst noch Groll gegen deine Mutter im Herzen, du hattest ihr noch nicht verziehen. Deshalb ging es so, wie es gegangen ist. Aber ich hätte verstehen sollen, daß es so nicht gelingen konnte. Alles, alles, alles ist meine Schuld!«
Zugleich stand sie auf und ging eine Weile im Zimmer auf und ab, wobei ihre Hände ihr Taschentuch zerknüllten. Schließlich blieb sie vor Karl Artur stehen. »Das solltest du wissen, das wollte ich dir sagen. Alles miteinander ist meine Schuld.«
Er erwiderte kein Wort; er streckte nur die Hände aus und ergriff eine der ihren, die er festhielt.
»Charlotte!« sagte er nur sehr leise und mild. »Ach, wie viele Unterredungen haben wir in diesem Zimmer, an diesem Eßtisch miteinander gepflogen. Hier haben wir uns gestritten und uns gescholten, aber hier haben wir auch viele frohe Stunden verlebt. Und jetzt ist es das letztemal!«
Sie stand neben ihm und begriff nicht, was das bedeutete. Er streichelte ihre Hand und sprach freundlicher mit ihr als seit Jahren. »Du bist immer edelmütig gewesen und hast mir helfen wollen. Es gibt keinen so edlen Menschen wie dich, Charlotte.«
Vor lauter Verwunderung war sie verstummt; sie konnte ihm nicht einmal widersprechen.
»Ich habe nur immer deinen Edelmut zurückgewiesen, habe dich nicht verstehen wollen, Charlotte. Und doch kommst du heut abend zu mir und willst alles auf dich nehmen.«
»Ja, aber es ist doch auch so«, entgegnete sie.
»Nein, Charlotte, es ist nicht so. Sag nichts mehr! Meine eigene Selbstgerechtigkeit ist's, meine Härte. Du hast nur das Beste gewollt.«
Er legte den Kopf auf den Tisch und weinte. Aber er ließ ihre Hand nicht los, und sie fühlte, wie seine Tränen darauf tropften.
»Charlotte!« sagte er. »Ich komme mir wie ein Mörder vor. Für mich gibt es keine Hoffnung.«
Mit ihrer freien Hand strich ihm Charlotte übers Haar, aber sie sagte immer noch nichts.
»In Karlstadt wurde mir so weh ums Herz, Charlotte. Ich glaube, ich war wahnsinnig. Später, während der Heimfahrt, versuchte ich es von mir wegzuschieben. Aber ich verstehe, daß das nicht geht. Ich muß es auf mich nehmen.«
»Karl Artur!« sagte Charlotte. »Wie war es denn? Wie kam es? Ich habe es nur von Hauptmann Hammarberg gehört.«
Karl Artur hatte Charlotte noch niemals so sanft und mütterlich reden hören. Er konnte ihr nicht widerstehen und begann sofort mit seiner Erzählung. Und er dachte, er tue Buße, indem er nichts verschleierte, nichts entschuldigte.
»Charlotte!« sagte er schließlich. »Warum war ich so verblendet? Was war es nur, das mich verleitete?«
Darauf gab sie keine Antwort. Ihr Herz war voll Erbarmen. Sie hüllte ihn darein und milderte den Schmerz seiner Wunde. Keines von beiden dachte daran, wie seltsam es war, daß sie auf diese Weise vertraulicher miteinander redeten, als sie es jemals vorher getan hatten. Sie bewegten sich auch gar nicht. Er blieb die ganze Zeit am Tische sitzen, und sie stand über ihn gebeugt. Sie sprachen über alles, und er fragte sie, ob sie glaube, er könne auch fernerhin noch Pfarrer bleiben.
»Vor Hauptmann Hammarberg und dem, was er über dich sagen wird, brauchst du keine Angst zu haben!«
»Ich denke dabei nicht an Hauptmann Hammarberg, Charlotte, sondern ich fühle mich so ganz erbärmlich und verworfen. Niemand kann wissen, wie ich mir vorkomme.«
Charlotte wollte darauf nicht antworten, aber sie sagte: »Sprich morgen mit dem Oheim Forsius! Niemand ist so weise und fromm wie er. Und er sagt vielleicht, du passest jetzt besser zum Pfarrer als vorher.«
Das war ein guter Rat; er schenkte ihm Ruhe. Und so war es mit allem, was Charlotte sagte; es tat ihm wohl. Er fühlte keine Neigung zu Widersetzlichkeit, kein Mißtrauen.
Zum Schluß drückte er einen leichten Kuß auf ihre Hand.
»Charlotte, ich will nicht von dem reden, was einst war, aber laß mich dir das eine sagen: ich verstehe mich selbst nicht. Warum hab' ich mich von dir getrennt, Charlotte? Nein, ich will mich nicht entschuldigen, aber es ist, als würde ich getrieben, das zu tun, was ich nicht will. Warum hab' ich meine Mutter dem Tod in die Arme getrieben? Warum hab' ich dich verloren, Charlotte?«
Ein heißer Kampf spiegelte sich in Charlottes Antlitz wider. Sie ging in die dunkelste Ecke des Zimmers. Ach, sie hätte ihn über die Ursache wohl aufklären können, allein sie wollte nicht. Dies war ein heiliger Augenblick. Nichts, was nach Rache aussehen konnte, sollte ans Tageslicht kommen.
»Lieber Karl Artur, in wenigen Wochen ziehe ich von dannen«, sagte sie. »Schagerström und ich wollen meine Schwester Marie Luise nach Italien begleiten, damit sie Heilung für ihre kranke Brust findet und nicht von ihren Kinderlein wegsterben muß. Vielleicht hat deshalb alles so kommen müssen.«
Als Charlotte das gesagt, trat sie näher zu dem Manne hin, den sie geliebt hatte, und strich ihm noch einmal mit der Hand übers Haar. »Gottes Geduld hat kein Ende«, sagte sie. »Ich weiß, daß sie nie aufhört.«
Pferd und Kuh, Magd und Knecht
1
Wer war sie, daß sie zu Glück und Erhöhung vor allen andern Hausiererinnen auserwählt war?
Allerdings, eines war sicher: sie war sehr gewandt im Geldverdienen und dabei überaus sparsam; nie gab sie einen Heller unnötig aus, und schlau und verschlagen war sie auch; sie konnte die Leute dazu bringen, nicht allein das zu kaufen, was sie brauchten, sondern auch das, was sie nicht brauchten. Aber trotzdem meinte sie nicht, sie habe es verdient, über alle ihre früheren Kameradinnen erhöht zu werden.
Ja, wer war sie, daß ein hochgestellter Mann die Augen auf sie geworfen hatte?
Jeden Morgen, wenn sie erwachte, sagte sie zu sich selbst: »'s ist 'n Wunder, jawoll. Ja, 'n Wunder, 'n genauso groß' СКАЧАТЬ