Anna das Mädchen aus Dalarne. Selma Lagerlöf
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Название: Anna das Mädchen aus Dalarne

Автор: Selma Lagerlöf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Löwensköld-Trilogie

isbn: 9783754179987

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      Die alte verständige Jungfer hatte jetzt keine Angst mehr vor ihm. Tiefes Mitleid hatte sie ergriffen. Sie faßte seine Hand und streichelte sie. »Aber Sie verstehen doch wohl, Herr Magister? Sie dürfen nicht die Schuld auf sich nehmen für etwas, was Sie nicht getan haben.«

      »Doch«, sagte er. »Ich weiß, das ist das richtige. Und ich will gerne sterben. Ich will meiner Mutter zeigen, daß ich sie geliebt habe, und ich werde sehr glücklich sein, wenn ich sie dort im Jenseits treffen darf, nachdem alles gesühnt ist.«

      »Aber das wird nie geschehen«, sagte die Jungfer. »Ich werde mit dem Herrn Bürgermeister sprechen.«

      »Nein, das werden Sie nicht tun«, versetzte Karl Artur.

      »Warum sollte mich ein Richter nicht verurteilen können? Ich habe ja gemordet, obgleich ich weder Messer noch Schießwaffe benützt habe. Jaquette weiß, wie es zugegangen ist. Glauben Sie nicht, daß Härte und Lieblosigkeit gefährlicher sind als Stahl und Blei? Mein Vater weiß es auch, er kann es bezeugen. Ich kann wohl verurteilt werden, ich bin nicht unschuldig.«

      Die Jungfer wurde der Antwort überhoben. Zu ihrer großen Freude hörte sie Schritte die Treppe heraufkommen.

      Sie lief in den Flur hinaus und hoffte, dem Bürgermeister da noch ein warnendes Wort zuflüstern zu können; aber Karl Artur folgte ihr dicht auf den Fersen. Er hatte wohl die Absicht, sofort mit seinem Bekenntnis herauszurücken, fand aber nicht gleich die richtigen Worte.

      »Ach so, du bist wieder hier«, sagte der Bürgermeister. »Es war ja auch zu traurig mit der Frau Oberst.«

      Zugleich reichte er Karl Artur die Hand; doch dieser hielt seine rechte Hand hinter dem Rücken. Er richtete die Augen auf die Wand, und mit etwas zitternder, aber doch deutlicher Stimme sagte er: »Ich komme, Sie zu bitten, mich festnehmen zu lassen. Ich habe meine Mutter getötet.«

      »Ach, zum Kuckuck!« rief der Bürgermeister. »Die Frau Oberst ist ja wohl gar nicht tot! Ich traf soeben den Doktor …«

      Karl Artur wankte zurück. Die Jungfer glaubte, er werde fallen, und breitete die Arme aus, ihn aufzufangen. Aber er gewann doch das Gleichgewicht wieder. Dann riß er seinen Hut an sich, und ohne ein weiteres Wort stürzte er auf die Straße hinaus. Der erste Mensch, den Karl Artur erblickte, war der alte Hausarzt der Familie. Eilig lief er auf ihn zu und rief: »Wie geht es meiner Mutter?«

      Der Doktor sah ihn mißbilligend an. »Gut, daß ich dich treffe, du Nichtsnutz! Daß du dich nicht unterstehst, jetzt wieder nach Hause zu kommen! Was ist denn in dich gefahren? Setzt dich hin und hältst einer Kranken eine Strafpredigt!«

      Karl Artur brauchte nicht noch mehr zu hören. Mit Eilschritten lief er von dem Doktor weg, schnurstracks dem elterlichen Hause zu. Als er näher gekommen war, sah er seine verheiratete Schwester, Eva Arcker, an der Gartentür stehen.

      »Eva!« rief er. »Ist es wahr? Mutter lebt?« – »Ja«, sagte sie leise. »Der Doktor meint, sie werde am Leben bleiben.«

      Rasch wollte er die Tür aufreißen. Er dachte an nichts weiter, als hineinzustürmen, sich seiner Mutter zu Füßen zu werfen und sie um Erbarmen anzuflehen. Aber Eva hielt ihn zurück.

      »Du darfst nicht hinein, Karl Artur. Ich stehe hier schon lange, um dich abzufassen. Es ist ein sehr schwerer Schlaganfall gewesen. Die liebe Mutter kann nicht mir dir sprechen.«

      »Ich warte, solange es auch dauern mag.«

      »Nicht nur der lieben Mutter wegen darfst du nicht hinein«, sagte Eva mit leicht gerunzelter Stirne, »auch des lieben Vaters wegen. Der Doktor sagte, Mutter werde nie mehr ganz gesund werden. Und nun kann Vater deinen Anblick nicht ertragen. Wir wissen nicht, was geschehen könnte, wenn du mit ihm zusammentreffen würdest. Reis zurück nach Korskyrka, das ist das Beste, was du tun kannst.«

      Diese Worte seiner Schwester ärgerten Karl Artur. Er war überzeugt, daß sie sowohl des Vaters Zorn als auch die Gefahr für die Mutter, falls die Eltern ihn sähen, übertrieb.

      »Du und dein Mann, ihr habt mich immer bei Vater und Mutter ausstechen wollen«, sagte er. »Ihr versteht es, einen günstigen Augenblick zu benützen. Wohl bekomm's!«

      Damit drehte er sich auf dem Absatz um und ging davon.

      Es ist ja so bei uns Menschen, daß es uns nicht lieb ist, wenn etwas zerbricht. Ja, selbst wenn es nur ein irdener Topf oder ein Porzellanteller ist, lesen wir die Scherben zusammen, legen sie aneinander und versuchen sie zusammenzukitten, um das Stück wieder ganz zu machen.

      Etwas in dieser Art war es, womit Karl Artur Ekenstedt während seiner Rückreise nach Korskyrka beschäftigt war.

      Jedenfalls aber tat er das nicht den ganzen Tag hindurch, denn man darf nicht vergessen, daß in der vorhergehenden Nacht kein Schlummer in seine Augen gekommen war und daß er auch infolge der vielen aufregenden Ereignisse die ganze vergangene Woche hindurch nicht genügend geschlafen hatte. Jetzt aber kam der Körper mit seiner unbeugsamen Forderung, und so schlief Karl Artur trotz der rüttelnden Postkutschen, in denen er fuhr, und trotz all dem Kaffee, den er beim Bürgermeister in sich hineingegossen hatte, während des größten Teiles des Heimwegs.

      Aber während der kurzen Zeit, wo er wach war, versuchte er, Teile und Stücke von sich selbst aufzulesen, damit der Karl Artur Ekenstedt, der erst vor wenigen Stunden denselben Weg gefahren war und der drinnen in Karlstadt in viele Scherben zerschellt war, wieder ganz werden und aufs neue gebraucht werden könnte!

      Der eine oder andere denkt vielleicht, es sei ja nur ein erbärmlicher irdener Topf zerbrochen, und es lohne sich kaum der Mühe, Arbeit und Kitt auf ihn zu verwenden. Aber man muß Karl Artur doch entschuldigen, wenn er selbst nicht dieser Ansicht sein konnte, sondern glaubte, es sei eine Vase aus echtem Porzellan mit kostbarer Handmalerei und reicher Vergoldung, die zu Schaden gekommen war.

      Auf irgendeine Weise kam es ihm bei seiner Flickarbeit zustatten, an Schwester Eva und ihren Mann zu denken, sich über sie zu erregen und sich aller Gelegenheiten zu erinnern, bei denen sie Proben ihres Neides gezeigt und sich über die Ungerechtigkeit der Mutter beklagt hatten.

      Je mehr er an den alten Groll dachte, den Eva ihm gegenüber hegte, desto überzeugter wurde er, daß sie nicht die Wahrheit gesprochen hatte. Es stand gewiß nicht so gefährlich mit der Mutter, wie Eva hatte durchblicken lassen, und daß der Vater so aufgebracht gegen ihn sein sollte, das war gewiß nur eine Finte, die Eva und Arcker sich ausgedacht hatten. Sie hofften, sie könnten diese seine letzte Dummheit – die ja auch unbegreiflich groß war – benützen, um ihn für alle Zeit von dem Elternhause fernzuhalten.

      Gerade als er bei dem Schluß angekommen war, daß alles aufs beste verlaufen wäre, wenn ihn Eva nicht fortgewiesen hätte, überfiel ihn das Schlafbedürfnis, und er schlief ununterbrochen, bis die Postkutsche vor einem Wirtshause anhielt.

      Ein andermal, als er wach war, dachte er an Jaquette. Gegen sie wollte er nicht ungerecht sein; sie war nicht neidisch wie Eva. Sie war liebenswürdig, und sie hatte ihn gern. Aber war sie nicht recht einfältig? Wenn sie ihn bei der wichtigen Unterredung mit der Mutter nicht gestört hätte, würde er zwar wohl ungefähr dasselbe gesagt haben, aber sicherlich auf andere Weise. Es fällt einem nicht leicht, die Worte gut zu setzen, wenn die ganze Zeit jemand hinter einem steht, der einem am Arme zieht und einem zuflüstert, man solle sich in acht nehmen.

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