Anna das Mädchen aus Dalarne. Selma Lagerlöf
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Читать онлайн книгу Anna das Mädchen aus Dalarne - Selma Lagerlöf страница 6

Название: Anna das Mädchen aus Dalarne

Автор: Selma Lagerlöf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Löwensköld-Trilogie

isbn: 9783754179987

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СКАЧАТЬ einem gewissen Widerstreben dachte er bisweilen auch daran, daß Thea Sundler ebenfalls ihren Teil zu seinem Unglück beigetragen hatte. Sie war ja doch seine beste Freundin. Es gab ja niemand, auf den er sich in dem Maße verlassen konnte wie auf Thea; aber sie hatte vielleicht doch nicht genügend von der Welt gesehen, um ein sicherer Ratgeber zu sein. Darin hatte sie sich jedenfalls getäuscht, wenn sie meinte, die Mutter warte darauf, ihn um Verzeihung bitten zu können. Und wenn es auch nur von der großen Wertschätzung kam, die ihm Thea zuteil werden ließ und die allein ihr das Urteil getrübt hatte, so war sie doch immerhin die Veranlassung zu einem großen Unglück gewesen. Die Mutter hätte jetzt tot und er wahnsinnig sein können. Er war ja schon gut auf dem Wege dazu.

      Im übrigen mochte er nicht an den Besuch beim Bürgermeister und an die Unterredung mit der Jungfer denken. Es war ihm, als müsse er darüber aufs neue in Scherben brechen, und dann mußte ja die ganze Arbeit des Zusammensetzens wieder von vorne angefangen werden.

      Und abermals, während der wachen Augenblicke, kam er auf einen neuen Gedanken. Vielleicht gerade weil er dabei ein solches Entsetzen und so großen Kummer an den Tag gelegt hatte, könnte ihm das zu einer Hilfe werden. Seine Mutter würde schon davon reden hören und dann verstehen, wie lieb er sie hatte. Sie würde gerührt werden, sie würde nach ihm schicken, und sie würden sich miteinander versöhnen.

      Ja, er wollte an diesen Abschluß glauben. Jeden Tag wollte er Gott bitten, es auf diese Weise endigen zu lassen.

      Wenn man sich so unehrerbietig ausdrücken darf, dann war Karl Artur wieder ganz gut zusammengekittet, als er abends gegen elf Uhr in Korskyrka eintraf. Er wunderte sich selbst darüber, daß er diese furchtbare Gemütserschütterung doch einigermaßen gut überstanden hatte. Schläfrig war er aber immer noch, und als er vor dem Tor der Propstei ausstieg und den Kutscher bezahlte, freute er sich schon darauf, sich nun in einem Bett ausstrecken und sich sattschlafen zu können.

      Als er sich nach dem Seitenflügel wandte, kam indes das Mädchen mit dem Bescheid, im Eßzimmer warte ein warmes Abendessen auf ihn. Er wäre freilich am liebsten gleich zu Bett gegangen, aber das war doch sehr freundlich von der Pröpstin; sie hatte wohl gedacht, nachdem er den ganzen Tag gereist sei, könnte ihm eine richtige Mahlzeit notwendig sein, und so ging er mit dem Mädchen hinein.

      Das hätte er indes doch wohl nicht getan, wenn er nicht gewußt hätte, daß sich niemand im Hause befand, der ihn über seine Reise ausfragen könnte. Die Alten waren natürlich längst zu Bett gegangen, und Charlotte war ja nicht mehr da.

      Als er über den Flur ging, wäre er beinah über eine dicht neben der Tür stehende Kiste, oder was es sonst sein mochte, gefallen. »Ach, nehmen Sie sich in acht, Herr Magister!« sagte das Dienstmädchen. »Dies sind Frau Schagerströms gepackte Sachen. Wir haben den ganzen Tag über allerlei in Stroh verpackt und in Tücher eingenäht.«

      Trotzdem fiel es Karl Artur nicht ein, daß Charlotte von Groß-Sjötorp hergefahren sein könnte, und noch weniger, daß sie vielleicht in der Propstei übernachte. Ganz ruhig ging er ins Eßzimmer und setzte sich zu Tisch.

      Eine lange Weile blieb er ungestört und hatte also gut Zeit, sich sattzuessen. Als er aber die Hände zum Tischgebet faltete, hörte er Schritte auf der Treppe. Es waren schwere, schleppende Schritte; Karl Artur dachte, es sei die Pröpstin, die von seiner Reise hören wollte, und so konnte er nicht davonlaufen, was er freilich am liebsten getan hätte.

      Im nächsten Augenblick ging die Tür auf, und es kam jemand herein. Ach, es wäre schon schlimm genug gewesen, wenn die Pröpstin unter der Tür gestanden hätte; aber nein, es war Charlotte! Das war das schlimmste, was ihm widerfahren konnte. Er war nicht umsonst fünf Jahre mit ihr verlobt gewesen – er kannte sie! Ach, welchen Auftritt würde es nun geben, wenn sie erfuhr, daß die Mutter einen Schlaganfall gehabt hatte! Sie würde ihn abkanzeln. Obgleich er furchtbar müde war, würde er sie stundenlang anhören müssen. In aller Eile beschloß er deshalb, spöttisch höflich gegen sie zu sein, was er ja in der ganzen letzten Zeit schon getan hatte. Das war immer die beste Art, sie in angemessener Entfernung von sich zu halten.

      Ehe er aber etwas sagen konnte, war Charlotte schon tiefer ins Zimmer hereingekommen, und die beiden Talglichter auf dem Tische beleuchteten nun hell ihr Gesicht. Und da sah Karl Artur, daß sie ganz verweinte Augen hatte und todesblaß war. Es mußte ihr etwas Furchtbares widerfahren sein.

      Das nächstliegende war für ihn, zu denken, sie fühle sich wegen ihrer Heirat tiefunglücklich. Aber andererseits sah es ihr gar nicht ähnlich, das so offen zu zeigen. Und der gewesene Bräutigam war wohl der letzte, dem sie einen Einblick in diese Sache gewährt hätte. Ach ja, ganz richtig! Vor ein paar Tagen hatte Karl Artur gehört, daß Charlottes Schwester, Frau Dr. Romelius, lebensgefährlich erkrankt sei. Nun glaubte er zu verstehen, was eingetroffen war.

      Charlotte nahm einen Stuhl und setzte sich an den Eßtisch. Mit einer sonderbar harten und ausdruckslosen Stimme begann sie zu sprechen, so wie man es tut, wenn man sich vorgenommen hat, unter keinen Umständen in Tränen auszubrechen. Sie sah Karl Artur nicht an, man hätte meinen können, sie redet laut mit sich selbst.

      »Vor einer Stunde ist Hauptmann Hammarberg hier gewesen«, begann sie. »Er war in Karlstadt und ist heute morgen etwas später als du von dort abgereist. Aber er fuhr mit zwei Pferden und traf viel früher hier ein. Er sagte, er sei auf der Straße an dir vorbeigefahren.«

      Karl Artur rückte seinen Stuhl vom Tisch zurück. Wie ein scharfer Stich durchfuhr es ihn vom Kopf bis hinunter ins Herz.

      »Als er an der Propstei vorbeifuhr, sah er die Fenster im Studierzimmer noch erleuchtet«, sprach Charlotte ebenso umständlich und eintönig weiter. »Da meinte er, der Propst sei noch nicht zu Bett gegangen. Er stieg aus, denn er konnte sich das Vergnügen nicht versagen, dem Propst zu berichten, wie sich sein Vikar heute in Karlstadt aufgeführt hat. Er erzählt solche Sachen sehr gerne.«

      Stich auf Stich fuhr Karl Artur vom Kopf hinab und durchs Herz. Alles, was er den Tag hindurch zusammengelesen und zusammengekittet hatte, war wieder am Auseinanderfallen. Jetzt würde er hören, wie seine Mitmenschen seine Handlungen beurteilten.

      »Wir hatten die Haustür nicht geschlossen, weil wir dich jeden Augenblick zurückerwarteten, deshalb konnte er ungestört ins Studierzimmer eintreten. Aber der Oheim war eben zu Bett gegangen, und darum traf er diesen nicht an, sondern mich. Ich saß am Schreibtisch und schrieb Briefe, denn ich hätte nicht an Schlaf denken können, ehe ich gehört hatte, wie es dir in Karlstadt ergangen war. Jetzt erfuhr ich es von Hauptmann Hammarberg, und ich glaube, es war ihm eine größere Freude, es mir berichten zu können, als dem Oheim.«

      »Und du, Charlotte, hast ihm natürlich mit nicht geringerem Genuß zugehört«, fiel ihr Karl Artur ins Wort.

      Charlotte machte eine leicht abwehrende Bewegung. Dieser kleine Ausfall war keiner Antwort wert. Das war nur etwas, wonach Leute greifen, die in großer Not sind, sich aber trotzdem überlegen zeigen wollen. Sie fuhr in ihrem Bericht fort:

      »Hauptmann Hammarberg blieb nicht lange da. Er ging seines Weges, sobald er erzählt hatte, daß du deiner Mutter eine Strafpredigt gehalten habest und sie darauf einen schweren Schlaganfall bekommen habe. Ja, und von deinem Besuch beim Bürgermeister sprach er auch. Ach, Karl Artur, Karl Artur!«

      Als Charlotte das alles gesagt hatte, war es aus mit ihrer Beherrschung. Sie drückte das Taschentuch auf die Augen und schluchzte.

      Aber nun ist es ja so mit uns Menschen, daß es uns nicht lieb ist, wenn jemand über uns weint. Und ebensowenig erfreut uns der Gedanke, ein anderer habe gerade vorhin einen komischen Bericht darüber gehört, wie dumm und lächerlich wir uns benommen haben. СКАЧАТЬ