Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ auf mich allein! Du mein Gott! das ist Alles Selbstsucht. Verschiedene Formen des Egoismus, aber immer Egoismus. Wie wenn ich auch einmal ein wenig an Andre dächte? Das ist doch die allererste Pflicht. Ich will doch mal die Sache auch unter diesem Gesichtspunkt betrachten. Wenn ich nicht mehr da bin, wie wird's dann hier aussehen? – Wenn ich mich dem Gericht stelle, so stecken sie mich wieder in's Zuchthaus. Gut. Aber es ist doch noch der Bezirk, die Stadt, die Fabriken, eine neu geschaffene Industrie, die Arbeiter mit ihren Familien, die armen Leute da! Das Alles habe ich in's Leben gerufen und erhalte ich im Gange, überall, wo ein Kamin raucht, habe ich das Feuer angezündet und Fleisch in den Kochtopf gethan; ich habe den Wohlstand, den Verkehr, den Kredit ermöglicht; vor mir war das Alles nicht; ich habe das ganze Land gehoben, belebt, beseelt, befruchtet, angeregt, bereichert; gehe ich, so fehlt dem Ganzen die Seele. Und die Arme, die so viel erduldet, die sich trotz der Schande so tapfer gezeigt hat, deren Unglück ich ohne meine Schuld veranlaßt habe! Und das Kind, das ich holen und der Mutter bringen wollte! Schulde ich ihr nicht auch etwas für all das Unheil, das ich über sie gebracht habe. Verschwinde ich – was geschieht dann? Die Mutter stirbt, und das Kind ist dem Schlimmsten ausgesetzt. Alles dies passirt, wenn ich mich anzeige. Wenn ich mich nicht anzeige – nun?

      Nachdem er diese Frage aufgeworfen, hielt er inne; zauderte eine Weile und zitterte; aber dies währte nicht lange und er beantwortete die Frage mit großer Ruhe:

      »Nun dann kommt Champmathieu allerdings in Zuchthaus, aber warum zum Teufel hat er denn gestohlen? Ich mag reden, so viel ich will: Gestohlen hat er. Ich bleibe hier und setze mein Werk fort. Im Laufe von zehn Jahren verdiene ich zehn Millionen; die verschenke, die verwende ich zum Nutzen des Gemeinwohls. Ich behalte nichts für mich; mein Vortheil bleibt bei Allem, was ich thue, aus dem Spiel. Der allgemeine Wohlstand nimmt beständig zu; neue Erwerbszweige entstehen und beleben sich gegenseitig; die Fabriken vermehren sich; die Familien, Hunderte, Tausende von Familien werden glücklich; das Land bevölkert sich; es entstehen Dörfer, wo früher nur vereinzelte Gehöfte standen; Gehöfte, wo jetzt Einöden sind; das Elend verschwindet und mit dem Elend die Lüderlichkeit, die Prostitution, Diebstahl, Mord, alle Laster, alle Verbrechen. Bleibe ich also, so kann die arme Mutter ihr Kind groß ziehen und die Bevölkerung eines ganzen Landes wird wohlhabend und brav. War ich denn ganz des Teufels, ganz verdreht, daß ich mich denunziren wollte? Ich muß mir wirklich die Sachen sorgfältiger überlegen und nichts überstürzen. Wie? Weil es mir belieben würde mit einer melodramatischen Seelengröße zu prahlen, weil ich nur an mich denken würde, wer weiß, was für einen Kerl, einen Spitzbuben, jedenfalls aber einen Thunichtgut vor einer zu harten, aber im Grunde genommen verdienten Strafe retten möchte, sollte ich ein ganzes Land zu Grunde gehen lassen, müßte ein armes Weib im Spital, ein armes kleines Mädchen auf der Straße umkommen, als wenn es Hunde wären! Das wäre ja ganz was Abscheuliches! Bevor die Mutter ihre Tochter wieder gesehen, die Tochter ihre Mutter kennen gelernt hat! Und alles dies einem lumpigen alten Apfeldieb zu Liebe, der, wenn nicht deswegen, doch gewiß für irgend etwas Anderes Zuchthaus verdient hat. Nette Gewissenhaftigkeit, wenn man einen Schuldigen rettet und unzählige Unschuldige hinopfert! Wie kann ein alter Strolch, der nur noch wenige Jahre zu leben hat und im Zuchthaus sich nicht viel unglücklicher fühlen wird, in Betracht kommen gegen ein ganzes Volk von Müttern, Frauen, Kindern! Die arme kleine Cosette hat nur noch mich auf der ganzen Welt und hat in diesem Augenblick die bitterste Kälte zu leiden! Uebrigens auch herrliches Gesindel, die Thénardiers! Diese Unglücklichen alle sollte ich also im Stich lassen! Und gesetzt auch, ich beginge ein Unrecht, ich setzte mich Gewissensbissen aus, so würde ich mir ein großes Verdienst erwerben, indem ich, um das Wohl Anderer zu fördern, mit einer schlechten Handlung mein Seelenheil gefährdete!«

      Mit diesen Worten, stand er auf und ging wieder im Zimmer hin und her. Dies Mal glaubte er mit sich zufrieden zu sein.

      Wie man die Diamanten nur in den Tiefen der Erde findet, so entdeckt man auch die Wahrheit nur, wenn man ihr lange und fleißig nachgräbt. So glaubte auch Madeleine jetzt, nachdem er so lange gegrübelt, endlich die Wahrheit zu Tage gefördert zu haben, und freute sich an dem blendenden Glanze des herrlichen Kleinodes.

      »Ja ja, dachte er, so ist's richtig. Das Problem ist gelöst. Ich weiß jetzt, woran ich mich zu halten habe. Jetzt nicht mehr gewankt und geschwankt! Das Interesse Aller erheischt es so, nicht das meinige. Ich bin Madeleine und will Madeleine bleiben. Wehe Dem, der Jean Valjean ist! Ich bin's nicht mehr! Ich kenne den Menschen nicht, weiß nicht, wer er ist. Fügt es sich jetzt so, daß Einer Jean Valjean heißt, so mag er zusehen, wie er fertig wird. Mich geht das nichts an. Es ist nun einmal ein Unglücksname, der herrenlos in der Luft schwebt, und fällt er auf irgend Jemand herab, so kann ich es nicht ändern!«

      Er besah sich in dem kleinen Spiegel, der über dem Kamin hing und sagte:

      »Sieh' da! Der Entschluß hat mir Erleichterung verschafft. Ich sehe jetzt weit besser aus.«

      Wieder that er einige Schritte und blieb dann stehen: »Vorwärts! Jetzt heißt es, die Konsequenzen des gefaßten Entschlusses ziehen. Noch giebt es Fäden, die mich mit Jean Valjean verbinden! Die muß ich zerschneiden! In eben diesem Zimmer befinden sich noch Gegenstände, die mich anklagen, stumme Zeugen, die gegen mich aussagen könnten. Die müssen vernichtet werden!«

      Er griff in seine Tasche, holte seine Börse heraus und entnahm ihr einen kleinen Schlüssel.

      Diesen steckte er in ein Schlößchen, das durch ein dunkles Feld der Tapete fast ganz bedeckt und kaum sichtbar war, und öffnete eine kleine Thür zu einem versteckten Wandschrank. Es befanden sich darin nur einige zerlumpte Kleidungsstücke, ein blauer Leinwandkittel, ein paar alte Beinkleider, ein alter Tornister und ein an beiden Enden mit Eisen beschlagener Knotenstock. Die Jean Valjean im Oktober des Jahres 1815 in Digne gesehen hatten, würden leicht die verschiedenen Stücke dieser elenden Ausrüstung wieder erkannt haben.

      Er hatte sie, wie die Leuchter, zur Erinnerung an seinen Ausgangspunkt aufbewahrt, mit dem Unterschiede, daß er, was er aus dem Zuchthaus mitgebracht, versteckte, und das Geschenk des Bischofs sehen ließ.

      Nun warf er einen verstohlenen Blick nach der Thür, als fürchtete er, sie könnte, trotzdem der Riegel vorgeschoben war, sich öffnen; dann raffte er hastig Alles zusammen, ohne alle diese Gegenstände, die er so lange Jahre so sorgsam und mit so viel Gefahr aufbewahrt hatte, auch nur eines Blickes zu würdigen und warf alles in's Feuer.

      Dann verschloß er wieder den Wandschrank und schob mit durchaus überflüssiger Vorsicht – denn der Versteck war ja jetzt seines Inhalts entleert – ein schweres Möbel vor.

      Nach Verlauf einiger Sekunden erhellte das Zimmer und das gegenüberliegende Haus ein grelles rothes Flammenfeuer. Alles brannte. Der Knotenstock knisterte und sprühte bis in die Mitte des Zimmers helle Funken.

      In der Asche, die der verbrannte Tornister nebst den darin enthaltenen greulichen Lumpen zurückließ blieb etwas Glänzendes zurück, ein Geldstück, wahrscheinlich das dem Savoyarden gestohlene Zweifrankenstück.

      Er aber beachtete nicht das Feuer, sondern ging mit gleichen Schritten auf und nieder.

      Plötzlich blieben seine Augen an den beiden silbernen Leuchtern haften, die vom Wiederschein des Feuers matt erglänzten.

      »Halt! dachte er. Das genügt Jean Valjean zu verderben. Das muß auch weg.«

      Das Feuer im Kamin war stark genug, die Leuchter in eine unförmliche Masse umzuschmelzen.

      Er bückte sich und wärmte sich einen Augenblick, was ihm wohl that. »Wie gemüthlich solch' ein Feuer ist!« dachte er.

      Dann rührte er in der Kohlengluth mit einem der Leuchter herum und warf sie dann beide in die Flammen.

      In dem Augenblick war es ihm, als rufe in seinem Innern eine Stimme:

      »Jean СКАЧАТЬ