Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ als eine Betrachtung dieser Art! Das Auge des Geistes findet nirgend grelleres Licht und schwärzere Finsterniß, als im Menschen; es kann nichts begegnen, das furchtbarer, verworrener, rätselhafter und unendlicher wäre. Es giebt etwas, das großartiger anzuschauen ist, als das Meer: der Himmel; etwas, das großartiger ist, als der Himmel: des Menschen Geist.

      Wer das Innere des Menschenhirns, auch nur eines Menschenhirnes, ja auch nur des unbedeutendsten beschreiben könnte, würde das Höchste und Schwerste damit geleistet haben. Welch ein Chaos von Wahnbildern, Begierden, Bestrebungen, Träumen! Welch ein Schlupfwinkel für Gedanken, die sich ihrer selbst schämen! Welch ein Pandämonium von Sophismen! Welch ein Schlachtfeld der Leidenschaften! Könnte man nur in gewissen Stunden mit den Blicken hineindringen in das Innere eines Menschen, den seine Gedanken peinigen! Man würde dann hinter der äußern Ruhe des fahlen Antlitzes homerische Riesenkämpfe, wilde Schlachten zwischen Drachen und Hydren, wie in Miltons Paradies, sich abspielen, dicht gedrängte Schaaren von Schreckbildern, wie in Dantes göttlicher Komödie, aufsteigen sehen. Wie schauerlich ist jene unendliche Welt von Ideen und Empfindungen, die jeder Mensch in sich trägt, und an der er mit Verzweiflung die Bestrebungen seines Hirns und die Thaten seines Lebens mißt!

      Alighieri sah eines eine Thür, vor der er zurückbebte. Auch wir stehen jetzt vor der Schwelle einer solchen Thür. Wagen wir aber dennoch, sie zu öffnen. Wir haben nur noch wenig zu dem hinzuzufügen, was unseren Lesern über Jean Valjean's Schicksale seit seiner Begegnung mit dem kleinen Gervais schon bekannt ist. Wie schon geschildert, war er von Stunde an ein andrer Mensch. Was der Bischof aus ihm machen wollte, das setzte er in Wirklichkeit um. Sein ganzes Wesen läuterte und verklärte sich.

      Es gelang ihm zu verschwinden, er verkaufte das Silbergeschirr des Bischofs mit Ausnahme der Leuchter, die er zum Andenken behielt, schlich sich von Stadt zu Stadt durch ganz Frankreich hindurch bis nach Montreuil-sur-Mer, wo er sich eine unangreifbare Stellung schuf. Hier gab er sich dem Glücksgefühl hin, daß seine schreckliche Vergangenheit durch eine friedvolle, sichre Gegenwart ausgelöscht sei, und der Hoffnung, er würde jetzt verborgen bleiben und einen heiligen Lebenswandel führen können, seinen irdischen Verfolgern entfliehen und zu Gott zurückkehren.

      Diese beiden Gedanken waren in seinem Geiste so eng mit einander verschlungen, daß sie ein einziges Ganzes bildeten, sie nahmen gebieterisch sein ganzes Sein in Anspruch und bestimmten seine geringfügigsten Handlungen. Meistentheils herrschte Eintracht zwischen diesen zwei Prinzipien; sie bestimmten ihn, sich bescheiden der Welt und ihrem Glanze zu entziehen, machten ihn wohlwollend und schlicht, und flößten ihm beide dieselben Gedanken ein. Bisweilen jedoch kam es vor, daß sie mit einander in Kampf geriethen. Dann trug der Mann, den ganz Montreuil-sur-Mer nebst Umgegend Herrn Madeleine nannte, kein Bedenken, das erste dem zweiten, seine persönliche Sicherheit seiner Tugend, zu opfern. So hatte er, aller Vorsicht und allen Geboten der Klugheit zum Trotze, die Leuchter des Bischofs in seinem Besitz behalten, seinen Wohlthäter betrauert, alle Savoyardenjungen zu sich beschieden und ausgefragt, Erkundigungen über Familien in Faverolles eingezogen, dem alten Fauchelevent trotz Javerts argwöhnischen Bemerkungen das Leben gerettet. Nach dem Vorbilde aller Weisen, Frommen und Gerechten dachte er, daß die Pflichten gegen sich selbst nicht die ersten sind.

      Doch war ihm bisher ein so schwieriger Gewissensfall, wie dieser, noch nicht vorgekommen. Noch nie war der Widerstreit zwischen den beiden Grundsätzen, die den Unglücklichen lenkten, ein so heftiger und gefährlicher gewesen. Dies begriff er zwar unklar, aber nachhaltig, bei den ersten Worten Javerts. Als der Name, den er so tief vergraben hatte, unter so sonderbaren Umständen vor ihm ausgesprochen wurde, erfaßte ihn starres Entsetzen, war er wie betäubt, erbebte er wie die Eiche, wenn ein Gewitter naht, wie ein Soldat vor der Schlacht. Er sah in seinem Geiste düstre Wolken über sich, aus denen bald Blitz und Donner hervorbrechen würden. Während er Javerts Worten lauschte, wandelte ihn der Gedanke an, er müsse hineilen, sich angeben, Champmathieu aus dem Gefängniß befreien und seine Stelle einnehmen. Es war schmerzhaft und peinvoll, wie ein Schnitt in sein eigen Fleisch, aber es ging vorüber, und er dachte: Aber – aber! Er unterdrückte also diese erste edle Regung und schrak zurück vor dem heldenmüthigen Opfer.

      Freilich, nach den frommen Ermahnungen des Bischofs, nach so langer Reue und Selbstverleugnung, bei dem wunderbar tiefen Reuegefühl, das ihn beseelte, hätte er selbst Angesichts einer so gräßlichen Gefahr nicht einen Augenblick schwanken und ruhig dem Abgrund zuschreiten sollen, der zum Himmel führte; aber so schön dies gewesen wäre, so wenig würde dies der Wahrheit entsprechen, die wir doch allein im Auge behalten müssen. Der Trieb der Selbsterhaltung gewann fürs Erste die Oberhand; er sammelte rasch seine Gedanken, drängte seine Empfindungen zurück, nahm sich vor dem gefährlichen Javert zusammen, schob jede Entscheidung mit der Hartnäckigkeit der Angst für eine spätere Zeit auf, betäubte sein Gewissen und schirmte sich wieder mit seiner alten Ruhe, gleich einem Krieger, der den ihm entfallenen Schild aufhebt.

      Den ganzen Tag über verharrte er in diesem Zustande: Innen ein Wirbelsturm, nach Außen eine unbewegliche Maske, – und alle Maßregeln, die er ergriff, waren solche, die ihm die Wege nach den beiden entgegengesetzten Seiten hin offen ließen. In seinem Hirn wogten alle Gedanken wirr durcheinander, er konnte keine klare Vorstellung fassen, und er selber hätte über sich nichts aussagen können, als daß er einen furchtbaren Schlag erhalten. Er begab sich wie gewöhnlich an das Schmerzensbett Fantinens und dehnte seinen Besuch recht lange aus, indem er sich von seiner Herzensgüte dazu getrieben fühlte, alle möglichen Vorkehrungen für den Fall, wo er verreisen würde, zu treffen. Er hatte die Empfindung, daß er vielleicht sich nach Arras verfügen müsse, und ohne sich diese Reise fest vorzunehmen, sagte er sich doch, da er keinen Argwohn zu fürchten habe, sei es ihm unbenommen der Gerichtsverhandlung beizuwohnen und bestellte bei Scaufflaire den Tilbury, um auf alle Fälle vorbereitet zu sein.

      Demgemäß ließ er sich auch sein Abendessen leidlich gut schmecken.

      Nachdem er sich in sein Zimmer zurückgezogen, sammelte er sich.

      Er überdachte seine Lage und fand sie so unerhört fürchterlich, daß er unter einem ihm selber unerklärlichen Impulse plötzlich sich von seinem Stuhl erhob und seine Thür verriegelte. Er fürchtete, es würde noch etwas hereinkommen. Er verbarrikadirte sich gegen mögliches Unheil.

      Gleich darauf blies er das Licht aus. Es war ihm unheimlich. Er fürchtete, es könne ihn Jemand sehen.

      »Was für ein Jemand?«

      Ach! das, was er zur Thür hinausgewiesen hatte, war hereingekommen; was er hätte blenden mögen, sah ihm jetzt ins Auge: Sein Gewissen.

      Sein Gewissen, oder in andern Worten Gott.

      Indessen in den ersten Augenblicken gab er sich einer beruhigenden Täuschung hin; es überkam ihn die Empfindung, daß er allein und in Sicherheit sei. Nun er den Riegel vorgeschoben, hielt er sich gegen einen Ueberfall gesichert; nachdem er das Licht ausgelöscht, dünkte er sich unsichtbar. Da gewann er die Herrschaft über sich wieder, stützte die Ellbogen auf den Tisch, vergrub den Kopf in seine Hände und begann in der Dunkelheit angestrengt nachzudenken.

      »Was geht denn mit mir vor? Träume ich nicht? Was habe ich erfahren? Ist es wirklich wahr, daß ich Javert gesprochen, und daß er mir das Alles erzählt hat? Was mag denn der Champmathieu für ein Mensch sein? Also er ähnelt mir? Wie ist das möglich? Wenn ich denke, wie ruhig ich gestern noch lebte, wie fern mir alle Furcht lag! Was that ich doch gleich gestern zu derselben Zeit? Wie wird sich die Sache weiter entwickeln? Was thun?«

      So tobte der Sturm in seinem Innern. Sein Hirn verlor die Fähigkeit, die Gedanken fest zu halten; sie rollten davon wie Wellen, die der Wind vor sich her jagt, und er drückte, als wolle er ihnen die Flucht unmöglich machen, seine Hände fester gegen seine Stirn.

      Dieser Aufruhr der Gedanken und Empfindungen, die er in die Form einer klaren Erkenntniß, eines festen Entschlusses zwängen СКАЧАТЬ