Germinal. Emile Zola
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Название: Germinal

Автор: Emile Zola

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783754175019

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СКАЧАТЬ hatte eine Uhr, aber er schaute sie nicht an. In dieser sternenlosen Nacht irrte er sich nie um fünf Minuten. Alle legten das Hemd und den Kittel wieder an. Dann stiegen sie vom Schlag herunter und hockten nieder, die Ellbogen an die Seiten gedrückt, mit den Hinterbacken auf den Fersen ruhend, in der Haltung, die den Grubenarbeitern so angewohnt war, daß sie sie selbst außerhalb der Grube beibehielten, ohne eines Pflastersteines oder eines Balkens zu bedürfen, um sich darauf zu setzen. Jeder hatte seinen »Ziegel« hervorgeholt und aß mit ernster Miene von der dicken Brotschnitte, wobei er nur selten ein Wort über die Morgenarbeit fallen ließ. Katharina, die stehengeblieben war, trat schließlich zu Etienne, der sich ein Stück weiterhin quer über die Schienen gelagert hatte, mit dem Rücken an die Verholzung gelehnt. Er hatte da ein fast trockenes Plätzchen gefunden.

      »Du ißt nicht?« fragte sie mit vollem Munde, ihren »Ziegel« in der Hand.

      Dann erinnerte sie sich des Jungen, der in der Nacht herumirrte ohne einen Sou, vielleicht ohne ein Stück Brot.

      »Willst du mit mir teilen?« fragte sie.

      Als er ablehnte mit der Beteuerung, daß er keinen Hunger habe, wobei aber der Schmerz des leeren Magens seine Stimme zittern ließ, fuhr sie in heiterem Tone fort:

      »Wenn es dich vielleicht ekelt!... Doch schau, ich habe nur auf dieser Seite abgebissen und will dir die andere Seite geben.«

      Schon hatte sie die Brotschnitten entzweigebrochen. Der junge Mann hatte seine Hälfte genommen und mußte an sich halten, um sie nicht auf einmal zu verschlingen; er legte die Arme auf seine Schenkel, damit sie sein Zittern nicht sehe. Mit der ruhigen Miene eines guten Kameraden hatte sie sich neben ihm platt auf den Bauch hingelegt, das Kinn auf die eine Hand gestützt, während sie mit der anderen langsam aß. Ihre Laternen, die zwischen ihnen standen, beleuchteten sie.

      Katharina betrachtete ihn einen Augenblick schweigend. Sie mußte ihn hübsch finden mit seinem feinen Gesicht und seinem schwarzen Schnurrbart. Ein vergnügtes Lächeln umspielte ihre Lippen.

      »Also, du bist Maschinist, und man hat dich bei deiner Eisenbahn entlassen... Warum?«

      »Weil ich meinen Chef geohrfeigt hatte.«

      Sie war verblüfft, völlig verwirrt in ihren ererbten Vorstellungen von Unterwerfung und leidendem Gehorsam.

      »Ich muß sagen, daß ich getrunken hatte«, fuhr er fort. »Wenn ich trinke, verliere ich den Kopf und möchte mich selbst und andere fressen... Jawohl; zwei Gläschen genügen, und ich suche einen Menschen, um ihn zu vertilgen... Nachher bin ich zwei Tage krank.«

      »Du solltest nicht trinken«, sagte sie in ernstem Tone.

      »Sei ohne Angst, ich kenne mich!«

      Er schüttelte dabei den Kopf. Er haßte den Branntwein; es war der Haß des letzten Sprößlings eines Säufergeschlechtes, der das Übel der ganzen, vom Alkohol durchtränkten und verdorbenen Sippe dermaßen im Fleische hatte, daß ein Tropfen davon für ihn zum Gifte wurde.

      »Es ärgert mich nur wegen meiner Mutter, daß ich auf die Straße gesetzt wurde«, sagte er, nachdem er einen Bissen hinuntergeschluckt hatte. Meine Mutter ist nicht glücklich, und ich sandte ihr von Zeit zu Zeit ein Hundertsousstück.«

      »Wo ist deine Mutter?«

      »Sie ist Wäscherin in Paris, Goldtropfengasse.«

      Es trat ein kurzes Schweigen ein. Wenn er an diese Dinge dachte, trübte ein Zittern seine schwarzen Augen, gleichsam die vorübergehende Beklemmung des Erbübels, dessen unbekannter Ausgang ihm im Leibe steckte unter der Hülle seiner jugendlichen Gesundheit. Einen Augenblick saß er da und starrte in die Finsternis der Grube; in dieser Tiefe sah er unter der erdrückenden Wucht der Erde seine Kindheit wieder, seine noch schöne und kräftige Mutter, die von seinem Vater verlassen und sich später mit einem andern wieder verheiratet hatte; die sodann zwischen zwei Männern lebte, die an ihr zehrten, und mit denen sie in den Straßenschmutz sank, um in Wein und Unflat unterzugehen. Er erinnerte sich sehr wohl der Straße und vieler Einzelheiten: der schmutzigen Wäsche inmitten des Ladens, des Stiefvaters, der mit seiner Trunkenheit das Haus verpestete, der Maulschellen, die es absetzte, daß die Kinnbacken schier aus den Fugen gingen.

      »Von meinen dreißig Sous, die ich täglich erwerben soll, werde ich ihr nichts schenken können«, hub er langsam wieder an ... Sie wird sicherlich in Not und Elend verkommen.«

      Er zuckte verzweifelt mit den Achseln und biß wieder in seine Brotschnitte.

      »Willst du trinken?« fragte Katharina, indem sie ihre Blechflasche entkorkte. »Es ist Kaffee, der Trunk kann dir nicht schaden ... Man erstickt, wenn man sein Essen so hinunterwürgt.«

      Doch er lehnte ab; es sei schon genug, daß er ihr die Hälfte ihres Brotes genommen habe. Doch sie drang gutherzig in ihn und sagte schließlich:

      »Gut, ich werde zuerst trinken, weil du so höflich bist ... Jetzt darfst du aber die Flasche nicht mehr zurückweisen. Das wäre häßlich.«

      Damit reichte sie ihm die Flasche. Sie hatte sich auf den Knien aufgerichtet; er sah sie jetzt ganz nahe bei sich in Lichte der beiden Lampen. Warum hatte er sie denn häßlich gefunden? fragte er sich selbst. Jetzt, da sie ganz schwarz war, das Gesicht mit einem feinen Kohlenstaube bestreut, fand er einen seltsamen Reiz an ihr. In diesem in Dunkel getauchten Antlitz schimmerten die Zähne glänzend weiß aus dem zu groß geratenen Munde hervor; die Augen erweiterten sich und leuchteten mit einem grünlich schimmernden Widerschein wie Katzenaugen. Ein Büschel ihrer roten Haare war unter ihrer Mütze hervorgeschlüpft und kitzelte sie am Ohr, daß sie lachen mußte. Sie schien ihm jetzt nicht mehr so jung und konnte sehr wohl vierzehn Jahre alt sein.

      »Um dir gefällig zu sein«, sagte er, trank und gab ihr hernach die Flasche zurück.

      Sie nahm noch einen Schluck und nötigte ihn, gleichfalls noch einen zu nehmen. Sie wolle mit ihm teilen, sagte sie. Es machte ihnen Spaß, wie dieser dünne Flaschenhals von einem Munde zum anderen wanderte. Er fragte sich plötzlich, ob er sie nicht in seine Arme nehmen und auf den Mund küssen solle. Sie hatte dicke Lippen von einer blassen, durch die Kohlenschwärze etwas belebten Röte, und diese Lippen erregten eine quälende, immer stärkere Begierde in ihm. Doch ihm fehlte der Mut, und er blieb schüchtern vor ihr. Er hatte sich in Lille nur mit Dirnen der niedrigsten Gattung abgegeben und wußte nicht, wie er sich einer Arbeiterin gegenüber, die noch im Kreise ihrer Familie lebte, benehmen solle.

      »Du bist vierzehn Jahre alt?« fragte er, als er sich wieder an sein Brot machte.

      Sie war erstaunt, fast beleidigt durch diese Frage.

      »Was, vierzehn Jahre? Ich bin fünfzehn alt!... Groß bin ich allerdings nicht... Die Mädchen wachsen hier langsam.«

      Er fuhr fort, sie auszufragen. Sie sagte alles nicht dreist und nicht scheu. Ihr war nichts mehr unbekannt vom Manne und vom Weibe, obgleich er sehr wohl merken konnte, daß sie an ihrem Körper jungfräulich war, ein jungfräuliches Kind, in der Reife seines Geschlechtes zurückgeblieben in dieser Umgebung von schlechter Luft und Mühsal, in der sie lebte. Sobald er wieder auf die Mouquette zu sprechen kam, um sie in Verlegenheit zu bringen, erzählte sie ruhigen, heiteren Tones geradezu entsetzliche Geschichten. Die trieb es bunt! Als er zu erfahren wünschte, ob sie selbst nicht schon einen Liebsten habe, antwortete sie scherzend, daß sie ihre Mutter nicht kränken wolle, daß dies aber doch notwendigerweise eines Tages werde geschehen müssen. Sie hatte die Schultern eingezogen, denn sie fror ein wenig in ihren von Schweiß durchtränkten Gewändern. Ihre Miene war sanft СКАЧАТЬ