Название: Das Geschlechtsleben der Hysterischen - eine medizinische, soziologische und forensische Studie
Автор: Siegfried Placzek
Издательство: Bookwire
Жанр: Медицина
Серия: gelbe Reihe
isbn: 9783752900910
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Dass die ursprüngliche Anschauung von der ursächlichen Bedeutung der Geschlechtsorgane für die Hysterie sich ins Gegenteil wandelte, zur völligen Ablehnung jedes ätiologischen Zusammenhangs der Genitalorgane für die Hysterie, muss umso mehr wundernehmen, als die Rückwirkung der Hysterie auf den Genitalapparat, und zwar eine vielfältige, symptombildende, von der modernsten Neurologie vertreten wird. Wenn krankhafte oder wenigstens abnorme psychische Einstellung weitgehende Fernwirkung auf die Genitalfunktionen übt, sollten letztere nicht auch das Zentralnervensystem berühren und schwerwiegend verändern können? Sollten derartige Wechselbeziehungen in umgekehrter Richtung nicht wenigstens theoretisch denkbar sein? Mir erscheint es bei der Bedeutungsschwere des Genitalapparats für die ganze psychische Verfassung des Individuums absolut sicher, obwohl ich die weitgehende symptombildende hysterische Eigenart durch Einfluss der Geschlechtsfunktionen nicht unterschreibe.
Beim Manne erklärt Lewandowsky es als »reine Willkür«, ob man sämtliche Symptome der psychischen Impotenz, die mangelnde Erektion, die ejaculatio praecox usw. in ihrer großen Zahl von Fällen zur Neurasthenie oder Hysterie zählen will l. c. S. 60.. In anderen Fällen, wo die sexuellen Störungen von Zwangsgedanken abhängen, sei die reine Abgrenzung gegen die Hysterie schwierig. Ob es sich endlich um den störenden Einfluss von psychischen Vorgängen auf die Genitalfunktionen handle, – hier kann ja die ängstliche Erwartung, ob der Koitus gelingen werde, sein Zustandekommen vereiteln, – es sei nicht einzusehen, warum diese exquisit psychogenen Störungen nicht zur Hysterie gerechnet werden können. Psychogen könnten auch gehäufte Pollutionen sein. Selbst die Spermatorrhöe könnte ebenso bedingt sein, und die ausstrahlenden Schmerzen der Parästhesien, welche die Störungen im Bereich der männlichen Genitalorgane fast immer begleiten, unterschieden sich in nichts von den hysterischen Schmerzen.
Also der umgekehrte Weg, – von der hysterischen Psyche zu den männlichen Genitalien – ist viel befahren, führt zu den seltsamsten Störungen, und die Frage taucht zwingend auf:
Sollte es sich nicht bei den Beziehungen von Genitalorganen und Hysterie um einen circulus vitiosus handeln können? Zum mindesten überall dort, wo ein disponiertes Nervensystem besteht, auf das die organischen Empfindungen und Vorstellungen, evtl. auch physiologisch-chemische Reize besonders störend einwirken? Andererseits sollte das einmal hysterisch entartete Nervensystem nicht wieder seinen Schädlichkeitseinfluss auch zu den Genitalien entsenden können? Selbst die bekannte Tatsache, dass Knaben die erste Erektion gelegentlich einer körperlichen Züchtigung bekommen, will Lewandowsky »durch einen dem Psychischen nahestehenden« Mechanismus erklären. Er erwähnt es, weil es in der Vorgeschichte Nervöser und auch Hysterischer »nicht so selten« vorkommt. Soll aus diesem Vorkommnis aber irgendein Zusammenhang erschlossen werden? Was ist denn natürlicher, als dass die leichte Ansprechbarkeit der Erektionsfähigkeit gerade unter dem die Züchtigung begleitenden Affekt der Angst und des Schmerzes erfolgt! Auch die Möglichkeit unmittelbarer mechanischer Reizwirkung auf das Lendenzentrum ist nicht von der Hand zu weisen. Weshalb aber nur ein Zusammenhang mit der Hysterie, weil solch Mechanismus in der Vorgeschichte vorkommt? Eine andere Frage, ob und wie weit eine solche körperliche Züchtigung des Jugendlichen bestimmend für die spätere Frage des Sexualtriebes werden kann, braucht hier nicht erörtert zu werden. Jedenfalls scheint es mir zu weit zu gehen, wenn Lewandowsky noch die Frage ventiliert, ob das Hysterische bereits als Ausdruck einer sexuell pathologischen Konstitution oder einer sexuell pathologischen Richtung anzusehen ist. Jedenfalls darf, wenn Lewandowsky so viele Einflussmöglichkeiten der Hysterie auf die Genitalfunktionen für möglich hält, der Einfluss der Genitalfunktionen auf die hysterische Psyche nicht gering bewertet werden, sicherlich auslösend, vielleicht sogar erzeugend.
Wenn schon beim Manne so vielfältige Beziehungen annehmbar sind, so noch mehr bei der Frau, wo Lewandowsky den Vaginismus als die bekannteste Störung im Bereiche des weiblichen Genitalapparates anspricht. Dessen psychogene Entstehung hält er schon nach dem Erfolg der Psychotherapie »für vollkommen sicher«; er will aber nicht bestreiten, dass in anderen Fällen echt reflektorische Momente wirksam sein können. In jenen Fällen ist wieder die Symptombildung der hysterischen Psyche gerade in den weiblichen Genitalien sicher, »als Form hysterischer Sensibilitätsstörungen in dieser Körperregion möglich, Schmerzen und Hyperästhesien auf der einen Seite, Analgesien und Anästhesien der Vaginalschleimhaut auf der anderen Seite, in allen Stufen und Kombinationen bis zu den Fällen, wo nur die Wollustempfindung oder der Orgasmus fehlt«. Die Entstehungsmöglichkeit dieses Zustandes durch eine angeborene psychische Anlage verkennt Lewandowsky nicht, doch sieht er auch in erworbenen psychischen Zuständen und gerade in letzteren »durchaus hysterische Mechanismen«. Als speziell hysterisch sollen die Fälle gelten, in denen diese Mechanismen unbewußt wirksam sind.
Als entgegengesetzt der hysterischen Genital-Anästhesie nennt Lewandowsky noch jene Fälle, die den Koitus oder sonstige geschlechtliche Akte halluzinatorisch erleben.
Wir finden also in der Monographie über Hysterie zahlreiche Wechselwirkungen von Genitalapparat und Hysterie erwähnt, in ihren Einstellungs- und Fortbildungsmöglichkeiten erörtert, – doch kaum ein Sterbenswörtchen vom Geschlechtsleben der Hysterischen selbst.
Von den chronischen Erkrankungen der weiblichen Genitalien glaubt Strohmayer l. c. S. 820., dass sie mit ihren Schmerzen, Aufregungen usw. »sicher Hysterie hervorrufen können«, wie alle anderen Schädlichkeiten, die Soma und Psyche des Weibes treffen. »Spezifisch ist der Zusammenhang zwischen beiden nicht.« Strohmayer spricht schon von dem Sexualleben der Hysterischen. Eine gesteigerte sexuelle Begehrlichkeit gehöre nicht notwendig zum Krankheitsbilde der Hysterie. Zahlreiche Hysterische seien im Gegenteil nicht nur nicht abnorm erregbar, sondern sogar indifferent und frigide. Strohmayer gibt aber zu, dass oft ein deutlicher Hang zur Erotik besteht. Dieser erschöpft sich aber vollständig in zarter Annäherung, in äußerlichem Kokettieren, besonders wenn es gilt, eine Nebenbuhlerin auszustechen. Die körperlichen Geschlechtsgenüsse sind Nebensache oder werden sogar direkt verabscheut.
Als unumstößliches Dogma will Strohmayer diese Auffassung vom Geschlechtsleben der Hysterischen wohl nicht angesehen wissen, denn er erwähnt noch »nach dem Geständnis vieler Ehemänner« den jähesten Wechsel zwischen Extremen, bald leidenschaftliche Begehrlichkeit, bald abstoßende Kälte, vergisst auch nicht eine gewisse Perversität im Sexualleben als »bei manchen Hysterischen unverkennbar« zu erwähnen. »Während sie normalen Geschlechtsgenuss verabscheuen, treiben sie Masturbation, regen sich an lasziver Lektüre auf oder überlaufen Frauenärzte zum Zweck sexueller Untersuchung und fortgesetzter gynäkologischer Prozeduren. Das, was bei Hysterischen von erotomanischen oder nymphomanischen Zügen berichtet wird (schamlose Prostitution von »anständigen« Mädchen oder Ehefrauen), gehört in das Bild der degenerativen Hysterie, in dem auch andere ethische Defekte zahlreich vorhanden sind!« Für unbestreitbar hält er den Einfluss der Menstruation auf das Gemütsleben mancher hysterischen Frau im Sinne eines erregenden Momentes, das alle krankhaften Symptome markanter hervortreten lässt.
Reichardt l. c. lehnt jeden direkten Zusammenhang der hysterischen Disposition mit der Sexualsphäre oder dem Sexualleben ab. »Viele sogenannte Hysterische haben eine völlig normale vita sexualis. Bei anderen hysterischen Personen mit abnormer psychischer Sexualität ist die psychopathische oder degenerative Veranlagung die Ursache der abnormen СКАЧАТЬ