Название: Das Geschlechtsleben der Hysterischen - eine medizinische, soziologische und forensische Studie
Автор: Siegfried Placzek
Издательство: Bookwire
Жанр: Медицина
Серия: gelbe Reihe
isbn: 9783752900910
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Je schwankender das Nervensystem ist, je suggestiver und hemmungsloser das hysterische Grundnaturell, je entarteter die Grundanlage, um so gefahrvoller wird schon in dieser Phase der sexuelle Drang. So kommt es vor, dass das hysterische Mädchen nach Befriedigung schreit, sie abenteuernd sucht, sich Männern aufdrängt, und zwar nicht einem Mann allein. »Von einfacher Koketterie bis zur Schmierenschauspielerei finden wir hier alle Übergänge,« sagt Lewandowsky Die Hysterie. Springer, Berlin 1914, S. 85. Das ist auch nicht verwunderlich, denn reizvoll im Äußeren, reizvoll im Wesen, wie gerade hysterische junge Mädchen oft sind, wirken sie bestechend auf die Männer- und die Frauenwelt, und, durch ihre Erfolge angestachelt und selbstbewusst, spotten sie aller erziehlichen Einflüsse, aller ernsten Warnungen und Voraussagen. Dass sie die Waffen der Koketterie besonders wirksam handhaben, ist nur zu begreiflich. Die Koketterie, diese »Betätigungsform der Passivität Fuchs, S. 238.«, ist nun einmal ein besonders weibliches Attribut, ist das wichtigste Werbemittel der Frau um den Mann in allen Zeitepochen und wird naturgemäß von der erotisierten Hysterika besonders geschickt und wirksam verwertet. Gejagt und getrieben von dem qualvollen inneren Drang, der selbst starke, erziehlich aufgebaute Schranken durchbricht und umwirft, wird das junge Geschöpf so früh und nur zu leicht ein Opfer seiner Lüste und sinkt mit dem einmal begonnenen Fall von Stufe zu Stufe.
Ein unsagbar trübseliges Bild, diese kaum dem Kindesalter entwachsenen und unrettbar dem Verderben geweihten Geschöpfe, die nur zu leicht in dem Sumpf der vagierenden Prostitution für immer versinken! Zu dieser hemmungslosen sexuellen Betätigung wirkt mitbestimmend vielleicht die allgemeine hochgradige Hyperästhesie, die je nach ihrem Sitz örtlich verhängnisvoll wird, und die als Hyperästhesie der Vulva und Vagina reizverstärkend, auf der anderen Seite Koitus verhindernd erscheint.
Doch der das tiefinnerste Empfinden aufrührende Sturm des erwachenden reifenden Geschlechtslebens mit seiner qualvollen Spannungsanhäufung und seinem sehnsüchtigen Drang führt auch bei hysterischen Jugendlichen nur selten zu vorzeitiger, hemmungsloser, explosiver Entladung mit ihrer dauernden Nachwirkung fürs ganze Leben. Andersartige, auf den ersten Blick kaum zugehörige, seltsame Triebhandlungen sind es, die an die Stelle der sexuellen Befriedigung sans phrase treten oder vielmehr deren Ersatz bilden, sofern Freud mit seiner Lehre recht hat. Nach seiner Lehre schafft Ablenkung sexueller Triebkräfte von sexuellen Zielen und Hinlenkung auf neue Ziele mächtige Komponenten für alle kulturellen Leistungen, ein Prozess, den er Sublimierung nennt. »So wirkt die Libido, oder überhaupt die Sexualität als Triebkraft auf das seelische Leben, regt die als Phantasie bezeichneten Assoziationsvorgänge an, wird dadurch von größter Bedeutung für das künstlerische Schaffen, ja selbst für das abstrakte Denken kann sie förderlich sein, intellektuelle Leistungen bedeutend fördern,« sagt Löwenfeld Löwenfeld, Über die sexuelle Konstitution und andere Sexualprobleme. Bergmann, Wiesbaden 1911, S. 176.. Allerdings kommt er bei eingehender Würdigung von Einzelfällen, und zwar Dichtern und Künstlern, zu dem Ergebnis, »dass der Anteil der Sublimierung an dem dichterischen Schaffen im Einzelfalle ein sehr verschiedener sein mag, und dass auch die Liebe nicht immer die anregende Rolle spielt, die man ihr zuzuschreiben zumeist geneigt ist. Wenn wir streng kritisch verfahren wollen, müssen wir sogar zugestehen, dass bei manchen Dichtern es fraglich ist, ob Sublimierungsvorgänge auf ihre Produktivität überhaupt Einfluss ausüben. Was für Dichter gilt, darf nun wohl auch für Künstler angenommen werden, und es scheint demnach, dass die Beziehungen der Sexualität zur Kunst im Großen und Ganzen nicht so außerordentlich bedeutungsvoll sind, wie man auf Grund einzelner auffallender Beispiele vielfach annahm l. c. S. 209.«. Wenn auch Löwenfeld seine Ansicht über das Problem: Kunst und Sexualität »manchem vielleicht etwas ketzerisch klingend« nennt, so zögert er nicht, die Ansicht auszusprechen:
»Die größten unter den Künstlern, die wahrhaft genialen, bedürfen für ihr Schaffen des aus der Sublimierung resultierenden Zuwachses von geistiger Energie nicht, wenn es auch gelegentlich den Anschein hat, als ob sie auf diesem Wege eine auffällige Förderung gewonnen hätten. Für die Größen zweiten und dritten Ranges bildet dagegen die Sublimierung eine bedeutende Hilfe; sie kann bei ihnen, insbesondere, wenn sie von erotischen Neigungen begleitet ist, die schon versiegende Schaffenskraft neu anregen und dieselbe zeitweilig zu außergewöhnlicher Höhe steigern. Doch ist man nach den vorliegenden Erfahrungen auch bei diesen Künstlern keineswegs berechtigt, Sublimierungsvorgänge als eine unentbehrliche Vorbedingung ihres Schaffens zu betrachten.«
Auf Grund der eigenen Erfahrung teile ich durchaus Löwenfelds Ansicht, dass ein Vergleich der Stärke des weiblichen Geschlechtstriebes mit dem männlichen sich nicht »durch eine einzige allgemeine Angabe« bezeichnen lässt.
»Wir begegnen beim Weibe allen Abstufungen in der Entwicklung des Sexualtriebes, die wir beim Manne in der Breite des Normalen, und, wie wir beifügen können, über diese hinaus auf pathologischem Gebiete antreffen, nur sind die geringen Grade dieser Entwicklung, wenigstens bei einem Teile unserer Bevölkerung, häufiger vertreten, und zeigt die Libido periodisch wiederkehrende Schwankungen, die beim Manne fehlen« Löwenfeld, 1. c. S. 77..
Für sicher hält er es nur, dass die absolute Frigidität beim zarten Geschlecht weit häufiger vorkommt als beim starken. Sie ist aber nicht gleichmäßig über alle Schichten der weiblichen Bevölkerung verteilt, ist zweifellos in den sozial höherstehenden und gebildeteren Klassen beträchtlicher als in den unteren. Was von der geringeren Stärke der Libido des Weibes behauptet wird, gilt nur für die sozial höherstehenden Klassen, in welchen ererbte Anlage, Erziehung, zum Teil wohl auch höhere Intelligenz zusammenwirken, das Niveau der Libido herabzudrücken. Dass in den unteren Schichten unserer weiblichen Bevölkerung die sexuellen Bedürfnisse durchschnittlich geringer sind, als bei den Männern, hierfür liegt keinerlei stichhaltiger Beweis vor.
Freud glaubt es durch vielfältige Erfahrung bewiesen, »dass die Genitalien für die Lustgewinnung durch andere Organe vertreten werden können, wie beim normalen Kuss, wie in den perversen Praktiken der Lebewelt, wie in der Symptomatik der Hysterie« Freud, Allg. Neurosenlehre. S. 371.. Bei der Hysterie sollen ganz gewöhnliche Reizerscheinungen, Sensationen und Innervationen, selbst die Vorgänge der Erektion, die an den Genitalien daheim sind, auf andere, entferntere Körperregionen verschoben werden. Gerade durch die Symptomatik der Hysterie will Freud zu der Auffassung gelangt sein, »dass den Körperorganen außer ihrer funktionellen Rolle eine sexuelle – erogene – Bedeutung zuzuerkennen ist, und dass sie in der Erfüllung dieser ersteren Aufgabe gestört werden, wenn die letztere sie allzu sehr in Anspruch nimmt.«