Название: Das Geschlechtsleben der Hysterischen - eine medizinische, soziologische und forensische Studie
Автор: Siegfried Placzek
Издательство: Bookwire
Жанр: Медицина
Серия: gelbe Reihe
isbn: 9783752900910
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Es bleibt also ein erstaunliches, bisher unerklärliches Phänomen, – auch Binswanger gesteht, keine Erklärung zu wissen, – dass Passes – ohne jede Suggestion – lokale Veränderungen mit Neigung zur Irradiation auf der gleichen Körperseite hervorrufen. Unterstellt man die Ansicht Dr. Alrutz als zutreffend, dass »Energien«, also Emanationen des Menschen, solche Wirkungen üben können, so sind wir mitten in der bisher verlachten Reichenbachschen Lehre. Jedenfalls gebietet diese neueste Wandlung Vorsicht!
B. Die sexuelle Wurzel der Hysterie
Inmitten der seltsamen Wandlungen in der Hysterielehre, nämlich Aufwärtsentwicklung bis zum anscheinend gesichertsten Einheitsbau, jäher Zusammenbruch durch Unterhöhlung der Fundamente und zeitweilige Wiedererrichtung, sehen wir groteske Rollenveränderungen in den Werturteilen, die man den Geschlechtsorganen und dem Geschlechtsempfinden als Ursachen der Hysterie beimaß. Dem Hippokrates schob man den Ausspruch zu, dass der Uterus wie ein wildes Tier im Körper herumschweife und glühend nach Kindern verlange. Hiermit tut man aber Hippokrates unrecht, denn, wie Steyerthal sagt, kommt das Wort »Hysterie« in des Hippokrates Schriften nur ein einziges Mal vor. In einem Vortrag des Timaeus findet sich die Stelle:
»Sowie der männliche Geschlechtstrieb einem wilden Tiere gleich jegliche Schranken durchbricht, so gibt es auch im Schoße des Weibes einen Keim, der, wenn er unbefriedigt bleibt, wie ein hungriges Tier den Körper durchzieht und alles in Verwirrung bringt Steyerthal, Was ist Hysterie? S. 5«.
Also ein nach Kindererzeugung gieriges Tier ist der Uterus, das nach Befriedigung schreit, wenn anders es nicht wie ein hungriges Tier im Körper umherwandern und alles in Verwirrung bringen soll! Mit dieser Lehre wurde der Uterus von Galen zur Ursache der Hysterie gestempelt, und blieb es bis auf den heutigen Tag, trotzdem Charcot nachdrücklichst den Genitalorganen jede ursächliche Bedeutung für die Hysterie bestritt, und diese Ehrenrettung in der Neurologenwelt nach Charcot ein selbstverständliches Dogma wurde. Steyerthal spricht direkt von einer schmachvollen Fessel, die Charcot von einer schwer verkannten und verdächtigten Gruppe von Kranken riss, und vergleicht diese Tat mit jener des großen Arztes der Revolutionszeit, der die von einem grausamen Zeitalter für die Geisteskranken geschmiedeten Eisen zerbrach. Er nimmt den Fluch von der Hysterie, dass die unbefriedigte Liebessehnsucht des Weibes die Wurzel jenes Übels bilde.
»Zwei Jahrtausende hat die ärztliche Welt ob dieser Frage gestritten. Von Hippokrates bis Charcot ist in der Geschichte der Hysterie nur eine einzige Periode, – die Sexualperiode könnte man sie nennen –, denn während dieser ganzen Zeit kommt der Gedanke, das sexuelle Moment, von dem die Krankheit ihren Namen trägt, spiele wirklich eine Rolle dabei, nicht ganz zum Schweigen. Der große Maître de Salpetrière ist es, der den Wahn zerstört. Durch diese große Tat ist er nicht nur Philippe Pinel, sondern jedem gerecht und edel denkenden Menschen im Innersten verwandt. Wer heute Charcots Statue umstürzt und die Hysterie, also die Mannstollheit der Weiber, als Grund der Hysterie wieder in ihr Recht einsetzt, der handelt so wie einer, der aus der Rumpelkammer der Salpetrière die alten verrosteten Eisenklammern hervorsucht, um arme Seelenkranke hineinzuzwängen, und das tut ihr Gewährsmann ... Siegmund Freud in Wien Steyerthal, I. c.«
Oppenheim lehnt Beziehungen »des Uterus zu diesem Leiden«, (nämlich der Hysterie) nicht ganz ab, hält sie nur für »weit überschätzt Lehrb. d. Nervenkrankheiten. Karger, Berlin, S. 1394«. Er betont aber, dass »die Erkrankungen der Geschlechtsorgane« das Seelenleben besonders zu beeinflussen vermögen, denn »die mit diesem Leiden behafteten Frauen sind häufig unfruchtbar, ihr Geschlechtsleben ist mehr oder weniger beeinträchtigt, ihre Ehe meist keine glückliche, und das ist die Quelle, aus der die Hysterie ihren Ursprung herleiten kann.«
Ähnlich äußert sich Gruhle l. c.. »Wenn heftige, von den Frauenorganen ausgehende Schmerzen den Organismus herunterbringen, wenn durch eine Uterusverlagerung oder Myome eine Empfängnis verhindert wird, und eine Ehefrau unter der steril bleibenden Ehe seelisch sehr leidet, so können selbstverständlich neurasthenische Stimmungen auftreten, die zugleich mit der Ursache dann verschwinden.« Also doch ein unumwundenes Geständnis, dass Erkrankungen der Geschlechtsorgane die Hysterie entstehen lassen können, – nicht reflektorisch als direkter Reflexreiz, wie man auch anzunehmen pflegt, und wie besonders die Gynäkologen in grob mechanischer Auffassung annahmen und annehmen, sondern auf dem Umwege über die Psyche des Hysterieträgers! Nur die im Geleit der Erkrankung anschließenden Ideengänge, die Sorge um das eigene Schicksal, die Gefährdung der Fortzeugung, die Gefährdung der Ehe sollen die Psyche alterieren können! Sollte aber ein gleicher und wenigstens ähnlich starker psychischer Insult nicht auch von dem normalen Geschlechtsapparat als solchem auf dem Umweg über die Psyche möglich sein? Der ruhende Geschlechtsapparat des Weibes sendet doch ständig Empfindungen und Vorstellungen zum Gehirn und sättigt es mit erotischer Spannung, wie viel mehr muss jeder außergewöhnliche Vorgang im Geschlechtsapparat, besonders der menstruelle Reiz, die Wollusterregung, diese dauernde telegraphische Fernwirkung an Stärke überbieten! Kann es doch nur eine Frage quantitativer Wechselwirkung sein, wenn auch das normale Geschlechtsleben Hysterie auslöst. Lewandowsky spricht direkt von der bekannten Bedeutung der Menstruation »als einer Steigerung der Disposition zu einzelnen hysterischen Manifestationen« Die Hysterie. Springer, Berlin 1914, S. 124. Also als völlig Neues entsteht die Hysterie nicht aus dem Geschlechtsapparat, sondern die Anlage zur Hysterie, zumeist angeboren, ererbt, oft schon lange vor Eintritt des Uterinleidens offenkundig, muss vorhanden sein, und erst dann kann die Hysterie aufflammen. Ob das nur auf dem Umwege über die Psyche geschieht oder doch auch als reflektorischer Reiz möglich ist, erscheint mir immerhin fraglich.
Dass neben dem Uterus auch der Eierstock für die Hysterie verantwortlich gemacht wurde, kann nicht wundernehmen, da schon nach der alten Galen'schen Idee verhaltenes weibliches Sperma die hysterischen Krämpfe verschuldet, und noch 1846 Schutzemburger die Ovarien gleicher Schuld bezichtigte. Immerhin erscheint es doch mehr als auffallend, dass ein so scharfsinniger klinischer Beobachter wie Charcot die bisher noch phantastisch anmutende Lehre von der ursächlichen Beziehung des Ovariums zur Hysterie durch sein Dogma von der »Ovarie hystérique« bedenklich festigte. »Mehr als auffallend« sage ich, weil sein Vorgänger Briquet solchen Zusammenhang durchaus abgelehnt hatte. Wohl hatte auch dieser erkannt, dass fast die Hälfte aller Hysterischen an Schmerzen der Unterleibgegend litte, er spricht aber von der Coeliagie, einer Schmerzempfindlichkeit in der Colongegend. Für Briquet ist die Hysterie ein dynamisches Leiden derjenigen Teile des Gehirns, die den Affekten und Empfindungen dienen. Die Erregbarkeit dieser Teile werde durch die die Hysterie verursachenden Momente gesteigert, die affektiven Reaktionen verlaufen nicht mehr in normalen Grenzen, sondern übermäßig, ungeordnet und verkehrt. Die anscheinend erkrankten Organe wie Uterus, Magen usw. »n'éprouvent quelque chose quand l'encéphale à diriger vers eux ses manifestations«. Erst Charcot glaubte bei Druck auf diese Schmerzstelle das Ovarium, einen runden glatten Körper, abtasten zu können, und da er durch solchen Druck hysterische Krämpfe sogar kupieren, bzw. auslösen konnte, so musste es eben das Ovarium sein, was hier getroffen wurde, das doch im kleinen Becken liegende Organ, das man von außen gar nicht abtasten kann. Gläubig wurde auch dieses Dogma, wie alle Lehren Charcot's, aufgenommen und weitergelehrt. Und so pressten die Nervenärzte und Ärzte bei passender Gelegenheit СКАЧАТЬ