Das Geschlechtsleben der Hysterischen - eine medizinische, soziologische und forensische Studie. Siegfried Placzek
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Geschlechtsleben der Hysterischen - eine medizinische, soziologische und forensische Studie - Siegfried Placzek страница 10

СКАЧАТЬ nicht verwunderlich, dass diese Lehre einen Sturm entfachte, vom fanatischen Anhänger bis zum enragiertesten Gegner. Das musste umso leichter geschehen, weil ihre ausgesprochene Tendenz zur Verallgemeinerung von Einzeltatsachen, ihre ausgesprochene Neigung zur Dogmatisierung, ihre phantastische Rätselratemethode in der Traumdeutung wegen der Neuartigkeit ihrer Sexualitätstheorie mit ihren Konsequenzen für Bewusstes und Unbewusstes verwirrte. Wenn Steyerthal diese ganze Lehre damit abtun zu können glaubt, dass er sagt:

      »Je hirnverbrannter ein Gedanke ist, umso mehr wird er die Köpfe entzünden. Die Veröffentlichungen Siegmund Freuds hat man als einen Markstein in der Geschichte der großen Neurosen bezeichnet. Hoffentlich wird der olympische Wagen der Wissenschaft diesen Stein in der Rennbahn glücklich umfahren« Steyerthal, »Was ist Hysterie?« Marhold, Halle a. S. 1908. S. 12.,

       so irrt er nicht nur, er verkennt auch den schöpferischen Kern, der in dieser Lehre steckt. Und dabei gibt Steyerthal zu, »dass solche Fälle, wie sie die Wiener beschreiben, vorkommen, dass man auch für manche sonst unerklärbaren Neurosen (Angst- und Zwangszustände) ein geschlechtliches Moment im Einzelfall nicht übersehen darf«. Das sieht er »nach vielen Beobachtungen« als feststehend an. Doch er erachtet es als einen Fehlschluss, »der uns bei wissenschaftlichen Forschern oft begegnet«, dass »allemal, wo wir die Hysterie finden, ein solches Faktum im Spiel« gewesen sein soll, weil einmal jemand durch einen unsittlichen Angriff hysterisch geworden ist, »es wird also eine einzelne Tatsache auf das Ganze verallgemeinert, auf eine einzelne Beobachtung ein apodiktisches Urteil gebaut«. Diesem Vorwurf kann man beipflichten. Das veranlasst aber keineswegs, die Lehre in Bausch und Bogen zu verurteilen. Man mag zur Freudschen Lehre sich stellen, wie man will, man mag ihre Auswüchse beklagen, die besonders den Freud-Jüngern zur Last fallen, man mag ihre einseitige, pansexualistische Ausdeutung, ihre Verzerrungen in der Erfassung von Kindes- und Elternliebe bedauern, sie ist von einem tiefschürfenden, geistvollen Denker ersonnen, hat schon jetzt vielfältige, fruchttragende Anregungen gegeben, hat tief dunkle Phänomene dem Verständnis näher gebracht, und, was nicht minder wichtig ist, die Bedeutung der Sexualität in einer Weise gezeigt, dass die selbst von der ärztlichen Wissenschaft allzu lang geübte Vogel-Straußpolitik gegenüber allem Geschlechtlichen endlich aus ihrer Erstarrung erwacht. Die schroffe Ablehnung Steyerthals erscheint umso erstaunlicher, als Steyerthal mit seiner Auffassung des hysterischen Paroxysmus als Erschöpfungssymptom sich Freud auffallend nähert. Wie er das verstanden wissen will, zeigt er in folgenden Worten:

      »In einem unvorsichtig geheizten Dampfkessel steigt der Druck allmählich höher und höher, bis endlich der Zeiger des Manometers auf den roten Strich deutet, der die höchste zulässige Spannung angibt. In diesem Augenblick erfolgt eine Explosion – d. h. es platzt nicht etwa der Kessel, sondern das Sicherheitsventil wird gesprengt, und der eingepresste Dampf entweicht mit betäubendem Getöse durch die langgesuchte Öffnung.

      Genau so wirken die angehäuften Unlustgefühle im Seelenleben eines Menschen; sie werden zu Spannkräften, die schließlich jede Hemmung durchbrechen und sich in furibunder Expansion Luft machen. Wie man – um im Bild zu bleiben – das Sicherheitsventil am Kessel belasten kann, damit der Dampf nicht bei erster Gelegenheit auszischt, so hat der normale Mensch in der Selbstzucht, der guten Erziehung, oder sagen wir kurzweg in der persönlichen Energie das Mittel, welches trotz des inneren Dranges den Überdruck zurückhält. Das weibliche Geschlecht, durch Anlage, mangelnde Widerstandsfähigkeit und alle die übrigen, in Jahrtausende langer Sklaverei erworbenen Eigenschaften den Unbilden des Lebens gegenüber weit schlechter gerüstet, verliert auch dementsprechend häufiger die Kraft, die gespannten Unlustgefühle zu dämpfen: Das Sicherheitsventil fliegt auf, die elementaren Kräfte entweichen; schreiend, zuckend, strampelnd liegt die Kranke am Boden. Der hysterische Paroxysmus ist da. Das ist die Mechanik beim ersten Anfall, den ein Mensch erlebt. Der zweite ist schon weit leichter hervorzurufen: das Ventil schließt nicht mehr fest, und sind erst eine Reihe von Attacken dagewesen, so funktioniert der Verschluss dauernd unsicher« Steyerthal, S. 54..

       Setzt man an Stelle der »angehäuften Unlustgefühle« im Seelenleben das verdrängte, nicht erledigte, psychische bzw. sexuelle Trauma im Unterbewusstsein, so ist eigentlich kaum ein Unterschied in der Ausdeutung gegeben. Wir sehen also unter dem Einfluss der Freudschen Lehre, dass sexuelle Momente zu einer ausschlaggebenden Rolle bei der Hysterie avancieren. Von verdrängter Sexualität ist das Unbewusste erfüllt, kann dort sein Wesen treiben, muss in den Äußerungen des Unbewussten, den Träumen, als infantile Sexualwünsche zum Vorschein kommen, und die Hysterie muss Folge der Erlebnisse sein.

      Nicht recht verständlich ist es, wie Neutra von einem »vollkommenen Schiffbruch der Sexualtheorie durch die Kriegserfahrungen« sprechen kann, wenn er fortfährt:

      »... obwohl es nicht zu leugnen ist, dass in vielen Fällen von Hysterie der an dem psychischen Konflikte engagierte Trieb der Sexualtrieb ist. Er muss es aber nicht sein, sondern jeder andere Trieb ist ... ebenso geeignet, zur Trias der Hysteriewurzel, zu den Stücken des hysteriebildenden Konfliktes zu gehören, und daher erscheint die Anschauung von der sexuellen Genesis der Hysterie unhaltbar

      Nicht recht verständlich muss ich diese Auffassung nennen, denn das Bekenntnis, dass der Sexualtrieb im Einzelfalle hysteriebildend mitwirkt, genügt doch zur Annahme seines möglichen Anteils an der Genesis der Hysterie. Weitere Bedeutung mag ich ihm auch nicht zusprechen, die Ausnahmslosigkeit oder gar allein entscheidende Wirkung muss ich ihm sogar ausdrücklich bestreiten. Auch als eine von vielen Entstehungsbedingungen ist er allzu lange geringschätzig behandelt oder gar überhaupt vernachlässigt worden. Mit Neutra und im Gegensatz zu Freud halte ich allerdings jeden anderen Trieb für ebenso geeignet, geeignetenfalls hysteriebildend zu wirken.

       Der heuristische Wert der Freudschen Auffassung von der Entstehung der Hysterie ist unbestreitbar, wie man auch zu ihren Einzelheiten, und hier besonders ihrer einseitigen sexuellen Ätiologie sich stellen mag. Schon die Supponierung des Unbewussten fordert hypothetische Einstellungen, die man vom Boden der geläufigen psychologischen Lehre nur schwer aufbringen kann. Wir wissen ja nichts über die tatsächlichen Vorgänge, wenn ein Erlebnis dem Bewusstsein entschwindet. Sind es körperliche Verdrängungen, die es bewirken, und die bei bestimmter Wandlung es wieder aufleben lassen, oder was ist das Unbewusste, in das alle Erinnerungen versinken? Wo bleiben die Erinnerungen, wie ordnen sie sich, die doch in unzählbarer Menge ins Unbewusste hinabtauchen? Nach welcher Reihenfolge, nebeneinander, übereinander oder gar miteinander sich verschmelzend lagern sie sich? Ist das große Reservoir des Unbewussten dauernd aufnahmefähig? Nach welchem Prinzip geraten Erinnerungen automatisch in das Zentrum des Bewusstseins? Flottieren sie frei, um zufällig an die Oberflächengrenze zu gelangen? Kurz, eine rein hypothetische Annahme, dieses Unbewusste, und man kann das Bedenken Hellpachs verstehen, der in der Annahme des Unbewussten »das Untertauchen in einen Begriff« sieht, der »vielleicht metaphysische oder religiöse oder ästhetische Qualitäten, sicherlich aber keine wissenschaftlichen hat Grundlinien einer Psychologie der Hysterie. Engelmann, Leipzig.«. Hellpach meint sogar, dass die psycho-analytischen Gedankengänge Freuds ausgezeichnet waren, uns vor dem Absturz ins Unbewusste zu bewahren, und dass sie keinesfalls mit Notwendigkeit aufs Unbewusste hinabzuführen angetan waren. Indes, die Verdrängungsidee Freuds ist fruchtbar, bedeutungsvoll, nur in der ausnahmslosen Einstellung auf das Sexuelle unerträglich. Gleich unerträglich ist aber auch die Technik, mit der die Freudianer ihre Heilungsziele anstreben. Dass auch dem schöpferischen Meister Freud selbst ein Vorwurf nicht erspart werden kann, ist besonders bedauerlich. Der scharfsinnige Aschaffenburg Münch. med. Woch. 1906. Nr. 37.wird wohl wissen, warum er sagt: »Auf die Gefahr hin, von Freud und seinen Anhängern für unwissenschaftlich erklärt zu werden, muss ich gestehen, dass mir die Weise, mit der Freud in dem Falle, den er in seiner Arbeit ›Bruchstück einer Hysterieanalyse‹; schildert, das Geschlechtsleben erörtert und die Einzelheiten, über die dabei gesprochen wurde, zumal bei einer 14jährigen Patientin, einen nachhaltigen Widerwillen erregt haben«. Man braucht nicht so weit zu gehen wie Kräpelin, der uns »am Anfang vom Ende unseres Geschlechts« sieht, »wenn СКАЧАТЬ