Название: Schwarzer Freitag
Автор: Peter Schmidt
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783847655190
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"Sicher, weil ich noch nicht gefrühstückt habe."
"Hier, möchten Sie?“, fragte sie mit vollem Mund und hielt mir den angebrochenen Karton Lebkuchen hin.
"Nein, danke. Mir bekommen nur biologisch angebaute Lebkuchen. Das Zeug da ist ein Geschenk meiner Klasse. Meine Schüler schenken mir bei jeder Gelegenheit Lebkuchen. Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen jetzt unsere Sammlung alter Klassenfotos?"
"Alte Fotos, gütiger Himmel ... aber was tut man nicht alles für
gute nachbarschaftliche Beziehungen", seufzte sie.
"Sie werden begeistert sein. Die meisten meiner früheren Zöglinge sind jetzt Bankdirektoren, Manager, Theateragenten, Bürgermeister, Kardinäle oder Vorstandsvorsitzende."
"Also ausgemachte Krämerseelen, wollen Sie sagen?"
"Bitte?"
"Kein rechtschaffener Mensch wählt solche Berufe."
"Und Ihr Vater? Kommen wir mal auf Ihren Herrn Vater zu sprechen. Wovon lebt er eigentlich? Wie ernährt er seine Familie?"
"Mein Vater ist ein professionelles Überlebensgenie. Haben Sie schon mal was von Robin Hood gehört? Er sorgt für die Armen – und zwar auf Kosten der Reichen."
"Sicher, ich verfüge über eine solide Bildung. Außerdem war Robin Hood so etwas wie ein Vorläufer der Umweltbewegung. Er lebte mit seinen Getreuen im Wald und kämpfte für mehr Gerechtigkeit."
"Tatsächlich?“, fragte sie überrascht. "Auf Umweltschutz wäre ich nie gekommen. Also gut, dann zeigen Sie mir schon ihre lächerlichen Fotoalben. Haben Sie zufällig Pontechelly-Pralinen im Haus?"
"Pontechelly-Pral...? Nein."
"Trüffel in Cognaccreme. Gott, ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht. Die ganze Nacht über diese laute Musik. Pontechellys sind wie Aspirin für mich." Charlotte presste stöhnend ihre durchscheinenden weißen Finger gegen die Schläfen.
"Sie haben die Nacht bis zum Morgengrauen in einer dieser lauten Diskos zugebracht, stimmt's? Ich könnte den Delikatessenhändler an der Straßenkreuzung herausklingeln und ihm ein paar Pontechellys abluchsen."
"Wenn Sie das für mich tun würden, Paul ... das wäre wirklich großartig!" Charlotte (Tanja) schlang ihre dünnen Ärmchen um mich.
"Er wird fuchsteufelswild werden. Es ist dreiviertel fünf."
"Bis Sie da sind, ist es sechs."
"Er öffnet erst um neun."
"Ich würde sehr, sehr nett zu Ihnen sein", beteuerte sie. "Ich würde Ihnen das niemals vergessen. Schmerzen sind meine Achillesferse. Ich kann nicht mal vertragen, wenn mir der Friseur den Nacken ausrasiert."
"Dann sollten Sie vielleicht ein Desensibilisierungstraining belegen. Das könnte Ihnen die Angst nehmen. In der Gemeinde werden kostenlose Kurse abgehalten."
"Doch nicht etwa bei der Kirchengemeinde, Paul?"
"Und warum nicht, wenn ich fragen darf?"
"Das Weihwasser würde in den Becken verdampfen. Und die Kruzifixe fielen von den Wänden. Wir sind keine gewöhnliche Familie. Wir sind ... na ja, wir sind ziemlich überzeugte Atheisten."
"Bei den Evangelischen geht es viel nüchterner zu. Das finden Sie gar kein Weihwasser. Und Sie wären nicht der erste Atheist, der einen Kurs bei der Kirchengemeinde belegt. Wir hatten schon Huren, Päderasten und Leichenschänder. Die Kirche ist für alle da."
"Lieber nicht. Aber ein paar Pontechellys würden mir wirklich helfen."
Also machte ich mich seufzend auf den Weg durch den grauen Morgendunst.
Dazu war ich gezwungen, unser intaktes Viertel zu verlassen und in die Zone außerhalb von BIO-EINS vorzudringen.
Ein Zwergpinscher versuchte mir ins Bein zu beißen. Eine Möwe lud vom Gestänge des Kinotransparents ihre Morgentoilette auf mich ab. Der Sprengwagen der Straßenreinigung erwischte meine Hosenbeine.
Ein durch die Luft wirbelnder Margarinekarton traf mich am Hinterkopf, als ich das Gebläse der Tiefgarage passierte.
Gegen all diese morgendlichen Attacken klangen die Beschimpfungen des Konditormeisters geradezu wie Schmeicheleien. Er ist der Halbbruder meines Nachbarn Hitzacker, und als er mich endlich im Dunst erkannte, warf er eine ganze Packung Pontechellys mit der Bemerkung aus dem Schlafzimmerfenster, unsere einheimischen Pralinen seien mir wohl nicht gut genug.
Ich verfütterte das Zeug Stück um Stück an Charlotte (während sie ihren Kopf an meine Schultern gelegt hatte und in den Alben blätterte). Sie wirkte noch etwas fülliger, als vorher. Mag sein, dass bei dieser Konstitution schon drei- bis viertausend Kalorien ins Gewicht fallen.
Charlotte verzehrte etwa zehntausend, davon kann man natürlich eine gewisse Wirkung erwarten.
Ich legte vorsichtig meinen Arm um ihre Schultern.
"Sie waren doch kürzlich mit meiner Schwester Dagmar zusammen?"
"Nicht, dass ich wüsste." Wittgenstein stehe mir bei! Ein Mann in meiner Position kann es sich nicht einmal erlauben, in falschen Verdacht zu geraten, geschweige denn, wegen der Verführung Minderjähriger angeklagt zu werden.
"Diese verlogene Schlampe."
"Vielleicht hat sie mich mit jemand anders verwechselt."
"Nein, sie sagte: 'Es war Paul Grob von nebenan – der Bursche mit dem Umwelttick'. Dagmar flunkert eigentlich nur, wenn sie in Schwierigkeiten ist."
"Dass Sie Ihre eigene Schwester als Schlampe bezeichnen, macht mich doch etwas betroffen. Oder gelten solche Verbalinjurien in Ihrer Familie als Koseworte?"
"Verbalin...? Sprechen Sie lieber deutsch mit mir, Paul."
"Oh, Verzeihung."
"Die Schittecks haben es nicht nötig, sich anzulügen. Sie sind ehrlich und aufrichtig. Sie sagen, was sie denken. Dagmar ist ein wenig schlampig, sie treibt's mit mindestens drei Kerlen in der Woche. Und Sie sollten auch wissen, dass sie an chronischen Geschlechtskrankheiten leidet – resistenten Erregern, wenn Ihnen das etwas sagt?
Bei uns würde keiner so tun, als sei sie ein Engel. Sie will von ihren Freiern ein Kind, und wir unterstützen sie darin – ein hübsches kleines Kind mit Teufelskrallen und Hörnern – so blond gelockt wie Jesus Christus, dieser Scharlatan und Verführer."
"Was sagen Sie da ... ein Kind?“, fragte ich und stand auf. "Geschlechtskrankheiten?"
"Weil sie's immer ohne macht, die verrückte Nudel."
"Sie nehmen mich auf den Arm, Tanja?"
"Das müssten Sie doch selbst am besten wissen. Waren Sie denn nicht im Bahnhofshotel mit ihr?"
"Nein, wie kommen Sie darauf?"
"Sie geht mit allen Freiern ins Bahnhofshotel. Es kommt ihr СКАЧАТЬ