Schwarzer Freitag. Peter Schmidt
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Название: Schwarzer Freitag

Автор: Peter Schmidt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847655190

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СКАЧАТЬ ich nicht mehr bin, was ich war, sondern auf meine alten Tage (ich bin fünfzig, fühle mich aber eher wie achtundsechzig) die Polizei mehr fürchte als den Ausschluss aus der evangelischen Kirche.

      Jemand behauptete zwar, die Schitteckkinder besäßen gar kein Gehirn und wollte sogar das Bild einer Kernspin-Tomografie gesehen haben. Die betreffende Stelle im Kopf habe einen weißen Fleck gezeigt.

      Aber das war angesichts ihrer schöpferischen Energien wohl nur eine böswillige Verleumdung.

      Ich glaube, dass sie sehr wohl Gehirne hatten – und dass sie gleich nach der Geburt dem Teufel geweiht wurden.

      Den Schittecks war nichts heilig. Sie kippten ihre Abfälle aus dem Fenster auf die Straße und ließen das Haus um Mitternacht von Rock- und Popmusik erbeben.

      Unbarmherzig helle Scheinwerfer erleuchteten das Areal, damit jemand, der sich der Veranda näherte und höflich um ein wenig Nachtruhe bat, unweigerlich von einem aus dem Fenster fallenden Blumentopf oder dem Schuss aus einer Luftpistole getroffen wurde.

      Denn die Schittecks waren begabte Schützen, sie hatten, wie man so schön sagt, "Zielwasser getrunken". Ihre manuelle Geschicklichkeit ließ jeden professionellen Jongleur erbleichen.

      Ich sah in ihren Gesichtern die rumänische Abstammung und das – genetisch nur unwesentlich verwischte – Zigeunerblut.

      Andere dagegen behaupteten, nichts von alledem darin entdecken zu können, sondern eine eher nordische Herkunft. Wären die Schittecks gewöhnliche Asylanten gewesen – wie einfach, sie mit ein paar Eisenstangen oder Molotowcocktails aus der Stadt zu jagen.

      Aber leider waren sie nie so dumm oder leichtsinnig, bei der Ausländerbehörde Anträge wegen politischer Verfolgung zu stellen.

      2

      Meine erste Begegnung mit Dagmar, der minderjährigen Tochter aus einer "eingeschobenen Beziehung" (wie der Terminus technicus im Hause der Schittecks lautete), hinterließ in mir beträchtliche Zweifel an meiner sexuellen Verfassung.

      Ich habe in meinem Leben Lolita von Nabokow vielleicht zwölf bis achtzehnmal gelesen und bin mit den dort beschriebenen Problemen älterer Männer bestens vertraut.

      Von der Theorie her sollte es also kein nennenswertes Defizit bei mir geben.

      Aber leider hat sich auch für mich herausgestellt, das Theorie und Praxis wohl immer zwei verschiedene Schuhe bleiben werden.

      Es war einer jener sonnigen Samstagnachmittage, an denen ich gern hinter dem Haus im Schatten zweier knorriger Walnussbäume saß, um mich ganz meinen weltanschaulichen Überlegungen hinzugeben.

      Ich atmete die Freiheit des Geistes, das heißt, ich dachte darüber nach, warum ich in einer Zeit wie dieser, wo der materielle Verstand die Oberhand über die Vernunft erlangt hat und die Welt von Mikroprozessoren und Antibabypillen gesteuert wird, einem so antiquiert anmutenden Beruf wie dem des Philosophielehrers nachging.

      Die Antwort ist, dass ich ihn als Bastion und Oase empfand. Irokesenhaarschnitt, infrarotgesteuerte Bomben, Latexpenisse und Computerspiele, bei denen Asylanten gejagt und Kopfprämien vergeben werden – das alles verliert seine Wirkung, wird aufgehoben und verwandelt angesichts eines zweieinhalbtausend Jahre alten Nachdenkens über die Frage, was es mit der Welt auf sich hat.

      Durch das Küchenfenster hörte ich Xaveria zum sechsten Male in dieser Woche den Eichenboden schrubben (man hatte sie wegen ihrer nervösen Beschwerden für ein paar Tage vom Schuldienst beurlaubt).

      Dass er so hygienisch wie ein ausgeglühtes Pizzabrett war, verschaffte mir ein sicheres Gefühl, denn schon die Vorstellung von schädlichen Keimen löst allergischen Schnupfen bei mir aus.

      Den Schittecks bereitete es gerade Vergnügen, den größten, als "Feuchtbiotop" deklarierten Badesee des Landes anzulegen. Die Überschwemmung reichte bis zum Anwesen der Klein-Familie ...

      Glücklicherweise stand ihr Bungalow auf einer natürlichen Anhöhe. Die Häuser von BIO-EINS waren wie Rom auf sieben Hügeln erbaut, jedes mit eigener Holzveranda, Gras- und Kräuteranpflanzungen, Sträuchern und langstieligen Wildblumen.

      Wir hatten vor elf Jahren einen verfallenen Militärkomplex zwischen verkehrsumtosten Wohnsilos und dem Chemiewerk erworben, um darauf eine umweltbewusste Musterlandschaft anzulegen, ein Vorbild für das Wohnen der Zukunft.

      Durch einen etwa hundertfünfzig Meter langen Hohlweg, über den zwei Reihen dicker Rohre des Chemiewerks in die benachbarte Entsorgungsstation und zur Raffinerie laufen, gelangte man von BIO-EINS zu BIO-ZWEI.

      BIO-ZWEI war so etwas wie die größere Schwester von BIO-EINS.

      Das Areal wurde unserer Schule eigens von der Landesregierung für meinen "Schulversuch im Unterrichtsfach Ökologie" zur Verfügung gestellt, um die Richtigkeit der ökologischen Weltauffassung zu demonstrieren – unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten übrigens, was der örtlichen Presse immer wieder Anlas bot, kleine Artikel über unsere Arbeit zu verfassen.

      Ihr besonderes Interesse galt dabei einem Lebewesen, das BIO-ZWEI zum fast schon mystischen Wallfahrtsort der Biologen und Umweltschützer machte.

      Dort hatte sich nämlich – offenbar durch Mutation und wohl nicht ganz ohne Zutun des benachbarten Chemiewerks und der Bodenstrahlung – aus dem gewöhnlichen gelbbraunen Grasfrosch, der früher in den Feuchtbiotopen der Teiche und Bäche lebte, der "schwarzgrau melierte Kohlenfrosch" entwickelt.

      Obwohl in BIO-ZWEI an manchen Tagen immer noch kleine Rauchsäulen aus dem im Boden glühenden Koks aufstiegen, war das Gelände inzwischen vollständig bepflanzt und wieder so verwildert, dass man von einer nachindustriellen Urlandschaft sprechen konnte.

      Allerdings wurde es wegen des leicht radioaktiv strahlenden Abraums nie zur Bebauung freigegeben.

      BIO-EINS dagegen stand trotz der Nachbarschaft des Chemiewerks und der Raffinerie auf bestem Grund und Boden, weil der Wind gewöhnlich in nördliche Richtung wehte.

      Aus den Fenstern der Mietskasernen, die uns wie hohe Gefängnisbauten umgaben, beobachtete man ungläubig und immer noch voller Argwohn das Spiel der drei Windkrafträder auf den Hügelkuppen, die Solarzellen und bepflanzten Erddächer, und wartete darauf, ob nicht doch noch ein einziger starker Regenguss unsere Bungalows aus Holz und Lehm-Knochenleim-Sägemehl-Mischung einfach hinwegschwemmen könnte.

      Das Material wurde am Institut für ökologische Rohstoffe entwickelt und soll haltbarer sein als gewöhnlicher Mörtel.

      Es war eine heile Welt, gegen die alle Lustwogen der Spielsalons, Peepshows und Sexläden aus den angrenzenden Bezirken immer wieder vergeblich anbrandeten. Zwar fraß sich das Unheil trotz unseres erfolgreichen Versuchs wie beim Tageabbau der Braunkohle unaufhörlich weiter, aber es hatte sich dafür die ergiebigeren Randzonen der Stadt ausgesucht.

      Die Schittecks hatten genau wie wir eine völlig unbefangene Beziehung zum Unkraut. Es konnte gar nicht hoch genug wachsen.

      Darin waren sie ökologisch durchaus auf der Höhe der Zeit und "Alternative" im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht glaubten sie ja, der alte Brookmann habe ihnen mit dem Haus und seinem Anteil am Gelände von BIO-EINS auch das Recht vererbt, ungehemmt und ohne jeden Skrupel ihre ökologischen Schnapsideen auszuleben.

      Brookmann СКАЧАТЬ