Schwarzer Freitag. Peter Schmidt
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Название: Schwarzer Freitag

Автор: Peter Schmidt

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783847655190

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СКАЧАТЬ Gründe (Schwangerschaften, lebensbedrohliche Krankheiten) dagegen sprachen, begann der Tag der Schittecks gewöhnlich mit Sirenengeheul – einem auf- und abschwellenden Ton wie beim Luftalarm.

      Dagmar hatte mir anvertraut, dass dieser nervenaufreibende Lärm der einzige Schachzug sei, ihre Familie vor dem Mittagessen aus den Betten zu treiben. Angesichts einer Welt, deren Sinn sich dem Wachen immer mehr verschließt, vielleicht gar keine schlechte Methode, um dem Schicksal eins auszuwischen.

      Möglicherweise ahnten oder witterten die Schittecks auch schon wie Tauben und Katzen beim Erdbeben den kommenden Weltuntergang – die Endzeit, die für weniger medial begabte Gemüter leicht am Treibhauseffekt, an der Zunahme der UV-Strahlung, der Verseuchung des Grundwassers und dem Anstieg der Ozeane abzulesen ist.

      Als Beweis für die medialen Fähigkeiten der Schittecks brauchte man sich nur unsere Telefonverbindungen anzusehen.

      Jeder normale Mensch greift bei so erbarmungslosen Ruhestörungen sofort zum Hörer, um Anzeige zu erstatten. Aber die Leitungen waren während ihres Sirenengeheuls tot.

      Klein, der an Herzasthma leidet, gab nach drei Versuchen auf, und ich selbst konnte seine Beobachtung nur bestätigen, weil ich der Sache schon aus beruflichem Interesse an jeder Art von okkulten Phänomenen nachging.

      Jesus' Gang über den See Genezareth erscheint mir immer noch als eine der großen paranormalen Leistungen des Altertums. Kaum war der Lärm verstummt – und die Beweislast auf Seiten der Kläger –, funktionierten auch die Telefone wieder.

      Mag sein, dass die Störung eine völlig natürliche Ursache hatte und die Vibrationen ihrer Weckmethode bloß ein Relais im Schaltkasten außer Gefecht setzten. Um so erstaunlicher bei diesem Ruhebedürfnis, dass eines Morgens die älteste Tochter der Schittecks an meiner Haustür läutete.

      Xaveria befand sich gerade wegen ihrer nervösen Anfälle zur Beobachtung im Krankenhaus, deshalb nahm ich an, es sei etwas Unvorhergesehenes passiert. Um vier Uhr morgens würde ich unter normalen Umständen niemandem öffnen.

      Dass ein Mitglied der Schitteckfamilie so früh wach sein könnte, lag jenseits meiner Vorstellungskraft.

      Tanja hatte einen Strauß lilafarbener Rosen mit grünen Einsprengseln mitgebracht. Ein Anblick, der das Herz jedes Kenners höher schlagen lässt, denn diese Variante ist äußerst selten und besonders kostbar.

      Nach langem Suchen war es mir endlich gelungen, die Wahrheit der alten Blumenzüchter-Legende zu beweisen, dass solche Farbschattierungen genetisch überhaupt möglich sind. Sie wuchsen ganz ohne unser Zutun (sieht man einmal von der Bodenstrahlung und den Schadstoffen ab) in einer Grassenke oberhalb der "kleinen Grotte" von BIO-ZWEI, und als ich sie eines Morgens bei einem Spaziergang entdeckte, war es, als wohnte ich einem der großen Wunder der Schöpfung bei ...

      Seitdem hütete ich fünf Exemplare in dem winzigen Experimentaltreibhaus unseres Gartens, das sonst der genetischen Rekonstruktion von Urpflanzen dient.

      Allerdings muss ich gestehen, dass mich die Frage, ob Tanja denn nun wirklich auf den Strich ging (wie seit ihrem Einzug im Viertel gemunkelt wurde), momentan mehr beschäftigte als alles andere. Deshalb klang ihre Stimme Welten entfernt, als sie sagte:

      "Im Namen der Familie Schitteck überreiche ich Ihnen und Ihrer Frau feierlich diesen Strauß – auf gute nachbarschaftliche Beziehungen ..."

      "Meine Frau ist nicht da", murmelte ich geistesabwesend – Freud würde behaupten, um Tanja unbewusst darauf hinzuweisen, dass meine Wohnung sturmfrei sei. Obwohl ich zu diesem Zeitpunkt guten Gewissens das Gegenteil hätte behaupten können. Aber so verhält es sich nun mal mit den unbeleuchteten Tiefen unseres Bewusstseins.

      Tanja war ein dürrer Klepper und so knochig, dass man sie, ohne weiter darüber nachzudenken, sofort zum Frühstück einlud.

      Ihr Katzenblick erinnerte mich auf frappierende Weise an Charlotte Rampling, deshalb nannte ich sie fortan in Gedanken nur noch Charlotte.

      Charlotte, Licht meines Lebens, Feuer meiner Lenden. Meine Sünde, meine Seele. Char-lot-te: die Zungenspitze macht drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne. Char.Lot.Te – falls es erlaubt ist, vorzugreifen und für meine Liaison einen berühmten Dichter zu zitieren.

      Die schlichten Worte eines Lehrers der Philosophie wären Charlottes Reizen sicher nicht gerecht geworden. Mein Leben lang habe ich von knochigen Frauen geträumt. Doch das Schicksal hat mich bis zum Auftauchen der Schittecks und Xaverias Hungerkuren nie erhören wollen.

      Sie werden sich vermutlich fragen, was einen asketischen Denker wie mich schon nach zwei, drei Wochen Bekanntschaft mit den Schittecks dazu bringen konnte, soviel Fleischeslust zu entwickeln?

      Dasselbe habe ich mich auch gefragt – und des Rätsels Lösung schließlich mangels besserer Erklärungen den geheimnisvollen hormonellen Ausdünstungen der Schitteckfrauen zugeschrieben. Vielleicht war es auch nur der Hunger, die Austrocknung.

      Doch anders als Dagmar machte Charlotte (Tanja) keine Anstalten, ihre Bluse zu öffnen. Ich entdeckte, dass die Schitteckkinder alle verschieden waren. Nicht nur äußerlich, das wäre schließlich zu erwarten gewesen, sondern auch charakterlich. Vielleicht kamen sie auf unterschiedliche Väter heraus.

      Meine begeisterte Bemerkung über ihre Blumen konnte ihr nur ein unmerkliches Lächeln entlocken.

      "Darf ich Ihnen etwas von unserem Lebkuchen anbieten? Leider habe gestern nichts mehr zum Frühstück besorgen können."

      "Gern, wenn er nicht von Weihnachten ist."

      Als ich mit dem Tablett zurückkam, saß sie am Fenster und sah deutlich fülliger aus als vorher in ihrem grau-schwarzen Leinenkostüm (ein Eindruck, den ich mir erst später erklären konnte).

      Sie verzehrte eindreiviertel Karton von dem süßen Zeug, und danach die Bruchstücke der Glasur, die sie mit ihren spitzen, muschelfarben lackierten Fingernägeln aufpickte, um sie sich Krümel für Krümel mit zurückgelegtem Kopf und herausgestreckter rosa Zunge einzuverleiben.

      In meinem Unterleib heulten Alarmsirenen so laut und schrill wie die Weckinstrumente der Schittecks.

      Ich sagte mir, mein augenblicklicher Zustand von Verwirrtheit könne nur durch die Ausdünstung eines besonders gefährlichen weiblichen Hormons hervorgerufen werden – dieses und keines anderen.

      Denn gewöhnlich reagierte ich auf weibliche Schönheit wie jeder x-beliebige Mann meines Alters. Unter gebildeten Männern unserer Kreise pflegen die Kommentare niemals vulgär oder schwülstig sein. Es war eine Vergiftung, die mich augenblicklich in die Verblödung und Unzurechnungsfähigkeit führte.

      Das Gefühl, Charlotte beim Essen zuzusehen, übertraf jeden gewöhnlichen sexuellen Kontakt. Als ich den dritten Karton heranschleppte, entschuldigte ich mich undeutlich murmelnd dafür, dass er bereits angebrochen war.

      "Ist Ihnen nicht gut?" Sie stemmte ihre Arme in die knochigen Hüften und wandte keinen Blick mehr von mir. Ich studierte mit bebenden Lippen ihre tiefliegenden Augen, ihre schlanke Nase, so aristokratisch wie die einer spanischen Gutsbesitzerstochter.

      Ich sah in ihnen die Glut, die im Mittelpunkt der Erde brennt. Ich hörte Nachtigallen singen, Gebirgsbäche plätschern. Ihre rosafarbene Zunge umschlang ein Stück Lebkuchen. Ich war von der Zwangsvorstellung besessen, meine Gedanken seien mir von der Stirn abzulesen.

      "Nein, wieso?"

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