Von Homer zu Jesus. Gregor Bauer
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Название: Von Homer zu Jesus

Автор: Gregor Bauer

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

Серия:

isbn: 9783742719782

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СКАЧАТЬ sein ist also äußerst deprimierend. Trotzdem bleibt Odysseus dabei: Lieber will er später eine Ewigkeit lang einer der trauernden Schatten in der Unterwelt sein, als jetzt auf die Rückkehr in seine Heimat und zu seiner Frau zu verzichten.

      Ist Odysseus also das Musterbild eines treuen Ehemanns? Nun, er hat nicht die Absicht, seiner Frau so treu zu sein, wie er es umgekehrt von ihr erwartet. Natürlich genießt er vor seinem Abschied von Kalypso noch einmal eine Liebesnacht mit der Göttin. Zuvor, auf einer anderen Zwischenstation seiner Irrfahrten, hatte sich Odysseus mit Kirke vergnügt. Die Göttin hatte seine Gefährten in Schweine verwandelt. Als er sie deshalb mit dem Schwert bedrohte, rief sie ihn auf ihr Lager, „damit wir, versöhnt durch die Freuden der Liebe, künftig einander vertrauen“ (Od 10, 333–335).

      Vertrauen? Tatsächlich: Eine skrupellose Zauberin verführt einen Ehemann, um sein Vertrauen zu gewinnen – und die vertrauensbildende Maßnahme gelingt. Es hat wohl doch seine Richtigkeit, dass Homer nicht als großer Moralist in die Geschichte eingegangen ist.

      Oder vertritt Homer eine Moral, die wir heute nicht mehr verstehen? Immerhin ist Kirke eine Göttin. Da gelten andere Regeln: Göttern willfährig zu sein, ist sogar für verheiratete Frauen eine Ehre. Noch aus der Zeit Jesu wird berichtet, dass ein verschmähter Liebhaber eine ehrbare Frau verführen konnte, indem er sich im Schutz der Dunkelheit als liebender Gott Anubis ausgab.

      Dass sich Odysseus nach Hause sehnt – daran können auch liebestolle Göttinnen nichts ändern. Doch für Odysseus selbst wäre es ein Leichtes, seine quälende Sehnsucht nach der Heimat für immer loszuwerden. Dazu hat er während seiner Irrfahrten mehrmals Gelegenheit. Auf der Insel der Lotophagen müsste er nur von der Lotosfrucht kosten, um „nicht mehr an die Heimkehr zu denken“. Die derart Berauschten wollen nur noch in der Gesellschaft der freundlichen Lotophagen bleiben und Lotos pflücken. Warum nicht? Doch Odysseus ist entsetzt über dieses und jedes andere derartige Angebot. Offenbar fürchtet er, mit der Sehnsucht nach seiner Heimat alles zu verlieren, was ihn ausmacht.

      Doch was findet Odysseus, als er schließlich zu Hause ankommt? Gibt es seine Heimat überhaupt noch? Ist nach 20 Jahren so etwas wie eine Rückkehr nach Hause überhaupt noch möglich?

      Odysseus erreicht den Hafen seiner Heimatinsel Ithaka schlafend. Die Matrosen, deren Auftrag es war, ihn zurückzubringen, legen ihn und seine Habe an Land und verschwinden. Als er erwacht, erkennt er seine Heimat nicht wieder; Athene muss ihm sagen, wo er ist.

      Die Seinen sind zwar geradezu besessen vor Sehnsucht nach ihm. Aber offensichtlich sehnen sie sich nach einem Menschen, den es nicht mehr gibt, denn sie erkennen ihn nicht wieder. Als sich Odysseus schließlich seinem Sohn Telemachos und später seiner Gattin Penelope zu erkennen gibt, wollen ihm beide nicht glauben. Am längsten weigert sich Penelope, den heimgekehrten Odysseus zu akzeptieren. Ob sie sich zu sehr daran gewöhnt hat, einem Traumbild nachzutrauern?

      Der einzige, der Odysseus sofort wieder erkennt, ist sein greiser Hund: „Er wedelte mit dem Schwanz und senkte die Ohren, aber er war zu schwach, sich seinem Herrn zu nähern.“ Kurz darauf stirbt er, „nachdem er im zwanzigsten Jahr Odysseus wiedergesehen hat“ (Od 17, 291ff).

      Homer lässt Odysseus also nach seiner langen Abwesenheit nicht mehr die Heimat vorfinden, die er kannte. Der Rückkehrer muss stattdessen seine Heimat neu erfinden. Muss er sie auch mit Gewalt zurückerobern?

      Odysseus ermordet die zahlreichen Freier, die während seiner Abwesenheit um seine Frau warben, sein Haus belagerten und sein Vermögen aufzehrten. Wozu? Hätte der „Städteverwüster“ die Freier nicht einfach davonschicken können? Hätte nicht auch Penelope sie schon längst aus dem Haus jagen können, wo sie doch keinen von ihnen heiraten wollte? „Sie hielt uns hin“, erklärt einer der ermordeten Freier im Totenreich, „zur Hochzeit sagte sie weder ja noch nein“ (Od 24, 125).

      Doch wieder erspart Homers Begeisterung für Gewalt seinem Helden die Mühe, sein Morden zu begründen. Odysseus bekommt sein Blutbad. Mit hartem Realismus schildert Homer, wie die Mägde, die sich mit den ermordeten Freiern eingelassen hatten, deren Leichen wegtragen, den Ort des Verbrechens von Blut reinigen und anschließend selbst erhängt werden.

      Als schließlich genug Blut geflossen ist, will Homer für den Mörder Odysseus und seine Angetraute das Happy End einläuten. Die beiden sollen nun glücklich sein, über ein friedliches Königreich herrschen und eines Tages die Macht an ihren Sohn vererben. Doch wie soll das gehen, jetzt, da sie durch die Ermordung der Freier – allesamt angesehene Männer – deren Verwandte, das Volk und das Gesetz der Blutrache gegen sich haben?

      Ein Machtwort der Athene bringt die Lösung: „Schluss!“, ruft sie den verfeindeten Parteien zu, als sie mit gezückten Waffen aufeinander losgehen, „Schluss jetzt, genug gekämpft! Auseinander! Vertragt euch gefälligst!“

      So albern endet das zweite der beiden vielleicht großartigsten Epen der Weltliteratur.

      Dass man nach zwanzig Jahren Abwesenheit seine Heimat wiederfinden kann, indem man diejenigen ermordet, die in der Zwischenzeit dort neue Verhältnisse geschaffen haben: Das war die einzige Lüge des Dichters Homer.

      Zum Schmökern

       Homer: Ilias Schon die ersten Seiten sind ungeheuer fesselnd. Den langweiligen Schiffskatalog darf man überblättern, und auch die eine oder andere der zahlreichen Schlachtenszenen.

       Homer: OdysseeHier gibt es nichts zu überblättern: Dieses raffiniert komponierte Epos ist fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite. Eine Nacherzählung in heutiger Prosa von Ulrich Karger mit Begleitmaterialien ist beim Klett Verlag erschienen.

      Das Wort hat Homer

      „Ich kenne im Leben nichts Besseres, als wenn beim Fest im Schloss die Gäste den Liedern des Sängers lauschen, während die Tische von Gebackenem und Fleisch gefüllt sind und der Schenke fleißig den Wein schöpft. Darin sehe ich die höchste Freude des Lebens!“ (Od 9, 5–11).

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