Von Homer zu Jesus. Gregor Bauer
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Название: Von Homer zu Jesus

Автор: Gregor Bauer

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783742719782

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      Derartige Kriegshändel gehören neben Liebesaffären und ausufernden Saufgelagen zu den bevorzugten Beschäftigungen der Götter. Von den Menschen unterscheiden sie sich zwar durch ihre überlegenen Fähigkeiten: Sie sind schneller und stärker, sie können fliegen, sich verwandeln und unsichtbar machen, sie sind unsterblich und frei von Sorgen – wenigstens solange sie sich nicht ernsthaft mit Zeus anlegen. Aber charakterlich haben sie den Menschen nichts voraus. Wie man von einem kindischen Erwachsenen sagt: „Der wird nie erwachsen“, so könnte man von den olympischen Göttern sagen: „Die werden nie Götter.“ Wie die Menschen sind sie eitel, parteiisch, launisch und nachtragend. Tag für Tag denselben irdischen Vergnügen hingegeben, ist ihre Unsterblichkeit ohne Transzendenz.

      Da diese Götterhorde in sich zerstritten ist, kann man sich als Mensch durchaus einige Frechheiten gegen Götter herausnehmen, solange man andere Götter auf seiner Seite hat. Ungefährlich ist das allerdings nicht: Götter, die sich zurückgesetzt fühlen, können sich bitter rächen. Aber man kann Glück haben. So lästert Achill dem Flussgott Skamandros, weil der die Leichen seiner ermordeten Verehrer tragen muss: „Fleißig geopfert habt ihr ihm ja“, verhöhnt er die Toten, „aber genützt hat es euch nichts, als ich euch abgemetzelt habe!“ (Od 21,130ff). Daraufhin versucht der Strom zwar, Achill zu ersäufen. Aber der weiß, dass ihm ein anderer Tod bestimmt ist. Und tatsächlich helfen ihm Poseidon und Athene aus der Patsche.

      Sind Polytheisten fairer?

      Theologisch sind Götter irritierend, die einander in die Parade fahren, die sich gegenseitig beschimpfen und vor Lachen beeumeln, wenn ihnen ihr humpelnder Mitgott Hephaistos seine in flagranti ertappte Gattin Aphrodite mit dem Kriegsgott im Bett vorführt. Aber für den Dichter sind solche Götter ein Glücksfall.

      Besonders in der Darstellung kriegerischer Konflikte erweist sich die polytheistische Brille als vorteilhaft. Wenn es nur einen Gott gibt, dann ist auch nur eine Seite im Recht: Nämlich die, mit der es dieser Gott hält. Deshalb kommt in den alttestamentarischen Kriegsschilderungen die Gegenseite praktisch nicht vor. Dort sind die Feinde nur und ausschließlich Feinde. Sie unbarmherzig zu vernichten ist Gottesdienst, Mitleid wäre Gotteslästerung. Wenn es aber viele Götter gibt, dann kann die Gegenseite ebenso unter einem göttlichen Auftrag stehen wie die eigene. Das versetzt Homer in die Lage, den Konflikt zwischen Griechen und Troern so darzustellen, dass man als Zuhörer mit beiden Seiten mitfiebern kann – wie im Fußball, wo ja auch beim selben Spiel der eine mit der einen, der andere mit der anderen Mannschaft zittert.

      Ja, der Grieche Homer geht sogar so weit, den sympathischsten Charakter der ganzen Ilias auf der gegnerischen, der trojanischen Seite zu zeichnen: Es ist Achills Gegenspieler Hektor, ein gottesfürchtiger und friedliebender Familienmensch, der nur zur Waffe greift, um die Seinen zu schützen.

      All das bedeutet aber nicht, dass die homerischen Helden weniger grausam wären als die gottbeseelten Kriegsverbrecher des Alten Testaments. Odysseus trägt den Ehrentitel „Städteverwüster“ mit gutem Grund. Der Unterschied zwischen Homerischer und alttestamentarischer Perspektive ist ein anderer: Während die Gewalt im Alten Testament stets höheren Zielen dient – der Eroberung des Gelobten Landes, der Durchsetzung göttlicher Gebote und später der Vertreibung götzendienerischer Besatzer –, braucht die Gewalt bei Homer keine solche Rechtfertigung. Der Krieg ist herrlich, denn er bietet dem Dichter Stoff für aufregende Geschichten. Ist das nicht Grund genug, um einen Krieg vom Zaum zu brechen?

      Homer ist überzeugt, dass die Götter den Tod unzähliger Griechen und Trojaner beim Kampf um Troja verhängt haben, „damit die Enkel davon singen können“ (Od 8,580).

      Kriege sind absurd

      Der Krieg ist also als dichterischer Stoff bereits genügend motiviert. Da muss er nicht auch noch sinnvoll oder gar heilig sein. Dass er tatsächlich absurd ist, gehört bei Homer zum Reiz des Krieges. Es ist Teil der Dramaturgie.

      Wer hat nicht schon beim Blick in die Geschichte gedacht: Warum machen die Mächtigen ihre Händel nicht einfach unter sich aus? Warum steigen sie nicht einfach in den Ring, verprügeln einander und entscheiden so ihre Streitsache unter sich? Müssen sie immer gleich eine ganze Generation junger Männer mit in den Tod reißen?

      Homer hat genau das dargestellt: Die beiden Sturköpfe, die für das Trojanische Kriegsgemetzel verantwortlich sind – der um Helena betrogene König Menelaos und ihr Entführer, Prinz Alexander –, stellen sich dem Zweikampf. Und es wäre zu einer Entscheidung gekommen, wenn nicht Aphrodite zugunsten Alexanders eingegriffen hätte.

      Mehr als einmal lässt Homer seine Kriegshelden sagen: Leute, wir schmeißen hin. Eigentlich sind wir verrückt, uns wegen einer Frau, noch dazu einer treulosen, hier gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, während zu Hause unsere eigenen Familien auf uns warten. Gerade Achill, der unerbittlichste Kämpfer der Griechen, äußert immer wieder, wie sinnlos der ganze Krieg sei. „Überredet mich nicht, in die Schlacht zurückzukehren“, weist er den bittenden Odysseus ab, „das Schicksal des Kämpfers und dessen, der zu Hause bleibt, ist ja doch dasselbe. Der Feige und der Tapfere sind gleich geehrt. Der Faule und der Fleißige müssen beide sterben. Ich habe mich abgeplagt und meine Haut zu Markte getragen, alles vergeblich“ (Il 9,315ff). Sinnlos ist auch die Genugtuung, die Zeus ihm auf Bitten seiner Mutter verschafft hat: die Demütigung Agamemnons und die Wiederherstellung seiner Ehre. „Was nützt mir das“, winkt Achill ab, „jetzt, wo mein bester Freund gefallen ist?“ (Il 18,80f).

      Dieselbe Stimmung erfasst Achill, nachdem er das zweite Ziel seiner Rache erreicht hat: den Tod Hektors. Zum Entsetzen der Trojaner hat Achill die nackte Leiche Hektors an seinen Streitwagen gehängt und durch den Dreck geschleift. Doch am Ende der Ilias sitzt Achill weinend mit Hektors Vater im selben Zelt. Der greise König Trojas weckt in dem Krieger die Sehnsucht nach dem eigenen Vater. Da fällt ihm die Feindschaft wie Schuppen von den Augen. Der Zorn des Achill ist an sein Ziel gekommen.

      Nicht umsonst war es der Gedanke an die eigenen Lieben, der Achill besänftigt hat. Denn in der Welt Homers kommt es vor allem darauf an, zu den Seinen zu halten. In der Ilias, verfasst von dem jungen Dichter, bedeutet das: für die eigene Seite in die Schlacht ziehen, egal wer im Recht ist. Anders in der altersweisen Odyssee.

      Die Odyssee: Heimat ist kostbarer als Unsterblichkeit

      In der Odyssee haben sich die Helden in der Sphäre des Kriegs bereits behauptet. Nun bedeutet ihnen die Rückkehr in die Heimat, zu den Ihren, mehr als alles andere.

      Seine Heimat ist dem Odysseus sogar teurer als die Unsterblichkeit. Das zeigt sich, als ihm die Göttin Kalypso die Unsterblichkeit anbietet: Wenn er ihr Mann werde, könne er ewig sorglos mit ihr dahinleben. Einzige Bedingung: Er muss auf die Heimkehr verzichten. „Wenn du wüsstest“, lockt sie, „wie viel Elend dich da draußen erwartet! Dann würdest du lieber hier bei mir bleiben, als zu deiner Frau zurückzukehren.“ Warum nur, wundert sich Kalypso, ist Odysseus so wild auf die Heimat? Dort erwartet ihn seine welkende Jugendliebe Penelope. Was will er denn von der, wo er doch Kalypso haben kann, eine Göttin, deren überaus attraktiver Körper niemals altern wird? Odysseus gibt ihr ohne Weiteres zu, dass sie viel schöner ist als seine Frau, die ja mittlerweile 17 Jahre älter geworden ist: „Sie ist nur sterblich, und dich schmückt ewige Jugend“ (Od 5,218). Doch das beeindruckt ihn nicht: Odysseus will nicht mit der Göttin die Freuden ewiger Jugend teilen. Er will nach Hause zu seiner Frau.

      Dabei weiß Odysseus genau, was es heißt, das Geschenk der Unsterblichkeit auszuschlagen. Denn er war bereits am Ende der Erde, dort, wo das Reich der Toten beginnt (Od 11). Von Opferblut angezogen, näherten sich ihm die Seelen der Toten „mit grauenvollem Geschrei“. Die Seele des Sehers Teiresias kam und nannte die Unterwelt СКАЧАТЬ