Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab
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Название: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil

Автор: Gustav Schwab

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742772916

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СКАЧАТЬ »Elender, rühre dich

       nicht; hör du, was andre sagen, du, den man weder im Kampf noch im Rate rechnen kann! Wir

       Griechen können doch nicht alle Könige sein! Vielherrschaft ist nichts nütze, nur einem hat Zeus den

       Zepter verliehen, und diesem sollen die andern gehorchen!«

       So ließ Odysseus seine herrschende Stimme durchs Heer erschallen und bewog endlich das Volk, von

       den Schiffen auf den Versammlungsplatz zurückzuströmen. Allmählich wurde alles ruhig und

       verharrte geduldig auf den Sitzen. Nur eine einzige Stimme krächzte noch: es war Thersites, der sich,

       wie gewöhnlich, mit fordernden Scheltworten gegen die Fürsten vernehmen ließ. Dieser war der

       häßlichste Mann, der aus Griechenland mit vor Troja gekommen war; er schielte mit dem einen Auge

       und war lahm am andern Fuße, hatte einen Höcker auf dem Rücken, die Schultern gegen die Brust

       eingeengt, einen Spitzkopf, dessen Scheitel nur mit dünner Wolle spärlich besäet war. Besonders war

       der Haderer dem Peliden und Odysseus verhaßt; denn gegen diese Helden lästerte er unaufhörlich.

       Diesmal aber kreischte er seine Schmähungen dem Völkerfürsten Agamemnon entgegen: »Was hast

       du zu klagen, Atride«, schrie er; »wessen bedarfst du denn? Ist nicht dein Zelt voll von edlem Erz und

       voll von Weibern? Du lässest es dir wohl sein, und wir sollen uns von dir in allen Jammer

       hineinführen lassen? Viel besser tun wir, auf den Schiffen heimzusegeln und diesen hier allein vor

       Troja sich mit Ehrengeschenken mästen zu lassen! Hat er doch jetzt selbst den mächtigen Achill

       verunehrt und vorenthält ihm seine Ehrengabe. Aber der träge Pelide hat keine Galle in der Leber,

       sonst hätte der Tyrann zum letzten Male gefrevelt!«

       Während Thersites so schalt, stellte sich Odysseus neben ihn und maß ihn mit finsterem Blick, dann

       hub er sein Zepter, bleute ihm Rücken und Schultern und rief. »Find ich dich noch einmal im

       Wahnsinne toben wie jetzt, du Schuft, so soll mein Haupt nicht auf meinen Schultern stehen und

       Telemachos nicht mein Sohn sein, wenn ich dir nicht die Kleider bis auf die Blöße vom Leibe ziehe

       und dich, mit Geißelhieben gestäupt, nackt zu den Schiffen sende!« Thersites krümmte sich unter

       den Streichen des Helden, mit blutigen Striemen auf Schulter und Nacken, und lief dann tobend vor

       Schmerz und heulend vor Wut von dannen. Im Volk aber stieß ein Nachbar den andern lachend an

       und freute sich darüber, daß der ekelhafte Mensch die verdiente Strafe erhielt.

       Jetzt aber trat der Held Odysseus vor das Volk, neben ihn Pallas Athene, welche die Gestalt eines

       Herolds angenommen hatte und den Völkern Stillschweigen gebot. Er selbst hob seinen Fürstenstab

       in die Höhe, daß die Umstehenden aufmerkten, und sprach: »Sohn des Atreus! Wahrhaftig, so weit

       ist es gekommen, daß die Griechen dir Schmach bereiten und ihren Verheißungen ungetreu werden,

       sie, die versprochen haben, nicht eher von dannen zu ziehen, als bis sie Troja vertilgt hätten. Nun

       jammern sie wie Weiber und kleine Kinder nach der Heimkehr und klagen einander ihr Leid! Aber

       welche Schande wäre es für uns, nachdem wir so lange hier verweilt, leer heimzukehren! Darum, ihr

       Freunde, geduldet euch doch noch ein weniges; erinnert euch an das Zeichen, das uns vor unserer

       Abfahrt von Aulis zuteil wurde, als wir auf geweihten Altären, um jenen Sprudelquell her,

       Hekatomben unter dem schönen Ahornbaume opferten. Mir ist, als wäre es erst gestern geschehen!

       Ein gräßlicher Drache mit dunkelfarbigen Schuppen schlüpfte unter dem Altar hervor und fuhr

       schlängelnd an dem Ahornbaume hinauf. Dort hing ein Sperlingsnest mit nackten Jungen

       schwankend auf einem Aste: ihrer achte schmiegten sich in die Blätter, das neunte aber war die

       brütende Mutter der Vögel. Die umflog mit kläglichem Zwitschern die Kleinen, bis der Drache sein

       Haupt hindrehte und die Jammernde am Flügel erhaschte. Nachdem er die Mutter samt den Jungen

       verzehrt, verwandelte ihn Zeus, der den Drachen gesandt hatte, zum offenbaren Wunderzeichen in

       einen Stein; und ihr Achiver sahet es mit staunendem Grauen. Kalchas aber, der Seher, rief euch zu:

       ›Was stehet ihr verstummt, ihr Griechen? Wisset ihr nicht, daß dies Wunder eine Wahrsagung des

       Zeus ist? Die neun Sperlinge sind neun Jahre, die ihr um Troja kriegen werdet: im zehnten aber sollet

       ihr die prachtvolle Stadt erobern.‹ So weissagte damals Kalchas. Nun aber wird ja alles vollendet! Die

       neun Jahre des Kampfes sind vorüber, das zehnte Jahr ist erschienen, und der Sieg muß mit ihm

       kommen. So harret denn die kleine Weile miteinander noch aus, ihr Griechen! Bleibet, bis wir die

       Feste des Königes Priamos zerstört haben!«

       Ein Jubel der versammelten Argiver beantwortete die Rede des Odysseus; der weise Nestor benützte

       die umgewandelte Stimmung der Völker und riet dem Könige Agamemnon, sofort, wenn sich etwa

       noch einer unbändig nach der Heimkehr sehnte, einem solchen nicht zu verweigern, zu Schiffe zu

       gehen und von dannen zu fahren. Dann aber sollte er die Männer nach Stamm und Geschlecht

       absondern und kämpfen lassen: so würde er am sichersten erfahren, wer von Kriegern und Führern

       der Mutigere oder der Feigere sei und ob Göttergewalt oder Furcht oder mangelnde Kriegserfahrung

       die Eroberung Trojas verhindere. Erfreut antwortete auf diesen Vorschlag der Völkerfürst:

       »Fürwahr, Nestor, du, der Greis, übertriffst unsere Männer alle durch Einsicht. Hätte ich im Rate der

       Griechen noch zehn deinesgleichen, so sollte mir Trojas hochragende Burg bald zertrümmert in den

       Staub sinken! Ich selbst muß gestehen, daß ich unbesonnen gehandelt habe, mich mit Achill wegen

       des Mädchens zu entzweien. Zeus hatte mich damals mit Blindheit geschlagen. Versöhnen wir beide

       uns je wieder, so wird der Untergang Trojas nicht länger säumen! Doch nun wollen wir СКАЧАТЬ