Название: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil
Автор: Gustav Schwab
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742772916
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hergekommen. Die Göttin fand ihn bald, in der Mitte der Seinigen stehend. Sie trat nahe zu ihm,
klopfte ihm auf die Schulter und sprach: »Höre, kluger Pandaros, jetzt könntest du etwas tun,
wodurch du bei allen Trojanern dir Preis und Dank verdientest, vor allem von Paris, der dir gewiß mit
den herrlichsten Geschenken lohnen würde. Siehst du dort Menelaos, den hochmütigen Sieger
stehen? Wage es und drücke deinen Pfeil auf ihn ab.«
So sprach die verhüllte Göttin, und das Herz des Toren gehorchte ihr. Schnell entblößte er den
Bogen, öffnete den Deckel des Köchers, wählte einen befiederten Pfeil, legte ihn auf die Sehne, und
bald sprang das Geschoß vom schwirrenden Horn. Athene aber lenkte den Pfeil auf den Leibgurt, so
daß er zwar durch diesen und den Harnisch drang, aber nur die oberste Haut ritzte, jedoch so, daß
das Blut aus der Wunde rann und den Menelaos ein leichter Schauer durchflog. Wehklagend
umringten ihn Agamemnon und die Genossen. »Teurer Bruder«, rief der König, »dir zum Tode hab
ich das Bündnis geschlossen; die treulosen Feinde haben es mit Füßen getreten. Zwar werden sie es
büßen, und ich weiß gewiß, daß der Tag kommt, wo Troja mit Priamos und dem ganzen Volke
hinsinkt; mich aber erfüllt dein Tod mit dem bittersten Schmerz. Wenn ich ohne dich heimkehre und
deine Gebeine auf trojanischem Boden am unvollendeten Werk dahinmodern, mit welcher Schmach
würde mich das Vaterland empfangen; denn einem andern, nicht mir ohne dich, ist beschieden, Troja
zu erobern und Helena fortzuführen. Und auf dein Grab springend, wird der Trojaner Hohnreden
führen über dich, Hohnreden über mich. Spaltete sich doch die Erde, mich zu verschlingen!« Aber
Menelaos tröstete seinen Bruder. »Sei ruhig«, sprach er, »das Geschoß hat mich nicht zum Tode
verwundet; mein Leibgurt hat mich geschützt.« »O daß dem so wäre«, seufzte Agamemnon und
beschickte durch seinen Herold eilig den heilkundigen Machaon. Dieser kam, zog den Pfeil aus dem
Gurt, löste diesen, öffnete den Harnisch und beschaute die Wunde; dann sog er selbst das quellende
Blut heraus und legte ihm eine lindernde Salbe auf.
Während der Arzt und die Helden so um den verwundeten Menelaos beschäftigt waren, rückten die
Schlachtreihen der Trojaner schon heran; auch die Griechen hüllten sich wieder in ihre Wehren, und
Agamemnon übergab dem Eurymedon Rosse und Wagen mit der Weisung, sie ihm zu bringen, wenn
er ihn vom Durcheilen der Schlachtordnung ermattet sehe. Dann flog er zu Fuß unter die Scharen der
Streiter und ermunterte sie zur Abwehr, die Mutigen belebend, die Saumseligen tadelnd. So gelangte
er auf seinem Gange zu den Kretern, die gewappnet ihren Heerführer Idomeneus umringten. Dieser
stand an ihrer Spitze, kampflustig wie ein Eber. Die hinteren Reihen munterte sein Freund Meriones
auf. Als Agamemnon die Scharen sah, wurde sein Herz fröhlich. »Du bist mir doch der Besten einer,
Idomeneus«, rief er ihnen zu, »bei jedem Geschäfte, im Kriege wie beim Mahle, wenn man den
funkelnden Ehrenwein in den mächtigen Krügen mischt: Wenn da die andern ihr bescheidenes Maß
trinken, so steht dein Becher immer voll wie der meinige. Jetzt aber stürme mit mir in die Schlacht,
wie du dich so oft gegen mich gerühmt.« »Wohl bleibe ich dein treuer Genosse, König«, erwiderte
jener, »geh nur andere anzuspornen, bei mir bedarf es dessen nicht. Möge Tod und Verderben die
bundbrüchigen Trojaner treffen!«
Jetzt erreichte Agamemnon die beiden Ajax, hinter denen ein ganzes Gewühl von Fußvolk einherzog.
»Wenn doch«, rief ihnen der König im Vorübereilen zu, »ein Mut wie der eurige den Busen aller
Danaer beseelte, dann sollte die Burg des Priamos bald unter unsern Händen in Trümmer fallen.«
Nun traf er weiterschreitend auf Nestor. Dieser ordnete gerade seinen Heerhaufen: voran die Helden
mit Roß und Wagen, viele und tapfere Männer zu Fuße hinten, die Feigen in die Mitte gedrängt. Dazu
ermahnte er sie mit weisen Worten: »Wage sich mir keiner mit seinem Streitwagen zu weit vor,
weiche mir auch keiner zurück; stößt Wagen auf Wagen, so strecket die Lanze vor.« Wie ihn
Agamemnon die Seinigen so ermahnen hörte, rief er ihm zu: »O Greis, möchten dir die Knie folgen
und deine Leibeskraft ausreichen, wie dir der Mut noch den Busen füllt. Könnte doch ein anderer dir
die Last des Alters abnehmen, daß du zum Jüngling umgeschaffen würdest!« »Wohl möchte ich jetzt
der sein, der ich einst war«, antwortete ihm Nestor, »doch haben die Götter den Menschen nicht
alles zugleich verliehen. Mögen die jüngeren Speere werfen; ich begleite meine Männer mit Worten
und weisem Rate, den auch das Alter geben kann.« Freudig ging Agamemnon an ihm vorüber und
stieß jetzt auf Menestheus, den Sohn des Peteos, um den die Athener geschart waren und neben
welchem die Kephallenier in dichten Schlachtreihen unter Odysseus standen. Beider Haufen ruhten
in Erwartung und wollten andere Züge voranstürmen lassen. Dies verdroß den Völkerfürsten, und er
sprach mürrisch zu ihnen: »Was schmieget ihr euch so zusammen, ihr beiden, auf andere harrend?
Wenn wir Braten schmausen und Wein trinken, seid ihr immer die ersten; nun aber würdet ihr es
nicht ungerne sehen, wenn zehn Griechenscharen vor euch in die Schlacht eindrängen!« Odysseus
aber sah ihn finster an und sprach: »Was denkst du, Atride? Uns schiltst du saumselig? Warte nur,
wenn wir einmal losbrechen, ob wir die Wut der Schlacht nicht gehörig gegen die Troer aufregen und
du mich nicht im vordersten Getümmel erblicken wirst. Drum schwatze mir nicht voreilig nichtige
Worte!« Als er den Helden so zürnen sah, erwiderte Agamemnon lächelnd: »Ich weiß es wohl, edler