Название: Lausbubengeschichten & Tante Frieda - Teil 2
Автор: Ludwig Thoma
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
Серия: Lausbubengeschichten & Tante Frieda
isbn: 9783742772763
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werden.«
Ich habe beim Fenster hinausgeschaut, und ich habe gesagt, ich glaube, daß der Michel vom
Gartenzaun herübergespritzt hat, weil das Fenster offen ist. Die Tante hat gesagt, es ist viel zu
weit und viel zu hoch, und dann muß man es doch am Fenster sehen, und das Fenster ist kein
bißchen naß. ich sagte, der Michel kann furchtbar gut zielen, und ich bin es einmal nicht
gewesen.
Da hat Ännchen gerufen, daß wir zum Essen kommen, die Suppe steht schon auf dem Tisch, und
wir sind gegangen. Der Papagei hat sich immer geschüttelt und hat die Federn aufgestellt, und die
Tante hat gesagt: »Mein Lorchen muß keine Angst nicht haben. Ich lasse mein Lorchen nicht
mehr naß machen.«
Und sie hat mich furchtbar angeschaut, und der Papagei hat mich auch furchtbar angeschaut.
Aber ich habe gedacht, er wird noch viel ärger schauen, wenn das Pulver losgeht.
Beim Essen ist die Tante noch immer zornig gewesen; man hat es gekannt, weil ihre Nase vorne
ganz weiß war und weil sie mit dem Löffel so schnell die Suppe gerührt hat.
Meine Mutter hat gesagt, sie soll sich die Freude von der Ankunft nicht verderben lassen.
Da hat sie gesagt, daß sie keine Freude nicht hat, wenn man ihr zuerst bös ist, weil sie die
Wahrheit redet, und wenn man ein hilfloses Tier in den Tod treibt.
»Aber Frieda!« hat meine Mutter gesagt, »er ist doch bloß naß gemacht!« Und Ännchen sagte,
daß ein kleines Bad keinem Vogel nicht schaden kann.
Da hat die Tante gesagt, sie wundert sich gar nicht, daß wir alle so feindselig sind, weil sie es
schon gewohnt ist und weil schon ihre Brüder so waren und haben doch das ganze Geld
verbraucht. Sie hat so getan, als wenn sie weinen muß, und sie hat sich die Augen gewischt. Aber
sie hat keine Tränen daran gehabt. Ich habe es deutlich gesehen.
Meine Mutter ist ganz mitleidig geworden und hat gesagt, daß wir sie alle mögen, weil sie doch
die Schwester von unserm lieben Papa ist, und sie soll glauben, daß sie auch bei uns daheim ist.
Da hat die Tante gesagt, sie will uns diesmal verzeihen und sie will nicht mehr daran denken, was
ihr die Familie schon alles angetan hat.
Sie ist auf einmal wieder lustig gewesen, und wie der Braten da war, hat sie mit der Gabel nach
der Kommode gezeigt, wo das Bild vom Steinberger war, und sie hat gefragt: »Was ist das für ein
häßlicher Mensch?«
»Wo?« hat meine Mutter gefragt. »Der dort auf der Kommode«, hat sie gesagt.
Meine Mutter ist ganz rot geworden, und Ännchen ist aufgesprungen und ist hinausgelaufen, und
man hat durch die Tür gehört, daß sie heult. Meine Mutter hat ihre Haube gerichtet und hat
gesagt, daß der Steinberger oft zu uns kommt und daß er gar nicht häßlich ist.
»Er hat aber eine Glatze«, hat meine Tante gesagt. »Und er schielt mit dem linken Auge.«
»Er schielt nicht«, hat meine Mutter gesagt, »es ist bloß eine schlechte Photographie, und es ist
überhaupt ein Glück, wenn man ihn kennt, weil er so tüchtig ist.«
Die Tante hat gesagt, sie will nicht, daß es in der Familie einen Streit gibt wegen einem fremden
Menschen, aber sie hat nicht gedacht, daß er tüchtig ist, weil er so aussieht, als ob er das Bier
gern mag.
Da ist meine Mutter auch hinausgegangen, und bei der Tür ist sie stehengeblieben und hat gesagt,
daß sie sich fest vorgenommen hat, bei diesem Aufenthalte sich nicht mit der Tante zu
zerkriegen, aber es ist furchtbar schwer.
Auf dem Gange hat sie mit Ännchen gesprochen; das hat man hereingehört, und Ännchen hat
immer lauter geweint.
Die Tante hat das Essen nicht aufgehört, und sie hat immer den Kopf geschüttelt, als wenn sie
sich furchtbar wundern muß.
Sie hat mich gefragt, ob Ännchen schon lange so krank ist. »Sie ist gar nicht krank« sagte ich.
»Das verstehst du nicht«, hat sie gesagt. »Deine Schwester ist sehr leidend mit kaputte Nerven,
weil sie auf einmal weinen muß, und ich habe es immer gedacht, daß sie schwächlich ist, sonst
hätte sie auch meinen Koffer getragen.«
Meine Mutter ist auf einmal wieder hereingekommen und hat schnell gerufen, daß der
Amtsrichter zum Kaffee kommt, und sie bittet die Tante, daß sie höflich ist. Da ist die Tante
beleidigt gewesen und hat gesagt, ob man glaubt, daß sie nicht fein ist, weil sie einen
Postexpeditor geheiratet hat, und sie weiß schon, wie man sich benimmt, und ein Amtsrichter ist
auch nicht viel mehr wie ein Expeditor.
Meine Mutter hat immer nach der Tür geschaut, ob sie vielleicht schon aufgeht, und hat
gewispert, die Tante soll nicht schreien, er ist schon auf der Treppe, und sie hat es doch nicht so
gemeint, sondern weil die Tante geglaubt hat, daß er häßlich ist.
Die Tante hat aber nicht stiller geredet, sondern sie hat laut gesagt: »Man ist auch nicht schön,
wenn man eine Glatze hat und schielt.«
Da hat meine Mutter mit Verzweiflung auf die Decke geschaut, und sie hat weinen wollen, aber
da ist die Tür aufgegangen, und der Steinberger ist hereingekommen und Ännchen auch, und ihre
Augen waren noch rot.
Meine Mutter hat jetzt nicht weinen dürfen, sondern sie hat freundlich gelacht und hat gesagt:
»Herr Amtsrichter, das freut mich sehr, daß Sie kommen, und ich stelle Ihnen meine liebe
Schwägerin vor, von der ich Ihnen schon erzählt habe.« Der Steinberger hat eine Verneigung
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