Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Alexandra Lavinia Zepter
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ) - Alexandra Lavinia Zepter страница 15

СКАЧАТЬ abgebildet wird, welche durch den eigenen Körper verläuft: Die Zukunft liegt vor dem Körper, die Vergangenheit dahinter (siehe auch Kap. 2.3). Im Englischen spiegeln diese metaphorische Übertragung u.a. Ausdrücke wie in (1–4) wider; ähnliche Wendungen finden sich auch im Deutschen (5, 6):

Zeitorientierung That’s all behind us now. Let’s put that in back of us. We’re looking ahead to the future. He has a great future in front of him. Das liegt jetzt bald alles hinter uns. Lasst uns nach vorne in die Zukunft blicken. Englische Beispiele nach Lakoff & Johnson (1999: 140)

      Die Metapher von Zeit als etwas, das sich auf uns zu und an uns vorbei bewegt, manifestiert sich u.a. in folgenden englischen Wendungen – mit ähnlichen Entsprechungen im Deutschen:

Zeit in Bewegung Die Zeit bewegt sich in einer Zeitpassage: The time will come when there are no typewriters. The time has long gone when you could mail a letter for three cents. The time for action has arrived. The deadline is approaching. Es wird die Zeit kommen, in der wir nicht mehr über das Virus diskutieren. Wir sind nun in einer Zeit angekommen, in der der Klimawandel unsere größte Herausforderung darstellt. Englische Beispiele nach Lakoff & Johnson (1999: 143)

      Insgesamt lässt sich festhalten, dass nach der Theorie der Embodied Cognition der Aufbau und der Gehalt von kognitiven Begriffsrepräsentationen auf unseren körperlichen Erfahrungen basieren und damit geprägt sind von unseren Sinneswahrnehmungen, von Wahrnehmungen der eigenen Bewegungen und/oder Emotionen. Zentral ist die Annahme, dass die kognitive Aktivierung der Begriffe im Kontext von Denkprozessen und von Sprachverarbeitung aufs Engste verknüpft ist mit den kognitiven Bereichen, die bei originären Sinneswahrnehmungen und körperlich vollzogenen Handlungen involviert sind (Barsalou 1999: 585) – der Unterschied ist ein qualitativer, weil im Falle der Begriffsaktivierung nur simuliert wird; aber Sprachverarbeitung wird nicht als isolierter, kategorisch verschiedener kognitiver Prozess erfasst.

      Wesentlich für die Begriffsauffassung der Embodied Cognition ist im Übrigen das dynamische Prinzip. Wenn sich ein Begriff auf kognitiver Ebene sukzessive auf der Basis zahlrei­cher Erfahrungen entwickelt, dann verändert er sich in diesem Rahmen natürlich auch und ist als solcher keine statische Größe.

      Körperliche Raumerfahrungkörperliche Raumerfahrung und Interpretation von ZeitInterpretation von Zeit

      Ein Beispiel für diese Dynamik geben Boroditsky & Ramscar (2002), deren Studie illustriert, wie unsere Raumerfahrungen in alltäglichen Situationen (z. B. auf einer Zugfahrt oder in einer Warteschlange) auch kurzfristig unser Denken über Zeit – also unseren abstrakten Begriff von Zeit – variieren lassen. Der Einfluss unserer körperlichen Erfahrungen ist dabei eng verknüpft mit dem, was wir von diesen Erfahrungen (kognitiv) reflektieren (vgl. ebd.: 185).

      Boroditsky & Ramscar gehen zunächst von der Differenzierung zweier verschiedener Zeitvorstellungen aus – beide übertragen (auf einer Vorne-hinten-Achse) eine körperliche Erfahrung von Raum auf Zeit. Bei der ersten, der ‚Ego-moving Perspective’Ego-moving Perspective, erlebt man sich selbst als vorwärts bewegend durch die Zeit, bei der zweiten, der ‚Time-moving PerspectiveTime-moving Perspective’, scheint man selbst als fixer Punkt im Raum, auf den sich die Zeit (quasi wie ein heranschnellender Zug) zubewegt.

      Abb. 2.9:

      ‚Ego-moving Perspective‘ – ‚Time-moving Perspective‘

      Wir können diese beiden Perspektiven mit folgendem im Englischen und im Deutschen mehrdeutigen Szenario voneinander abgrenzen. Angenommen, man spricht über ein Meeting, das ‚nächsten Mittwoch‘ stattfinden sollte, nun aber ‚zwei Tage nach vorne geschoben‘ wurde; im Englischen: „Next Wednesday’s meeting has been moved forward 2 days“ (Boroditsky & Ramscar 2002: 185).

      An welchem Tag findet das Meeting dann statt? Aus der ‚Ego-moving’-Perspektive, bei der man sich selbst in der Zeit nach vorne bewegt, wird man schließen, das Meeting sei auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, und dementsprechend das neu angesetzte Meeting auf Freitag datieren. Hingegen wird eine Person, die die ‚Time-moving’-Perspektive einnimmt und somit die Zeit als ihr entgegenkommend erlebt, das Meeting auf Montag vorverlegt interpretieren.

      Das erstaunliche Ergebnis der Studie von Boroditsky & Ramscar ist, dass die ‚Ego-moving’- und die ‚Time-moving’-Perspektive keine fixe Vorstel­lung zu sein scheinen und dass Personen nicht entweder nur über das eine oder das andere Bedeutungskonzept verfügen. Stattdessen legt die Untersuchung nahe, dass eine Perspektive in Abhängigkeit vom jeweiligen Situationskontext gewählt und von den damit verbundenen Raumerfahrungen direkt beeinflusst wird. So zeigte das Experiment in einer Warteschlange, dass Wartende systematisch umso eher die ‚Ego-moving’-Perspektive einnahmen, je mehr bzw. weiter sie sich gerade zuvor tatsächlich im Raum nach vorne bewegt hatten.1

      Noch ein abschließender und zum nächsten Abschnitt überleitender Gedanke zur Sprachverarbeitung: Den Proband:innen der Studie wurde zur Ermittlung der jeweils eingenommenen Perspektive das Meeting-Szenario vorgelegt und sie mussten den betreffenden Satz „Next Wednesday’s meeting has been moved forward 2 days“ interpretieren. Um die Satzbedeutung zu bestimmen, muss der jeweilige Satz (wie jede sprachliche Äußerung) kognitiv verarbeitet werden. Wie die Ergebnisse der Studie nahelegen, wurde hierbei auf die eigene unmittelbare körperliche Erfahrung zurückgegriffen. Damit liefert die Studie von Boroditsky & Ramscar unterstützende Daten für die Annahme, dass Erfahrungsspuren bei der Sprachverarbeitung reaktiviert werden. Noch expliziter belegen dies die Reaktionszeitexperimente, die wir im folgenden, letzten Abschnitt des Kapitels vorstellen.

      2.3 Sprachverarbeitung und körperliche Erfahrungsspuren: Evidenz durch ReaktionszeitexperimenteReaktionszeitexperimente

      Die enge Verknüpfung von Sprache und nicht-sprachlichen Erfahrungen bei der Bedeutungs­konstitution konnte inzwischen auch durch bildgebende Studien untermauert werden. So fanden beispielsweise Hauk, Johnsrude & Pulvermüller (2004) in einer EEG-Studie heraus, dass die visuelle Präsentation von Verben wie lick (‚lecken‘), pick (‚greifen‘) oder kick (‚treten‘), die das Gesicht, die Hand oder den Fuß involvierende Tätigkeiten beschreiben, zu unterschiedlichen Aktivierungen in den korrespondierenden Arealen des motorischen und prämotorischen Kortex führen. Also das alleinige Lesen des Wortes pick bewirkt ein kortikales Aktivierungsmuster, das zumindest teilweise der Aktivierung einer tatsächlichen Greifhandlung entspricht (Bryant et al. 2018: 33f.).

      Aber auch behaviorale Untersuchungen, bei denen die Proband:innen auf sprachliche Stimuli mit bestimmten Verhaltensmustern reagieren, liefern empirische Evidenz für den Ansatz der Erfahrungsspuren – so auch die zahlreichen Reaktionszeitexperimente der Embodied-Cognition-Forschung. Deren Ergebnisse stützen die Annahme, dass bei der sprachlichen Verarbeitung von Bedeutung, die in der einen oder anderen Weise etwas mit Bewegung oder Wahrnehmung zu tun hat, die gleichen kognitiven Bereiche beansprucht werden wie bei originärer Bewegung und Wahrnehmung.

      Bevor wir auf einige Reaktionszeitexperimente etwas genauer eingehen, vorab СКАЧАТЬ