Performative Zugänge zu Deutsch als Zweitsprache (DaZ). Alexandra Lavinia Zepter
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СКАЧАТЬ zuzuordnen. Anschließend wurde das gesamte Experiment unter beiden Testbedingungen wiederholt, nur hatten die Proband:innen nun mit den Wörtern „vorne“ und „hinten“ zu reagieren.

      Das erwartbare Ergebnis war, dass die Reaktionszeiten im Falle der Antwortwörter Zukunft/Vergangenheit bei der ‚inkongruenten Bedingung‘ (Zuordnung des Gegenteilwortes) signifikant langsamer waren als bei der ‚kongruenten Bedingung‘ (Zuordnung des passenden Wortes). Weniger erwartbar war, dass der Differenzgrad der Reaktionszeiten zwischen der kongruenten Bedingung und der inkongruenten Bedingung konstant blieb, wenn die Proband:innen mit den Wörtern vorne und hinten reagieren sollten. Die Assoziierung, dass die Zukunft räumlich vor uns bzw. vor dem eigenen Körper liegt und die Vergangenheit dahinter, ist offenbar so stark, dass es bei der sprachlichen Verarbeitung der Bedeutungen keinen signifikanten Unterschied macht, ob wir für das Zukünftige das Wort Zukunft oder das Wort vorne gebrauchen (und ebenso für das Vergangene).

      Eikmeier et al. (2015) replizierten das gleiche Reaktionszeitexperiment, nur mussten die Proband:innen dieses Mal mit den Wörtern links und rechts (statt hinten und vorne) reagieren. Auch hier ergab sich ein Unterschied zwischen der kongruenten und der inkongruenten Bedingung, allerdings war er im Vergleich sehr viel schwächer ausgeprägt (ca. 66 % kleiner als bei der Reaktion mit den Wörtern Vergangenheit/Zukunft; vgl. ebd.: 1882). Das bedeutet, dass die Verknüpfung zwischen der Vorstellung von Zeit und der räumlichen Repräsentation einer Links-Rechts-Achse allgemein weit weniger stark zu sein scheint als die Assoziierung mit einer Vorne-hinten-Achse.

      Die Ergebnisse passen zu der Beobachtung, dass in zahlreichen Sprachen durch entsprechende Metaphorik die Vorne-hinten-Achse Verwendung findet (siehe Kap. 2.2 für Beispiele im Englischen und Deutschen), dass aber bisher keine Sprache gefunden werden konnte, in der Ausdrücke mit Bezug zur Links-Rechts-Achse genutzt werden (Eikmeier et al. 2013: 1879). Eikmeier et al. (ebd.: 1882) diskutieren, ihre Daten interpretierend, u.a. die Möglichkeit, dass die Vorstellung einer von links nach rechts laufenden Zeitlinie vorrangig ein kulturelles Artefakt darstellt, das von Erfahrungen mit Kalendern, Schriftsystemen, bei denen von links nach rechts geschrieben wird, oder Darstellungen von Zeitlinien in Grafiken o. Ä. herrührt. Gehen wir davon aus, dass unsere lebensweltlichen Erfahrungen bei unserem eigenen Körper beginnen, ist die Prominenz der Vorne-hinten-Achse auch deshalb plausibel, weil wir uns, wenn wir uns gehend oder laufend bewegen und dabei psychisch ‚gefühlte‘ Zeit vergeht, in der Regel, von unserer Körperausrichtung her betrachtet, nach vorne bewegen (Füße, Gesicht etc. nach vorne) – und nicht seitwärts.

      Die bisher vorgestellten Reaktionszeitexperimente zur sprachlichen Verarbeitung von motorischen Handlungs- und Zeitkonzepten betreffen die Satzebene. Kommen wir nun zur Wortebene, und zwar in der Erst- und Zweitsprache.

      Sprachverarbeitung auf WortebeneSprachverarbeitung auf Wortebene: L1 und L2

      Noch weiß man relativ wenig über die Reaktivierung von Erfahrungsspuren bei der Verarbeitung einer Zweitsprache (L2), hat man sich doch bislang primär der Verarbeitung der Erstsprache (L1) zugewandt. Doch die Ergebnisse der wenigen bislang vorliegenden L2-Studien weisen darauf hin, dass in der L2-Verarbeitung ebenfalls Erfahrungsspuren aktiviert werden.

      Hintergrund der Studie von Dudschig, de la Vega & Kaup (2014) bildet die Beobachtung, dass uns zahlreiche Objekte in der realen Welt relativ zu unserer Körperausrichtung entweder ‚oben‘ oder ‚unten‘ im Raum lokalisiert begegnen: Flugzeug, Sonne, Stern z. B. oben am Himmel, Maulwurf, Wurzel oder Schuh unten am Boden. In erstsprachlichen Situationen wird sehr oft darauf gezeigt und sowohl die Zeigebewegungen, bei denen unser Arm sich nach oben oder nach unten bewegt, als auch unsere Blickbewegungen nach oben oder nach unten gehören zu den Erfahrungen, die kognitiv zusammen mit dem Wort abgespeichert werden (siehe Kap. 2.2, Abb. 2.5). Reaktionszeitexperimente (u.a. Lachmair et al. 2011) mit L1-Sprecher:innen belegen entsprechende Erfahrungsspuren (ebd.: 15), weil kongruente Bedingungen, bei denen die Proband:innen zur Wortidentifikation bei einem ‚Aufwärts-WortAufwärts-Wort‘ den Arm/die Hand heben oder nach oben blicken müssen (und bei einem ‚Abwärts-WortAbwärts-Wort‘ nach unten), kürzere Reaktionszeiten erzielten als inkongruente Bedingungen.

      Wie aber verhält es sich beim Gebrauch einer Zweit- oder Fremdsprache? Die Frage ist nicht trivial, denn viele unterrichtliche Situationen, in denen wir in einer fremden Sprache neue Wörter lernen, unterscheiden sich von lebensweltlichen Situationen, in denen wir die Referenzobjekte ‚real‘ oben oder unten im Raum lokalisiert wahrnehmen und darauf zeigen. In unterrichtlichen Settings sind körperliche Erfahrung und die handelnde Interaktion mit anderen Lernenden oft weniger dominant (ebd.: 15).1

      Dudschig, de la Vega & Kaup (2014) wenden einen bereits von Lachmair et al. (2011) erprobten Versuchsaufbau an, der die Wortverarbeitung auf einer unbewussten, automatisierten Ebene zu erfassen sucht. Der Versuchsaufbau entspricht einer modifizierten Stroop-AufgabeStroop-Aufgabe (benannt nach J. Ridley Stroop 1935), bei der die Proband:innen auf die Schriftfarbe reagieren. Ein bewusstes Lesen der Wörter einschließlich einer tieferen semantischen Verarbeitung ist hierbei nicht erforderlich. Den Testpersonen werden nacheinander einzelne Wörter in einer bestimmten Farbe präsentiert. Die Farbe des Wortes bestimmt, wie zu reagieren ist. Die Bedeutung des Wortes ist damit irrelevant und wird nur unbewusst erfasst.

      Im Design von Dudschig et. al. (2014) steht eine Farbe für eine bestimmte auszuführende direktive Bewegung. In der Ausgangsposition halten die Proband:innen mit jeder Hand je eine Ausgangstaste gedrückt, die auf einer vertikal ausgerichteten Konsole mittig angebracht sind (vgl. Abb. 2.11). Erscheint nun z. B. ein Wort in blauer Farbe, muss man mit einer Hand auf eine Antworttaste drücken, die sich oberhalb der Ausgangstaste befindet, und dafür den Arm nach oben bewegen. Eine andere Farbe erfordert dagegen eine Abwärtsbewegung (zu einer Antworttaste unterhalb der Ausgangstaste). Die Proband:innen fokussieren auf die Farben, auf die sie mit Aufwärts- und Abwärtsbewegungen reagieren sollen, die sprachliche Verarbeitung der präsentierten Wörter läuft derweil unbewusst und automatisiert ab. Den Proband:innen werden in randomisierter Abfolge sowohl ‚Aufwärts-Wörter‘ (Flugzeug, Sonne, Stern etc.) als auch ‚Abwärts-Wörter‘ (Maulwurf, Wurzel, Schuh etc.) präsentiert. Entweder ist deren Bedeutung kompatibel mit der geforderten Antwortbewegung (z. B. es ist ein Aufwärts-Wort und die Farbe erfordert eine Aufwärtsbewegung) – oder inkompatibel (z. B. es ist ein Aufwärts-Wort, aber die Farbe erfordert eine Abwärtsbewegung).

      Abb. 2.11:

      Versuchsaufbau bei Dudschig et al. (2014)

      Dudschig et al. wählten für ihre Studie Erwachsene (Studierende), die Deutsch als Erstsprache sprechen und Englisch in ihrer Schulzeit als Fremdsprache gelernt (jedoch noch nie in einem englischsprachigen Land gelebt) haben. In einem ersten Experiment mussten die Proband:innen im beschriebenen Setting sowohl auf deutsche (L1) als auch auf englische (L2) Aufwärts- und Abwärts-Wörter nach Farbansage mit kongruenten und inkongruenten Bewegungen reagieren; in einem zweiten Experiment wurden nur englische Wörter (L2) präsentiert. Bei beiden Experimenten zeigte sich, dass die Reaktionszeiten unter der kongruenten Bedingung systematisch kürzer sind als unter der inkongruenten Bedingung (vgl. ebd.: 16f.). Wörter wie Stern und star wurden also mit AufwärtsbewegungenAufwärtsbewegungen schneller verarbeitet, Wörter wie Wurzel und root schneller mit AbwärtsbewegungenAbwärtsbewegungen. Bei den L1-Wörtern im ersten Experiment ergab sich ein etwas stärkerer Effekt, aber auch bei den L2-Wörtern war der Unterschied zwischen der kongruenten und der inkongruenten Bedingung signifikant.

      Dudschig et al. (2014: 18) schlossen noch ein drittes Experiment im gleichen methodischen Design an, nur wurden in diesem Fall L2-Emotionsausdrücke präsentiert: Adjektive wie happy, joyful, sad, depressed etc. Erinnert sei in diesem СКАЧАТЬ