Bildung und Glück. Micha Brumlik
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Название: Bildung und Glück

Автор: Micha Brumlik

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783863936136

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СКАЧАТЬ Stoa unterscheiden sich dabei nicht in ihrer Zielsetzung, die in allen Fällen die menschliche Glückseligkeit in den Mittelpunkt stellt, und auch nicht darin, daß sie die Tugend oder die Tugenden als die wichtigste Voraussetzung für ein gelungenes, ein glückliches Leben ansehen. Die entscheidenden Unterschiede dieser philosophischen Schulen bemessen sich an der Einstellung nicht zu den Gesetzen der Natur, sondern zu den Gesetzen der Menschen – die etwa von den Kynikern im Grundsatz abgelehnt werden – und der Frage nach dem Verhältnis von Glück, Lust und Freiheit. Sind Lust und Freiheit miteinander zu verbinden? Sind Glück und Freiheit in letzter Instanz miteinander vereinbar? Lassen sich die pathischen Anteile der Seele, also die menschlichen Leidenschaften, sinnvoll in das Ganze eines Lebens integrieren, oder ist ihnen nur durch Distanz oder Beherrschung beizukommen? In pädagogischer Hinsicht scheint die Antwort von allem Anfang an eindeutig zu sein. Die bei Platon getroffenen Entscheidungen wirken bis heute fort. Der Begriff der „Tugend“ steht bei ihm vor allem für ein Programm wert- und ideenbezogener Einschränkungen, für die säuberliche Trennung von Affekt und Autonomie.

      Daher ist es kein Zufall, daß das Thema der Tugend in der Erziehungswissenschaft gelegentlich dort auftaucht, wo sie sich der Entwicklung des menschlichen Lebenslaufs im ganzen zuwendet, vornehmlich in der Theorie der Erwachsenenbildung. Tatsächlich hat sie stets dem Verhältnis von Bildung und Bildungssoziologie, von Erwachsenensozialisation und erwachsener Existenz nachgespürt und dabei – im Fall erwachsener Menschen, die im Idealfall ihr Leben eigenverantwortlich führen – dem Bildungs- vor dem Sozialisationsgedanken Priorität eingeräumt. Das mag der speziellen Sache geschuldet sein. Stärker als andere pädagogische Subdisziplinen nämlich erfordert die Erwachsenenbildung die Einbeziehung sowohl wissenschaftlichen als auch alltäglich gegründeten Reflexionswissens. Dabei scheint der philosophischen Ethik eine besondere Rolle zuzukommen. Philosophische Theorien der Ethik haben es an sich, daß sie einerseits methodisch ungeschützt, und darin dem Alltagswissen nahestehend, Fragen stellen können, die die Wissenschaft nicht mehr stellen darf, und daß sie sich andererseits, darin der Wissenschaft nahestehend, von allem Vorverständnis radikal distanzierend auf das einlassen müssen, was den Alltagsverstand, auch und gerade den wissenschaftlich gebildeten, brüskieren muß. In einem klassischen Beitrag zum Verhältnis von Sozialisationstheorie, Sozialwissenschaften und Didaktik der Erwachsenenbildung findet sich ein auffälliger Verweis45 auf ein weiter nicht vermitteltes oder erläutertes Zitat aus Platons Dialog Menon, dem letzten der frühen Dialoge. Hier fragt Menon: „Kannst du mir wohl sagen, Sokrates, ob die Tugend gelehrt werden kann? Oder ob nicht gelehrt, sondern geübt? Oder ob sie weder angeübt, noch angelernt werden kann, sondern von Natur den Menschen einwohnt oder auf irgendeine Art.“46

      So die Eingangssequenz eines Platonischen Dialoges, der sich unter Pädagogen deshalb besonderer Beliebtheit erfreut, weil in ihm mit der Anamnesislehre die Frage kognitiver Lernkonzepte angesprochen wird. Man würde den Menon jedoch mißverstehen, läse man ihn als erkenntniskritischen Traktat; tatsächlich geht es Platon um ein eminent praktisches Problem – um die Lehrbarkeit der Tugend. Wie in den frühen Dialogen üblich, endet auch dieser Dialog aporetisch, die Leserinnen und Leser bleiben um viele Fragen reicher, aber um einige Antworten ärmer zurück: „Zufolge dieser Untersuchung also, o Menon“, so läßt Platon seinen Sokrates sprechen, „scheint die Tugend, durch eine göttliche Schickung denen einzuwohnen, denen sie einwohnt. Das bestimmtere darüber werden wir aber erst dann wissen, wenn wir, ehe wir fragen, auf welche Art und Weise die Menschen zur Tugend gelangen, zuvor an und für sich versuchen, was die Tugend ist.“47

      Bildung, die sich in diesem Sinne auf eine realistische Konzeption der Existenz von Erwachsenen und Jugendlichen – bei all ihrer radikalen geschlechts-, einkommens-, bildungs- und lebenslagenbezogenen Ungleichheit – einläßt, wird eine sozialwissenschaftlich reformulierte Theorie der Tugend schon allein deshalb entfalten müssen, weil sie anders ihre Adressaten und deren vitalsten Interessen, einschließlich ihres Glücksstrebens, verkennen würde. Erwachsene und Jugendliche lassen sich nämlich – im Unterschied zu Kindern – bilden, weil sie ihr Leben verbessern und bereichern möchten, weil sie unter dem Druck selbst nicht gesetzter Qualifikationsanforderungen ihrem von ihnen zu verantwortenden Leben eine Wendung geben wollen, das vor dem Ganzen ihrer Existenz bestehen können soll. Daß es der Erwachsenenbildung vor allem darum geht, die Zumutungen des gesellschaftlichen Umfeldes für den erwachsenen Menschen zu analysieren, ist der oft übersehene existentialistische Kern der neueren Theorie der Erwachsenenbildung. Sie zielt auf eine Theorie des Lebenslaufs, die jene Haltungen analysiert, die es Menschen ermöglichen, den Kontingenzen des Lebens in der Moderne zu entsprechen, also auf jene Kompetenzen und Performanzen, die zu einer angemessenen „Realitäts-“ und „Identitätsarbeit“ führen können. Sie sind der formale, keineswegs nur kognitive Rahmen, innerhalb dessen ein gelungenes Leben angestrebt werden kann: „Denn bei keiner der menschlichen Leistungen gibt es eine solche Beständigkeit wie bei den tugendgemäßen Tätigkeiten. Diese scheinen sogar beharrender zu sein als die Wissenschaften, und unter ihnen wiederum sind am beharrends- ten die an Rang höchsten, weil die Glückseligen am meisten und am dauerndsten in ihnen leben. Dies wird auch wohl die Ursache dafür sein, daß sie nicht in Vergessenheit geraten.“48

      Doch Aristoteles hatte unrecht. Die tugendgemäßen Tätigkeiten waren schon bei Monteverdi dabei, ihrem Begriff nach in Vergessenheit zu geraten, die Sache selbst schlummerte unaufgeklärt in der Sprache der Qualifikations-, Kompetenz- und Performanztheorie vor sich hin. Die in einer Theorie der Tugend angelegte Frage nach der Glückseligkeit49 scheint zudem eine Frage zu sein, die von einer modernen, sozialwissenschaftlich ausgerichteten, explanativen Theorie kaum, von normativen Theorien bestenfalls vorsichtig und mit eher schlechtem Gewissen angegangen werden. Nicht nur ließ sich nach den Verwüstungen und Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr guten Gewissens von Glückseligkeit sprechen – wie sollte ein unverstelltes Glück im Wissen des Grauens möglich sein? „Aber selbst der endliche Anbruch der Freiheit“, so schließt Herbert Marcuses Triebstruktur und Gesellschaft, „kann diejenigen nicht mehr erlösen, die unter Schmerzen gestorben sind. Die Erinnerung an sie und die aufgehäufte Schuld der Menschheit gegenüber ihren Opfern verdunkeln die Aussichten einer Kultur ohne Unterdrückung.“50

      Übrig blieb – mit guten Gründen – eine Ethik, die sich bestenfalls daran erinnern wollte, was die Frage nach dem guten Leben einmal bedeutete, und die statt dessen über die Beschädigungen menschlichen Lebens reflektierte.51 Ob sich die Frage nach dem Glück bzw. nach dem guten Leben überhaupt noch guten Gewissens stellen läßt, ob nicht jeder Versuch, angesichts dieser Geschichte subjektives Glück auch nur empfinden zu wollen, zwar verständlich, aber entweder sinnlos oder ungerecht ist, soll hier dahingestellt bleiben. Daß die meisten Menschen dem offenbar unauslöschbaren Streben nach Glück folgen, dürfte nicht zu bestreiten sein, ob „Glück“ als universelles menschliches Handlungsmotiv zu unterstellen ist, hingegen sehr wohl.52 Aristoteles – darin wird ihm Rousseau folgen – legt einen engen Zusammenhang zwischen Glückseligkeit und Tugend nahe, und zwar so, daß bestimmte Arten der Tugend, nämlich die beharrenden, von glückseligen Menschen auffällig oft gelebt würden. Damit ist der Begriff der „Tugend“ seit Beginn des abendländischen Denkens an die Reflexion über gelingende und mißlingende Lebensläufe geknüpft. Das Wechselspiel von Glück – d. h. von Zufall oder Geschick, von Tugend und Liebe, kurz: die wechselnden Konstellationen von bemühter Lebensführung und leidenschaftlichen Affekten, denen stets Kontingenz innewohnt – ist dabei jene Matrix, jener Hintergrund, vor dem ihrer selbst bewußte Individuen ihr Leben führen und führen müssen. Im Begriff der Tugend wird der Anspruch erhoben, das Verhältnis von angestrebten Tätigkeiten, seelischen Zuständen und widerfahrenen Kontingenzen alles in allem doch so steuern zu können, daß das gewollte und widerfahrene Leben schließlich im ganzen bejaht werden kann. Tugenden werden als jene Dispositionen, Fähigkeiten und Fertigkeiten angesehen, die es einem Individuum ermöglichen, sein Leben den eigenen Wünschen gemäß zu meistern und darüber hinaus – und hier beginnen die Schwierigkeiten – ein Leben zu führen, das auch nach objektiven Maßstäben als „gut“ gilt.

       Damit ist das zentrale Problem einer Tugendethik benannt und das für eine moderne Moral СКАЧАТЬ