Bildung und Glück. Micha Brumlik
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Название: Bildung und Glück

Автор: Micha Brumlik

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

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isbn: 9783863936136

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СКАЧАТЬ psychosoziale Berufe, für Pädagogen, Therapeuten und Berater stellt sich damit die Frage, welche Maßstäbe und Ziele sie sowohl an die eigene Arbeit als auch an das Tun all derer anlegen wollen, die ihnen im Erziehungsprozeß überantwortet sind oder die sich ihnen als Leidende oder Ratsuchende anvertraut haben. Damit ist zugleich die Frage nach der beruflichen Verantwortung von Pädagogen, Therapeuten und Beratern als die Frage gestellt, wofür Kinder, Heranwachsende oder Klienten im idealen Fall später Verantwortung übernehmen, d. h. welche Art der Moral sie erwerben sollen.28 Daran zeigt sich, daß mindestens Psychotherapie und professionelle Erziehung insoweit stets am Ende der Leichtigkeit operieren, als beide niemals umhin können, Verantwortung ein- und auszuüben – unabhängig davon, ob sie das beabsichtigen oder nicht. Strittig ist allenfalls, welche Reichweite diese Verantwortung jeweils haben soll. Daß es darauf im Einzelfall keine abstrakte Antwort geben kann, leuchtet ebensosehr ein wie die Vermutung, daß die Reichweite der Verantwortung im Prinzip zu ermessen sein sollte.

      Für das Erziehungssystem wird daher vorgeschlagen, sich zur Heilung gesellschaftlicher Übel und Gebresten wieder auf die kleinsten leicht zugänglichen gesellschaftlichen Einheiten zu beziehen, auf Familie und Schule. Wenn überhaupt, so scheint es, konkrete Verantwortung für diese Gesellschaft eingeübt werden kann, dann dort, wo Kinder und Jugendliche zu verantwortungsvollen Bürgerinnen und Bürgern gebildet werden. Nirgendwo wird das Ende der Leichtigkeit so massiv eingeklagt wie im Erziehungsbereich, nirgendwo anders scheinen die libertären Umgangs- und Lebensformen, die ein Ergebnis der Kulturrevolution der späten sechziger Jahre waren, so verhängnisvoll gewirkt zu haben, scheint der Katzenjammer so groß zu sein.29 Die Beunruhigung über jugendliche Neonazis, Drogenabhängige und Vandalismus in Schulen vermengt sich so mit dem Gefühl von Orientierungslosigkeit, an der die Sozialwissenschaften nicht unschuldig seien. Das Einklagen einer allgemeinen erzieherischen Verunsicherung aufgrund des Reflexionsschubs, den das Eindringen erziehungswissenschaftlicher Einsichten in die Lebenswelt von Eltern, Kindern und Schülern verursacht habe, fordert zu der Beschwörung heraus, daß künftig wieder erzogen werden müsse. Darüber hinaus bedienen sich die neuen Erziehungsbefürworter der gerne verwendeten rhetorischen Figur, sich selbst in eine imaginäre Mitte zu plazieren und mögliche, einander ergänzende Extreme zu kritisieren: in diesem Fall den permissiven und autoritären Erziehungsstil. Über deren soziale Positionierung und schichtenbezogene Verteilung lassen sich die neuen Erziehungsbefürworter – unverständlich angesichts einer Fülle von präzisen Forschungsergebnissen, die für im weitesten Sinn auffällige Jugendliche alle auf ein familiär und schulisch durch Leistungsanforderungen30 überstrapaziertes Unterschichtmilieu hingewiesen haben – nur sehr vage aus.31 Die wohlfeile Polemik vor allem gegen die permissive Erziehung gestattet es, den Begriff der „Autorität“ aufzuwerten, ohne autoritär zu wirken, während das in der Sache absolut gerechtfertigte Plädoyer für eine demokratische Erziehung oft keinem anderen Zweck dient, als die konservative Parole „Mut zur Erziehung“ zu assimilieren und eine neue „Autorität“ zu fordern.

      Bei dieser Debatte geht es erstens um die pauschale Behauptung einer allgemeinen Verunsicherung von Eltern und Erziehern, Kindern und Jugendlichen, zweitens um die unausgewiesene Rede von „Autorität“ sowie drittens um die unscharfe Rede von „Werten“ und „Werteerziehung“. Daß in bezug auf Erziehungsfragen Verunsicherung herrscht, ist unbestritten. Ob diese Verunsicherung zugenommen hat, könnten wir nur anhand eines Zeitreihenvergleichs beurteilen, für den uns die Vergleichsdaten aus den zwanziger, dreißiger, vierziger, fünfziger und sechziger Jahren fehlen. Wie viele Eltern sich faktisch aus ihrer Rolle als Erzieher zurückgezogen haben, wissen wir nicht. Sogar wenn wir entsprechende Einstellungsuntersuchungen hätten, wüßten wir immer noch nicht, ob sich diese Eltern im Alltag auch tatsächlich so verhalten. Möglich wäre ja immerhin, daß Eltern sich zwar verunsichert fühlen und in reflexiven Situationen meinen, nicht mehr zu erziehen, sich aber tatsächlich sehr wohl erzieherisch verhalten. Da über diesen Fragenkomplex kaum empirische Forschungen vorliegen – nicht zuletzt deshalb, weil klinische Untersuchungen im Alltag von Familien extrem aufwendig sind –, muß hier ein eindeutiges Urteil bis auf weiteres ausstehen. Die wenigen Forschungen, die hierzu vorliegen,32 motivieren dazu, den Strukturen der sozialisatorischen Interaktion mehr zuzutrauen, als es die Befürworter eines jederzeit bewußten Erziehens tun. Obwohl alle möglichen definitorischen Anstrengungen zur Bestimmung des Erziehungsbegriffs vorgenommen werden und immer wieder klargestellt wird, daß eine zeitgemäße Erziehung im wesentlichen im Aushandeln von Bedürfnissen und im Verzicht auf Gehorsam besteht – trotz der klaren Ablehnung autoritärer Erziehungsstile wollen nicht wenige der neuen Werteerzieher unbegründet am Begriff der „Autorität“ festhalten. Dabei ist bezeichnend, daß eine wissenschaftliche Klärung des Begriffs „Autorität“ in aller Regel entfällt. Schlägt man beliebige Lexika auf, so wird man im allgemeinen für den Begriff „Autorität“ Umschreibungen wie etwa „Würde“ und „Ansehen“ finden. Demnach kann es in der Sache nur darum gehen, daß Eltern, die sich im familiären Alltag eines demokratischen Verhaltens befleißigen, aus nicht nur motivationalen Gründen wünschen, von ihren Kindern anerkannt zu werden. Die entscheidende Frage lautet dann, als was sie anerkannt werden wollen: als Personen, denen im Zweifelsfall fraglose Folgebereitschaft gezollt wird, oder als Partner, deren Argumente gehört werden? Geht es um letzteres, ist der Begriff „Autorität“ fehl am Platz, geht es um ersteres, läuft die Polemik gegen den permissiven Erziehungsstil ins Leere. Die Verwendung des Begriffs „Autorität“ verhindert in diesem Zusammenhang lediglich, daß das Paradigma des demokratischen Erziehungsstils zur vollen Entfaltung kommt.

      Was heißt endlich Werteerziehung? Die Soziologie unterscheidet schulmäßig zwischen Normen und Werten33 und will damit ausdrücken, daß Normen jene Verhaltensmaßgaben sind, die um der Verwirklichung eines von mehreren Personen für wichtig gehaltenen Gutes willen etabliert worden sind. Gilt etwa persönlicher Respekt als das wünschbare und schützenswerte Gut, so beschreibt „Höflichkeit“ die Normen, die im zwischenmenschlichen, alltäglichen Umgang zu beachten sind. Die schulmäßige Unterscheidung führt zu der Frage, welche „Werte“ in einer menschlichen Sozialität nicht nur faktisch vorfindlich, sondern auch normativ akzeptabel sind. Die Werte „Reichtum“, „sexuelle Attraktivität“, „Liebe zur Heimatgemeinde“, „Vorrang der eigenen Rasse“, „Toleranz“, „Pünktlichkeit“ etc. sind offensichtlich weder gleichermaßen legitim noch gleichermaßen weitreichend. „Werte“ der persönlichen Lebensführung sind einerseits von „Werten“ des öffentlichen Zusammenlebens zu unterscheiden, während andererseits faktische, legale und legitime „Werte“ auseinanderzuhalten sind. Wie weit eine dezentrierte, demokratische Gesellschaft überhaupt noch beliebige „Werte“ verkörpern und durchsetzen kann, ist in politischer Soziologie und Philosophie strittig. Ob der Wertepluralismus und die mit ihm einhergehende Verunsicherung nur ein Desaster oder nicht doch eine große Chance darstellt, ist ebenfalls umstritten. Auf jeden Fall: In Gesellschaften dieses Typs dürften nur noch sehr allgemeine, individuelle Lebensweisen, nicht mehr zensierende „Werte“ allgemein akzeptabel sein: vor allem die Würde des Menschen (einschließlich der entsprechenden rechts- und sozialstaatlichen Sicherungen). Diesen soziologischen Befund unterschlägt die „Wertedebatte“. Letzten Endes schrumpfen in demokratischen Gesellschaften die allgemein als legitim erachteten und deswegen positiv sanktionierten Werte zu minimalen Verfahrensgrundsätzen zusammen. Mehr ist weder möglich noch nötig. Was bleibt, sind Vorschläge zur geregelten Auseinandersetzung über Wertkonflikte. Bedarf also die Motivation von Eltern und Lehrern, die bereit sind, sich in diesem Sinn auf sozialisatorische Interaktionen einzulassen, der Semantik von Ordnung, Verantwortung und Grenzen? Tatsächlich ist davon auszugehen, daß diejenigen, die ohnehin demokratisch und partnerschaftlich erziehen, entsprechende Appelle zustimmend oder nachdenklich zur Kenntnis nehmen werden, während derlei Erklärungen an den Eltern derjenigen Kinder, die als delinquent, verhaltensgestört, gewalttätig oder gar als rassistisch angesehen und behandelt werden, resonanzlos vorüberrauschen dürften. In diesen Fällen, das ist Lehrerinnen und Lehrern ebenso vertraut wie Sozialarbeitern, hilft nur die mühsame Praxis am Arbeitsplatz oder ein politisches Handeln, das die Verstetigung des Unterschichtmilieus mit seinen Überforderungen in der Schule durch radikale Reform überflüssig macht. Dieses Thema – das rückständig gegliederte Schulwesen34 СКАЧАТЬ