Karl der Große im Norden. Elena Brandenburg
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СКАЧАТЬ Handschriften wird sich schrittweise der Beantwortung der eher allgemein formulierten Fragestellung nach dem Transfer heldenepischer Texte in den ostnordischen Kulturraum annähern, indem die zentralen Motivkomplexe der chansons de gestechansons de geste in den ostnordischen Bearbeitungen vor dem Hintergrund der intra- und extrakodikologischen Wirklichkeiten beleuchtet werden. Hierfür wurden folgende Themenkomplexe gewählt: Die universelle Bedrohung der christlichen Welt durch die Heiden wird an vielen einschlägigen Stellen in den chansons de geste, natürlich insbesondere in der Chanson de RolandRoland, aber auch in der Chanson d’Aspremont, in einer propagandistischen Weise narrativ umgesetzt – implizit durch die Darstellungen der ‚Andersgläubigen‘ und ihrer Idole und explizit durch gelehrte Dialoge als Verfahren christlicher Sinnstiftung. Wie gingen die ostnordischen Bearbeiter mit diesen Bildern um, musste doch die ostnordische Literatur im späten Mittelalter kein Legitimationsangebot der Kreuzzugsideologie darstellen? Finden sich in den einschlägigen Textstellen weitere Ausführungen, relativierende Aussagen, Innovationen und unabhängige Entwicklungen oder fügen sich auch die ostnordischen Übertragungen in die westeuropäische Tradition der überwiegend abwertenden Haltung dem Anderen gegenüber? Welche Funktionen übernehmen die Sarazenen in der volkssprachigen Literatur Schwedens und Dänemarks?

      Ein weiterer Themenkomplex widmet sich dem Thema nach der Dependenz von Gender und Genre. Heldenepik exemplifiziert eine literarische Tradition, geboren aus der Krise einer bedrohten Feudalgesellschaft und ist als ein weitgehend exklusives maskulines Universum aufzufassen, in dem die Frauen aus dem genrebezogenen Wertesystem ausgeschlossen werden – Gaunt spricht hier von einer „monologic masculinity“.9 Geht man jedoch davon aus, dass die heldenepischen Texte auf dem Weg ins ostnordische literarische System ihre Genre-Grenzen öffnen, ihre Adaptation also nicht an Genre-Konventionen gebunden ist und man durchaus höfisierende Tendenzen voraussetzen kann, wie es schon in der altwestnordischen Kompilation Karlamagnús saga ok kappa hansKarlamagnús saga ok kappa hans der Fall war: Öffnen sich hier zugleich auch Räume für andere Umgangsformen in der Gestaltung der weiblichen Protagonisten der chansonschansons de geste? An dieser Stelle werden einschlägige Textpassagen auf ihr Potential hin überprüft, durch Aufhebung der traditionellen Genrebeschränkungen andere, innovative Konstruktionen der monologischen MaskulinitätMonologische Männlichkeit und Feminität in Interdependenz mit den Genretransformationen zu kreieren.

      Im Hinblick auf die Frage nach dem Identitätsbezug kultureller Texte spielt die Gestalt des Ogier le DanoisHolger Danske (dän.: Holger Danske), aus dem Zwölferbund Karls des Großen, eine wichtige Rolle für die Funktionsbestimmung der übersetzten Texte im neuen literarischen System. Dieser literarische Einwanderer, von dem die ältesten historiographischen Werke wie Svend Aggesens Brevis Historia Regum Daniae oder Saxos Gesta Danorum schweigen,Holger Danske10 kann namentlich bis auf die Chanson de RolandRoland zurückverfolgt werden. Seine Genese als dänischer Nationalheld nimmt ihren Anfang in der altwestnordischen Bearbeitung der chanson und wird in den altostnordischen Übersetzungen fortgesetzt. Schließlich erlangt die Figur des Holger Danske eine eigenständige Existenz, auch über seine Zugehörigkeit zum Zwölferbund Karl des Großen hinaus, über die dänischen Balladen und Volkslieder parallel mit Dänemarks Verlust an historischer Bedeutsamkeit.11 Liegen die Wurzeln der Konstruktion eines Nationalhelden bereits in Karl Magnus und Karl Magnus Krønike? War dem Übersetzer/ Redaktor bei der Übersetzung eines Dänen zurück in seine Heimat die historische Dimension seiner Adaptation bewusst und inwiefern unterscheidet sich das entworfene Bild von Holger Danske in der altdänischen Krønike von dem im Karl Magnus? Wurde dem Helden Ogier le Danois in den Übersetzungen mehr Handlungsraum eingeräumt als in den altfranzösischen Texten? Wurde nicht nur die Übersetzung selbst, sondern die Wahl der zu übersetzenden Texte entsprechend der polysystemischen Prämisse politisch und gesellschaftlich determiniert? Auch hier wird die Analyse zentraler Textpassagen die weiter oben aufgeworfenen Fragen nach der Funktion und Rolle eines eingewanderten (National-)Helden beantworten.

      Steht die literarische Gestalt Ogier le DanoisHolger Danske noch im Lichte der Funktionalisierung im Dienste eines lokalen, einheimischen Identitätsbezugs, so stellt die Figur Karl des Großen als eine der Schlüsselfiguren im europäischen kulturellen Gedächtnis ein ungleich mächtigeres Identifikationsangebot dar, gilt er doch als der universale, von Gott auserwählte Krieger im Dienste des Christentums. An dieser Stelle sei vor einer Pauschalisierung gewarnt: Die chansons de gestechansons de geste haben in ihrer Entwicklung als Genre vielfältige, nicht nur positive Karlsbilder produziert. Die narrative Identitätskonstruktion eines Herrschers kann im Hinblick auf die zeitgenössische politische Situation erfolgt sein. Vermittelt höfische Literatur Normen und Werte, an denen sich die Aristokratie orientieren soll, kann der große Herrscher mittels narrativer Verfahren idealisiert oder auch kritisiert werden. Welche Transformationen erlebt Karl der Große auf seinem literarischen Weg in den Norden? Kann man hier von einer Hagiographisierung Karls des Großen sprechen, wie es in der deutschen chanson de geste-Rezeption der Fall war? Spielt das benachbarte autochthone Sagengedächtnis der altwestnordischen Heldenepik eine Rolle bei der Umsetzung der chansons de geste, hatte man doch mit Olav dem Heiligen eine aus dem benachbarten Kulturraum stammende Identifikationsfigur? Oder lassen sich die vielen schablonenhaften Kampfszenen auf eine Profanisierung der Geschichten zugunsten einer stereotypen Massakerästhetik zurückführen? Wie ist die Figur Karls des Großen vor dem Hintergrund der Regentschaft Eriks von PommernErik von Pommern, dem alleinigen Herrscher der Kalmarer UnionKalmarer Union von 1412–1439, Karls VIII. Bonde sowie Christians I. zu interpretieren?

      Die Auswertung der zuvor erläuterten Themenkomplexe wird vor dem theoretischen Hintergrund schließlich zur Beantwortung der Frage nach dem Transfer kultureller Texte – denn, wie einleitend erklärt, werden die chansons de gestechansons de geste in der vorliegenden Studie als solche aufgefasst – in den ostnordischen Kultur-und Literaturraum beitragen. Die als vom Übersetzer intentional angenommenen Transformationen lassen sich mit den Erkenntnissen verknüpfen, die aus den Studien der kodikologischen sowie historischen und gesellschaftlichen Kontextualisierungen gewonnen werden. Auf diese Weise wird die Frage nach der Position der übersetzten chansons de geste im literarischen System Schwedens und Dänemarks des 15. Jahrhunderts beantwortet. Mit dieser Fragestellung korreliert auch die Frage nach der Gattungstransformation, wie aus den ursprünglichen geste de France mit Hilfe der europäisch-peripheren altwest- und vor allem altostnordischen Bearbeitungen geste d’Europe entstehen konnten.

      3. Historischer Kontext

      Translation is a cultural phenomenon produced by individuals with a certain personality as well as an agenda and it is closely linked to the political and often economic or personal situation of the translator.1

      Der Transfer der Gattung chanson de geste in den altnordischen Raum unterlag, wie alle anderen Gattungen auch, stets wandelnden sozialen, politischen und religiösen Faktoren der aufnehmenden Kulturen. Den theoretischen Prämissen der PolysystemtheoriePolysystemtheorie folgend, müssen bei der Analyse der Funktionen der übersetzten Werke, ihrer Positionierung in den neuen literarischen Systemen ebenso außersystemische Determinanten berücksichtigt werden. Zum einen sind dies die linguistischen und ästhetischen Normen, die für die Übersetzungen, im mediävistischen Kontext somit auch stets Reinterpretationen, ausschlaggebend sind. Zum anderen sind es vor allem die politisch-historischen und soziokulturellen Kontexte, deren Einbeziehung sowohl die Positionierung als auch das Gesamtverständnis der Texte ermöglicht. Im Folgenden wird daher die historische Situation der jeweiligen Kulturräume skizziert, die die Übersetzungen der altfranzösischen Stoffe ermöglicht und beeinflusst hat.

      3.1. Norwegen und norwegischer Hof

      Die übersetzten riddarasögurriddarasögur, zu denen auch die Karlamagnús saga ok kappa hansKarlamagnús saga ok kappa hans gehört, die als Hauptvorlage der altostnordischen Karlsdichtung gilt, sind ein wichtiges Zeugnis für die Interaktion zwischen Herrschaft, Kultur und Literatur im Norwegen des 13. Jahrhunderts.1 Als Initiator für Übertragungen СКАЧАТЬ