Название: Interkulturelle Bildung, Migration und Flucht
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783823301905
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Kulturelle Begegnungen im öffentlichen Raum
Bisher habe ich in meinem Beitrag versucht, die einzelnen Dimensionen, verborgene wie manifeste, zu beschreiben, die für die Begegnungen der Kulturen im öffentlichen Raum eine wichtige Rolle spielen. Diese Dimensionen sind auf Seiten der Akteure Habitus, kulturelle Ausprägung und Integration, auf Seiten des öffentlichen Raums Exklusions- und Inklusionsmechanismen durch Gestaltung, Funktion und Regeln. Auf der Metaebene schließlich sind die diversen Funktionssysteme der Gesellschaft wie Rechtsystem, Wirtschaft und politische Machtverhältnisse von Bedeutung. Die Komplexität des Zusammenspiels all dieser Dimensionen kann vielleicht durch eine graphische Darstellung reduziert werden. Die Graphikform ergibt sich geradezu zwingend aus der Ablehnung rein linearer Beschreibungen, die der Mehrdimensionalität des Phänomens, vor allem den Durchdringungsdynamiken der unterschiedlichen Dimensionen, nicht gerecht werden können. Mit diesem Modell kommen wir der Realität teilweise näher, weil damit erstens eine lineare Kausalität als Begründung für die hier beschriebenen Phänomene vermieden wird und zweitens die Überschneidungsmomente in den Mittelpunkt gestellt werden, die eher zum Verstehen von Dynamiken der Begegnung von Kulturen beitragen. Sinn der Übung ist weniger, eine präzise Analyse des Phänomens „Begegnungen der Kulturen im öffentlichen Raum“ zu liefern – dafür ist dieser Rahmen nicht ausreichend – als vielmehr das Gefühl der Komplexität einer jede Begegnung im öffentlichen Raum zu vermitteln, unabhängig davon wie einfach, belanglos oder unproblematisch diese Begegnungen erscheinen mögen.
In diesem Abschnitt möchte ich die einzelnen Elemente der Graphik nur streifen, eine detaillierte Erläuterung wäre zu umfangreich. Lediglich auf drei Aspekte werde ich ausführlicher eingehen, da sie mir für unsere Fragestellung zentral erscheinen: die Ressourcen der Akteure im öffentlichen Raum, das Wirken der soziokulturellen Felder, in denen sie sich bewegen, und schließlich die Stimmung im öffentlichen Raum.
Dimensionen kultureller Begegnungen im öffentlichen Raum
Alles was im öffentlichen Raum stattfindet, geschieht in einem gesellschaftlichen Kontext, der für alle Akteure gleich ist. Das bedeutet nicht, dass auch die soziale Wirklichkeit der Akteure gleich ist. Dennoch stehen alle unter dem Einfluss der Funktionssysteme, die für die Integration der Gesellschaft sorgen. So steht das politische System für kollektiv bindende Entscheidungen, das Rechtssystem für die rechtsförmige Bearbeitung von Konflikten, das Wirtschaftssystem für die Minderung von Knappheit usw. (vgl. Krause 2001: 132).
Die Funktionssysteme produzieren die Bedingungen, unter denen der öffentliche Raum organisiert und verwaltet wird. Die Zuständigkeit für Gestaltung, Regeln, Kontrolle und Atmosphäre des öffentlichen Raums wird an die Gemeinden bzw. die Körperschaften des öffentlichen Rechts delegiert. Aber „der städtischer Raum ist keine vorgegebene Wirklichkeit, sondern ein gelebter Ort, der für die Menschen in dem Maße bedeutsam wird, als sie mit dem Raum und einzelnen seiner Elemente bestimmte Bedeutungen verbinden. Je unterschiedlicher die Lebensweisen, desto unterschiedlichere Bedeutungen kann ein und derselbe Raum der Stadt annehmen“ (Siebel 2016: 22), und „die Straßen und Plätze der Städte [haben] eine eminent politische Funktion als Räume, in denen symbolische Kämpfe um soziale Anerkennung und um politische Macht ausgetragen werden“ (ebd.: 88).
Im öffentlichen Raum selbst treffen sich aus unterschiedlichen Gründen die Akteure mit ihren Gemeinsamkeiten und Differenzen, ihren diversen kulturellen Hintergründen, spezifischen Erfahrungen, Ressourcen, Bedürfnissen und Verhaltensweisen, Wünschen und Nöten, kurzum mit allem, was die menschliche Existenz ausmacht. Der öffentliche Raum ist „durch seine allgemeine Zugänglichkeit oft der einzige Ort der Begegnung zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, die sonst kaum gemeinsame Handlungszusammenhänge haben. Man muss sich einigen, wer rechts und wer links vorbei geht und welche Regeln einzuhalten sind oder nicht, kurz: in Interaktion treten. Begegnungen heißt nicht nur Verständnis und Akzeptanz, sondern vor allem auch Aushandeln, Abgrenzung und Konflikt“ (Keding 2009: 13). Dabei darf der Konflikt keinesfalls nur als Problem betrachtet werden, er ist vielmehr unabdingbar, denn „Gesellschaften integrieren sich nicht über Harmoniebekundungen und hehre Ziele, sondern über Konflikte. Ohne Konflikte keine soziale Integration. Je mehr Konflikte desto besser – vorausgesetzt sie durchkreuzen sich gegenseitig; dadurch werden aus Streithähnen in einem Konflikt Verbündete im Anderen“ (Hondrich 2004: 90).
Konflikte im öffentlichen Raum entstehen häufig in Zusammenhang mit Raumaneignungsprozessen durch einzelne Individuen, Gruppen, Geschäfte oder Organisationen. Weil der öffentliche Raum aber grundsätzlich allen Menschen frei zugänglich sein sollte, werden Bestrebungen zur „Territorialisierung“ immer wieder zu Quellen von Konflikten. Die Raumaneignung kann sehr unterschiedliche Formen annehmen: körperliche durch Mobilität oder Verweilen, symbolische durch das Anbringen von Werbeplakaten, das Zurücklassen von Müll, durch Zigarettenrauch oder Essensgeruch, akustische durch entsprechende Kommunikation oder Musik und schließlich auch über strukturgebende Elemente wie Wegeführung und Bodenbeläge (vgl. Keding 2009: 26). Natürlich haben die Konflikte auch mit der Pluralität der Werteorientierungen der Akteure bzw. der gesellschaftlichen Gruppen im öffentlichen Raum und mit den dort herrschenden Machtverhältnissen zu tun. Abweichende Verhaltensweisen sind in einer durch Pluralität und Vielfalt gekennzeichneten Gesellschaft unvermeidlich und generieren selbstverständlich Konflikte zwischen den beteiligten Akteuren Individuum, Gruppe, Organisation oder der den Staat vertretenden Instanzen. Die entscheidende Frage ist dann nicht mehr, wie Konflikte vermieden werden, sondern vor allem wie mit ihnen umgegangen wird. Konflikte im öffentlichen Raum können auf unterschiedliche Weisen gelöst werden. Lösungsansätze, die auf Partizipation und Dialog beruhen, haben sich bisher als die erfolgreichsten erwiesen, „das Austarieren unterschiedlicher Auffassungen und Anforderungen an den öffentlichen Raum ist dabei zentrale Aufgabe. Auf dem Weg des Ausgleichs divergierender Interessen müssen alle Beteiligten – Anwohner, Hauseigentümer, Gewerbetreibende, die öffentliche Hand – eingebunden werden. Ziel ist dabei, dass alle beteiligten Akteure gemeinsame Strategien entwickeln“ (Kuhn 2016: 233 f.).
Akteure – soziokulturelle Felder – öffentlicher Raum
Soziokulturelle Felder sind komplexe und dynamische Gebilde, die alle etablierten sozialen, kulturellen und politischen Normen und Werte, Symbole und habitualisierten Handlungsweisen einer Gemeinschaft an einem Ort umfassen. Sie differenzieren sich in einzelne Felder wie das des Privaten oder der Familien, das der Vereine oder gemeinschaftlichen Aktivitäten, das der Kirche, des Politischen usw. aus. Zwischen den einzelnen Feldern findet eine Wechselwirkung statt, welche die Gesamtdynamik einer Gemeinschaft wesentlich beeinflusst und die Sozialisation der Akteure dauerhaft prägt. Davon hängt maßgeblich die Alltagstimmung in einem Gemeinwesen ab. Dies trifft in besonderem Maß auf kleinere Gemeinden zu, in denen aufgrund der räumlichen Enge und der Enge der sozialen Beziehungen die Vermischung von Öffentlichkeit und Alltagswelt besonders groß ist.
In einer tätigen Auseinandersetzung mit und auf den soziokulturellen Feldern entwickeln Menschen ihre allgemeinen Orientierungen und eignen sich die Elemente an, die ihnen eine Lebensführung auf diesen Feldern und eine Verortung im öffentlichen und im institutionellen Raum ermöglichen. Dabei erproben sie in Bezug auf die dort herrschenden Normen und anerkannten kulturellen Symbole ein Verhaltensrepertoire, das dazu dient, СКАЧАТЬ