Название: Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit
Автор: Gisela Mayr
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823301912
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3.2.2 Interlingualer Transfer
Im Zuge der mehrsprachigen Sprachverarbeitung können interlinguale Transferbasen identifiziert und Hypothesen gebildet werden. Diese wiederum werden aufgrund von Plausibilitätsprüfungen verifiziert oder falsifiziert (Meißner & Reinfried 1998: 46). Bei der Plausibilitätsprüfung spielt die „soziale Unterstützung“, wie sie Meißner nennt, eine relevante Rolle: Hypothesen können im Austausch mit anderen und durch Übersetzungen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Hier kommen Formen sozialen Lernens, wie sie sich die mehrsprachige komplexe Kompetenzaufgabe zum Ziel setzt, zum Tragen. Die Lernenden können sich in der Gruppe austauschen und gemeinsam sprachübergreifend Hypothesen überprüfen und vergleichen. Dadurch wird eine Vielzahl an Ressourcen mobilisiert, die sich als lernfördernd erweisen. Damit eng verbunden ist die Fähigkeit, Details zu verstehen und zuzuordnen unter der Anforderung eines hohen Maßes an Korrekturfähigkeit, enzyklopädischem Wissen und Rekonstruktionsfähigkeit (ibid.: 57). Es entstehen laut Meißner sog. Interlexeme oder Brückenwörter, die über Sprachbrücken zur zielsprachlichen Kompetenz führen. Folglich sind negative Transferleistungen bzw. Interferenzen eher als kreativer Aspekt des Fremdsprachenerwerbsprozesses zu sehen und Ausdruck einer provisorischen Hypothesengrammatik (ibid.: 59). Dabei spielt das Prinzip der thematischen Einbettung eine zentrale Rolle, da die Verarbeitungsprozesse der thematischen Interpretation laut Meißner (ibid.: 60) nicht auf einer lexiko-grammatischen Ebene ablaufen, sondern auf der thematischen Auslegung der Nachricht beruhen. Da nun Themen kulturspezifisch verarbeitet und aktualisiert werden, sind Transferbasen nicht ausschließlich sprachlich zu verorten, sondern in besonderem Maße auch kulturell. Jeder Transfer ist somit ein kultureller Transfer (ibid.: 64). Dies ist aus didaktisch-methodischer Sicht durchaus sinnvoll und wird auch im hier vorgeschlagenen Modell eines mehrsprachigen aufgabenorientierten Unterrichts anvisiert. Denn Lernen nach thematischen Schwerpunkten und Kontextualisierung sind ausschlaggebend für erfolgreichen Unterricht und haben sich auch im vorliegenden Unterrichtsdesign als wirkungsvolles und unabdingbares Instrument für die Entwicklung mehrsprachiger kommunikativer Kompetenz erwiesen (MKK). Denn im mehrsprachigen Diskurs vernetzt sich das Vorwissen und es wird je nach Bedarf auch auf heterolinguales Wissen zurückgegriffen (ibid.: 65). Es werden also Wissensbestände aus allen Sprachen und Kulturbereichen herangezogen und das nötige gesamtsprachliche Weltwissen aktiviert, um die Dekodierung eines Textes zu ermöglichen. Dazu ist es aber in erster Linie nötig, dass ein solches Weltwissen im Unterricht durch spezifische Unterrichtsdesigns vermittelt wird.
Aus diesem Blickwinkel erhalten auch sog. Interferenzfehler eine völlig neue Valenz, sie sind nämlich ein Fenster zu diesem höchst komplexen Falsifizierungs- und Verifizierungsmechanismus, der in Gang gesetzt wird. Daher betont Meißner in seiner Ausführung, dass „was als Interferenzfehler sichtbar/hörbar wird, ist nur die Oberfläche, deren Tiefenstrukturen bis weit in die Konzeptbildung und bis in den Zwischenbereich von Sprache und Welt hineinreichen“ (ibid.: 66). Es soll in den Kapiteln der Datenauswertung u.a. auch aufgezeigt werden, wie solche Interferenzfehler einerseits von einem kreativen Umgang mit Sprache zeugen und andererseits die Fähigkeit zur Selbstkorrektur aktivieren, die häufig durch Formen sozialen Lernens ergänzt wird.
Auch Morkötter betont in diesem Zusammenhang, dass Normabweichungen dahingehend gedeutet werden können, dass sie Ausdruck eines kreativen Umganges mit Sprache sind und sich somit auch positiv auf die emotionale Ebene auswirken können. Hier spielt die emotionale Ebene eine relevante Rolle, die allgemein bislang wenig Beachtung gefunden hat (Morkötter 2004: 37). Diese fehlende Aufmerksamkeit für die emotionale Kompetenz betrifft nahezu alle Bereiche des Sprachenlernens, obwohl sie von grundlegender Wichtigkeit für den Spracherwerbsprozess ist. Daher wird sie in die hier anvisierte Modellierung der MKK als Kompetenzbereich aufgenommen, denn ihr kommt vor allem im mehrsprachigen Lernen die Aufgabe zu, den Lernenden ihren unterschiedlichen emotionalen Zugang zu den einzelnen Sprachen und das daraus resultierende Sprachverhalten bzw. die unterschiedlichen emotionalen Sprachrollen bewusst zu machen.
Bär (2009) betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit des Prinzips der Bewusstmachung für die Förderung der Sprachlernkompetenz. Diese erfolgt durch den andauernden Vergleich aller den Lernenden verfügbaren Sprachen und die daraus resultierende Nutzung aller Vorwissensbestände (Bär 2009: 505) – ein Prozess, der nur durch ständiges Monitoring und Reflexion des eigenen Lernprozesses ermöglicht wird. Meißner verwendet in diesem Zusammenhang erstmals den Begriff Metakognitive Kompetenz (Meißner & Morkötter 2009: 68). Einer der Vorteile, die sich aus dieser Methode für den Fremdsprachenunterricht ergeben, ist laut Meißner, dass die Nutzung der Wechselbeziehungen zwischen Sprachen den Anforderungen einer Lernökonomie entgegenkommt (Meißner 2010: 382), ein Aspekt, der in der heutigen Interkomprehensionsdidaktik von zentraler Bedeutung ist. Es werden in diesem Verfahren sehr schnell die nötigen rezeptiven Fähigkeiten entwickelt, indem die Sprachverarbeitungs- und Sprachhandlungsprozesse miteinander verknüpft werden. Durch diesen Zusammenschluss entsteht eine Interimsprache, die Interlanguage, die das Potenzial zur Mehrsprachigkeit des mentalen Lexikons ankurbelt (vgl. Cenoz et al. 2003).
Die Entwicklung dieser metakognitiven Kompetenz und die Nutzung der Vorwissenbestände resultieren, wie auch aus der Datenauswertung hervorgeht, in einer gesteigerten Sprach(en)bewusstheit, wodurch die Lernenden ihre Sprachkenntnisse in den einzelnen Sprachen besser einschätzen und für den Sprachlernprozess nutzbar machen. Ebenso hat sich gezeigt, dass der Sprachenvergleich auf den verschiedensten Ebenen wirkt und zu Aktivierung und Erweiterung des mehrsprachigen Repertoires führt. Es entwickeln sich also nicht nur die rezeptiven Fähigkeiten, wie vom Meißner postuliert, sondern, wie aufgezeigt werden wird, auch die produktiven. Es kommt also auch zu einer Steigerung der aktiven Sprachkompetenzen.
Projekte auf EU-Ebene wie GALATEA, EuroComGerm und EuroComRom, EuroComSlav haben didaktische Instrumente entwickelt wie z.B. die sieben Siebe, die schnell zu einer rezeptiven individuellen Mehrsprachigkeit führen. Zu erwähnen sind auch die Arbeiten von Bär, Morkötter und Schöpp zur Umsetzung und Implementierung interkomprehensionsdidaktischer Einheiten (vgl. Schöpp 2008; Morkötter 2014; Bär 2009, 2014;). Laut Bär fußt die Interkomprehensionsdidaktik zwar auf kulturellem, enzyklopädischem, pragmatischem und strategischem Wissen, ein Transfer wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht erwähnt (Bär 2008: 27). Das rührt wahrscheinlich daher, dass dieses Wissen laut Bär dazu benutzt wird, um Hypothesen über die unbekannte Zielsprache aufzustellen.
3.3 Das Tertiärsprachenlernen oder TLA (Third Language Acquisition)
Eng mit der Interkomprehension verbunden ist das Tertiärsprachenlernen. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, der sich insbesondere damit beschäftigt, wie die Sprachabfolge der erworbenen oder gelernten Sprachen sich auf das Sprachenlernen auswirkt. Es werden Transfermöglichkeiten innerhalb spezifischer Sprachenkonstellationen festgehalten und für die Spracherwerbslehre und Didaktik nutzbar gemacht (Hufeisen & Lindemann 1998, Gibson & Hufeisen 2003; Hufeisen 2003a; 2004b; 2010b; Hufeisen & Neuner 2000, 2004a; Hufeisen & Jessner 2009; Kemp СКАЧАТЬ