Kompetenzentwicklung und Mehrsprachigkeit. Gisela Mayr
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СКАЧАТЬ Es steht im Zentrum des Modells und wird von den anderen Savoirs umgeben. Es ist daher nur schwer verständlich, weshalb dieses Savoir vom FREPA und folglich auch vom MSCS ausgeklammert bleibt:

      Abb. 2.2.

      Dieses Savoir integriert die politische Erziehung in den Unterricht, weil jeglicher Erziehung eine politische Dimension innewohnt. Kulturkritische Bewusstheit wird deklariertes Bildungsziel des Fremdsprachenunterrichts. Byram selbst bezeichnet diese Fähigkeit als “an ability to evaluate critically on the basis of explicit criteria perspectives, practices and products in one’s own and other cultures and countries“ (Byram 1997: 53) und unterscheidet drei Teilbereiche:

      1 Die Fähigkeit, implizite und explizite Wertehaltungen der eigenen und fremder Kulturen in Texten und Aussagen zu identifizieren.

      2 Die Fähigkeit, eine evaluative Analyse von Dokumenten und Gegebenheiten aufgrund präziser Perspektiven und Kriterien vorzunehmen.

      3 Die Fähigkeit der Interaktion und Mediation im interkulturellen Austausch anhand spezifischer Kriterien sowie die Befähigung zur Aushandlung und Akzeptanz aufgrund des erworbenen Wissens, Fähigkeiten und Haltungen. (ibid. 53)

      Da im Alltag das Savoir s’engager die Umsetzung aller anderen Savoirs impliziert und somit auch den Weg vom schulischen Handeln in das lebensweltliche Handeln bahnt, soll es nicht vom schulischen Alltag ausgeklammert bleiben. Das Savoir s’engager kann als Kernkompetenzbereich nicht einfach aufgebrochen und, in einige wenige Teilbereiche beschränkt, auf die anderen Savoirs, insbesondere das Savoir être, eingegliedert werden, wie dies im FREPA vielfach geschieht. Es muss in seiner Wichtigkeit anerkannt werden und ebenso wie das Savoir apprendre als eine transversale Valenz angesehen werden. Es ist, wie aus der obenstehenden Graphik hervorgeht, propädeutisch für alle Formen des mehrsprachigen und transkulturellen Lernens, denn erst durch das Savoir s’engager wird das Desiderat eingelöst, dass schulische Bildung dem Anspruch gerecht werden muss, den Heranwachsenden zur Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Diskurs zu befähigen, sie also zu demokratiefähigen und selbstbestimmten BürgerInnen zu erziehen (vgl. Hallet: 2016: 19), also „in der Teilhabe an Politik, Gesellschaft und Kultur und in der Gestaltung der eigenen Lebenswelt diesem Anspruch gemäß zu leben und als mündige BürgerInnen selbstbestimmend zu handeln“ (Klieme et. al.: 2003: 63).

      2.4 Mehrsprachigkeit als Priorität schulischen Handelns

      Im schulischen Alltag ist Mehrsprachigkeit zum Regelfall geworden. Es gibt kaum noch Lernende, die in einem rein einsprachigen Umfeld aufgewachsen sind. Dies ist auf die zunehmende Migration und Transmigration zurückzuführen, aber auch darauf, dass sich verschiedenste Formen der Mehrsprachigkeit im Alltag allein durch die Nutzung der neuen Medien ergeben. Die Schülerpopulation ist mehr denn je heterogen, multikulturell und daher auch mehrsprachig. Es lassen sich zwei Ebenen der Mehrsprachigkeit herauskristallisieren: Eine durch die Globalisierung und Migration bedingte Mehrsprachigkeit der gesamten Gesellschaft. Hier kann Schule sich den veränderten Umständen anpassen, indem streng einsprachige Gewohnheiten aufgegeben werden. Die gesamte Schulgemeinschaft kann mehrsprachig gestaltet werden, indem alle vorhandenen Sprachen als Bereicherung in den Schulalltag eingebracht werden. Wichtige Anregungen, wie die Schule als Haus des mehrsprachigen Lernens umgestaltet werden kann, geben Schader und Baur/Hufeisen (Schader 2000; Baur & Hufeisen 2011).

      Von der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit zu unterscheiden ist die individuelle Mehrsprachigkeit. Redevielfalt oder Heteroglossie sind Begrifflichkeiten, die seit Bachtin (Bachtin 1997; Busch 2013, 2011; vgl. hierzu auch Wandruszka 1979) kennzeichnend geworden sind. Die Prinzipien der Multidiskursivität, die unterschiedliche soziokulturelle Welten in den Diskurs einbringt, der Vielstimmigkeit des sprachlichen Ausdrucks, die eine Perspektivenvielfalt ermöglicht und schließlich der Sprachenvielfalt, im Sinne einer soziokulturellen Differenzierung, zählen zu den entscheidenden Faktoren sprachlichen Handelns (vgl. Busch 2013: 10). Dadurch entstehen vielfältige Möglichkeiten der sprachlichen Gestaltung und der Wahrnehmung der mehrsprachigen Lebenswelt (Bachtin, 1986: 163).

      Für die Schule bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass von der Problematisierung der Mehrsprachigkeit übergegangen werden muss zu einem Denken, das die gesellschaftliche und individuelle Sprachenvielfalt als Potential und Bereicherung anerkennt. Lernende, die armuts- oder kriegsbedingt aus ihren Herkunftsländern geflüchtet sind, beherrschen neben der Schulsprache Deutsch und L2 Englisch bzw. Italienisch weitere Sprachen zumindest funktionell, da sie zuhause gesprochen werden. Diese Sprachen finden an den Schulen aufgrund ihres geringen sozialen Prestiges kaum Anerkennung und drängen ihre Sprecher an den Rand. Die unterschwellige Anerkennung der prestigereichsten Sprachvarietät als einzige legitime Sprache, so Bourdieu, führt zum Identifikationsdrang mit der kulturell und wirtschaftlich führenden Schicht (Bourdieu 1991: 40 und 50). Randgruppen verstummen dabei, finden weder Ausdruck noch Wertschätzung für ihre Sprache und Kultur und verlieren dadurch auch ihren Anspruch auf Bildungsgerechtigkeit. Ein mehrsprachiger Unterricht hat die Aufgabe, hier entgegenzuwirken und durch die Anerkennung und Wertschätzung von Diversität neue Voraussetzungen für das schulische Handeln und Lernen zu schaffen.

      Wenn von mehrsprachigkeitsdidaktischen Ansätzen die Rede ist, wird nicht zuletzt wegen der brennenden bildungspolitischen Aktualität meistens auf durch Migration bedingte Mehrsprachigkeit im Klassenzimmer und den damit einhergehenden Problematiken des DaF- und DaZ-Unterrichts sowie des sprachsensiblen Fachunterrichtes Bezug genommen (vgl. Busch 2011; Bausch et al. 2005; Vetter 2015; López-Gopar et al. 2013; Krifka et al. 2014; Krumm 2004; Schader 2000; Shohamy 2006). Der Versuch, Integration über einen potenzierten DaF/DaZ-Unterricht zu bewerkstelligen, berücksichtigt einen sicherlich sehr wichtigen soziokulturellen Aspekt, indem die Voraussetzung für Integration über die Vermittlung sprachlicher Fertigkeiten ermöglicht wird. Es werden aber viele andere Aspekte transkultureller Vermittlung und transkulturellen Verständnisses nötig sein, um Mehrsprachigkeit und Transkulturalität in einer Schule der Inklusion zu verwirklichen.

      Shohamy (2006) stellt sich in diesem Sinne eine Schule vor, in der Lernende ihre mehrsprachigen Kompetenzen konstruktiv in den Schulalltag einbringen können und auch das Recht haben, diese weiter zu entwickeln, um ein höheres Kompetenzniveau zu erreichen. Andererseits muss den Ansprüchen einsprachig aufgewachsener Lernenden Rechnung getragen werden, nicht nur mehrere Sprachen, sondern auch mehrsprachige Kompetenzen im Schulalltag erwerben zu können. Denn werden diese mehrsprachigen Kompetenzen nicht nachdrücklich gefördert, gehen sie da, wo bereits vorhanden, durch Sprachreibung verloren oder werden einfach verdrängt und unterdrückt. (Shohamy 2006: 174). Dies führt, wie bereits erwähnt, zu einem Gefühl der Marginalisierung bei mehrsprachig aufgewachsenen Schülerinnen, wie auch aus den Untersuchungen der vorliegenden Studie hervorgeht, wo sich Schülerinnen aus ladinischen Gebieten mit ihrer Herkunftskultur und Sprache nicht in den Unterricht und den schulischen Alltag einbringen können und folglich in Teilen ihrer Persönlichkeit starke Einschränkungen und ein Gefühl des Nicht-Wahrgenommen-Werdens erfahren.

      Daher ist es eines der übergeordneten Ziele des mehrsprachigen Unterrichts, die klare Grenzziehung zwischen den Sprachen, so wie sie für den traditionellen Fremdsprachenunterricht eine Selbstverständlichkeit ist, aufzuheben. Das Konstrukt des Native Speaker als im Fremdsprachenunterricht anzustrebendes und doch nie zu erreichendes Ideal wird dadurch hinfällig und es öffnen sich neue Räume, in denen Sprachen(n) in Kontakt zueinander treten können und dürfen. In diesen Räumen ist auch Platz für Verschmelzungen und hybride Formen, für Sprachvermischung und all jene Formen des mehrsprachigen Diskurses, die sich je nach Kommunikationszweck und -situation strategisch einsetzen lassen bzw. unbewusst das Gespräch steuern und die eine Bereicherung der Kommunikation darstellen. Dies bringt einen realistischeren Umgang mit Sprache mit sich, der die alten Ideale der Sprachreinheit und Sprachkorrektheit hinter sich lässt und auf den Alltagsgebrauch schaut, СКАЧАТЬ