Название: Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner
Автор: Морис Леблан
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783751800426
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So schien der Tag ohne Ende zu sein. Man lebte in der ängstlichen Erwartung eines Unglücks. Dieses Mal würde es kein Diebstahl, kein einfacher Angriff mehr sein, es würde ein Verbrechen, ein Mord geschehen. Man glaubte nicht, dass sich Arsène Lupin mit den beiden unbedeutenden Diebstählen begnügen würde. Während die Behörden zur Untätigkeit verdammt waren, brauchte er als absoluter Herr des Schiffes nur zu wollen; alles war ihm möglich: Er konnte über die Habe und das Leben verfügen.
Für mich, ich gebe es zu, waren es zauberhafte Stunden, denn ich gewann das Vertrauen von Miss Nelly. Sie, die durch so viele Ereignisse beeindruckt und von Natur aus schon nervös war, suchte freiwillig an meiner Seite Schutz und Sicherheit. Ich war glücklich, für sie da sein zu können.
Innerlich pries ich Arsène Lupin. War er es nicht, der uns einander näherbrachte? Verdankte ich es nicht ihm, dass ich das Recht hatte, mich den schönsten Träumen hinzugeben? Träumen der Liebe, warum soll ich es nicht zugeben? Die Andrézys sind von gutem Geschlecht aus Poitiers, aber ihr Wappen hat ein wenig an Vergoldung verloren, und es scheint mir eines Kavaliers nicht unwürdig, daran zu denken, seinem Namen den verlorenen Glanz wiederzugeben.
Und diese Träume, das fühlte ich, missfielen Miss Nelly nicht. Ihre lächelnden Augen erlaubten mir, sie zu träumen. Ihre sanfte Stimme gab mir das Recht, zu hoffen.
Bis zum letzten Augenblick blieben wir, auf die Reling gestützt, beisammen, während die Linie der amerikanischen Küste vor uns auftauchte.
Man hatte die Nachforschungen unterbrochen. Man wartete. Von der ersten Klasse bis zum Zwischendeck, auf dem die Auswanderer herumwimmelten, wartete man auf die erhebende Minute, da sich endlich das unlösbare Rätsel klären würde. Wer war Arsène Lupin? Hinter welchem Namen, hinter welcher Maske versteckte sich der berühmte Arsène Lupin?
Und die überwältigende Minute kam. Wenn ich hundert Jahre leben sollte, so werde ich keine Einzelheit vergessen.
»Wie bleich Sie sind, Miss Nelly«, sagte ich zu meiner Gefährtin, die sich halb ohnmächtig auf meinen Arm stützte.
»Und Sie!« antwortete sie mir. »Oh! Sie sind so verändert!«
»Bedenken Sie doch! Diese Minute ist so ergreifend, und ich bin glücklich, sie an Ihrer Seite zu erleben, Miss Nelly. Ich glaube, dass Ihre Erinnerung manchmal bei diesem Augenblick …«
Sie, aufgeregt und fiebrig nervös, wie sie war, hörte nicht zu. Die Gangway wurde heruntergelassen. Bevor wir die Erlaubnis bekamen, sie zu überschreiten, stiegen Leute an Bord, Zollbeamte, Männer in Uniform, Briefträger.
Miss Nelly stammelte:
»Wenn man feststellt, dass Arsène Lupin während der Überfahrt geflohen ist, wäre ich nicht erstaunt.«
»Vielleicht hat er den Tod der Schmach vorgezogen und sich lieber in den Atlantik gestürzt, als verhaftet zu werden.«
»Spotten Sie nicht«, sagte sie ärgerlich.
Plötzlich fuhr ich zusammen; auf ihre Frage antwortete ich: »Sehen Sie dort den kleinen alten Mann am Ende der Gangway stehen?«
»Mit einem Regenschirm und einem olivgrünen Gehrock?«
»Das ist Ganimard.«
»Ganimard?«
»Ja, der berühmte Kriminalbeamte, der geschworen hat, dass Arsène Lupin durch ihn verhaftet wird. Oh, jetzt verstehe ich, warum man von dieser Seite des Ozeans keine Auskünfte bekommen hat. Ganimard war dort. Er mag es nicht, wenn sich jemand um seine Angelegenheiten kümmert.«
»Also ist es sicher, dass Arsène Lupin gefasst wird?«
»Wer weiß? Es scheint, dass Ganimard ihn niemals anders als verstellt und verkleidet gesehen hat. Falls er nicht seinen Pseudonamen kennt …«
»Oh«, sagte sie mit jener ein wenig grausamen Neugier der Frau, »wenn ich doch bei der Verhaftung dabei sein könnte.«
»Fassen wir uns in Geduld. Sicher hat Arsène Lupin die Anwesenheit seines Feindes schon bemerkt. Er wird es wohl vorziehen, unter den Letzten an Land zu gehen, wenn die Augen des Alten müde sind.«
Die Passagiere begannen, das Schiff zu verlassen. Auf seinen Regenschirm gestützt, mit gleichgültigem Gesicht, schien Ganimard nicht auf die Menge zu achten, die sich zwischen den beiden Geländern drängte. Ich bemerkte, dass ihm ein Offizier des Schiffes, der hinter ihm stand, von Zeit zu Zeit Auskünfte gab.
Der Marquis de Raverdan, der Major Rawson, der Italiener Rivolto zogen vorbei und andere, viele andere … Und ich bemerkte Rozaine, der sich näherte.
Armer Rozaine! Er schien sich von seinen Missgeschicken noch nicht erholt zu haben!
»Er ist es vielleicht trotzdem«, sagte Miss Nelly zu mir. »Was glauben Sie?«
»Ich finde, dass es sehr interessant wäre, Ganimard und Rozaine auf derselben Fotografie zu haben. Nehmen Sie doch meinen Apparat, ich bin so bepackt.«
Ich gab ihr die Kodak, aber es war schon zu spät. Rozaine kam näher. Der Offizier beugte sich zu Ganimards Ohr, dieser zuckte leicht mit den Schultern, und Rozaine ging vorbei.
Aber mein Gott, wer war jetzt Arsène Lupin?
»Ja«, sagte sie laut, »wer ist es?«
Nur etwa zwanzig Personen waren noch an Deck. Sie starrte der Reihe nach auf sie mit der irren Angst, dass nicht ausgerechnet er, der Gesuchte, unter diesen letzten zwanzig Personen wäre. Ich sagte zu ihr:
»Wir können nicht länger warten.«
Sie schritt voran. Ich folgte ihr. Aber wir hatten noch keine zehn Schritte getan, als Ganimard uns den Weg versperrte.
»Was ist los?« rief ich.
»Einen Augenblick, mein Herr, wer drängt Sie zur Eile?«
»Ich begleite Mademoiselle.«
»Einen Augenblick!« wiederholte er energisch.
Er sah mich scharf an und sagte, den Blick auf mein Gesicht geheftet:
»Arsène Lupin, nicht wahr?«
Ich begann zu lachen.
»Nein, ganz einfach Bernard d’Andrézy.«
»Bernard d’Andrézy ist vor drei Jahren in Mazedonien gestorben.«
»Wenn Bernard d’Andrézy tot wäre, wäre ich nicht mehr auf dieser Welt. Und das ist nicht der Fall. Hier sind meine Papiere.«
»Sie gehörten ihm. Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen zu erklären, woher Sie sie haben.«
»Sie sind ja verrückt. Arsène Lupin hat sich unter dem Namen R eingeschifft.«
»Ja, auch so eine List von Ihnen, eine falsche Fährte, auf die Sie die drüben geführt СКАЧАТЬ