Название: Arsène Lupin, der Gentleman-Gauner
Автор: Морис Леблан
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783751800426
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Seine Verhaftung, an der niemand zweifelte, ließ uns alle erleichtert aufatmen. An diesem Abend spielten wir kleine Spiele. Wir tanzten. Überhaupt, Miss Nelly zeigte eine betäubende Fröhlichkeit, die mir bewies, dass, wenn ihr die Huldigungen von Rozaine am Anfang gefallen haben mochten, sie sich jetzt kaum mehr an sie erinnerte.
Ihr Charme eroberte mich. Gegen Mitternacht gestand ich ihr im hellen Mondschein meine Ergebenheit mit einer inneren Bewegung, die ihr nicht zu missfallen schien.
Aber am nächsten Tag erfuhren wir zur allgemeinen Verblüffung, dass Rozaine frei war, da die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen nicht ausreichten.
Als Sohn eines angesehenen Geschäftsmannes in Bordeaux hatte er vollkommen ordnungsgemäße Papiere vorgewiesen. Außerdem zeigte sich auf seinen Armen nicht die geringste Spur einer Verletzung.
»Papiere! Geburtsurkunden!« riefen Rozaines Feinde. »Arsène Lupin liefert Ihnen, so viel Sie wollen! Was die Verletzung anbetrifft, so hat er keine erhalten … oder ihre Spuren beseitigt!« Man warf ihnen vor, dass Rozaine zu der Stunde des Diebstahls – das war bewiesen – an Deck spazieren gegangen war. Worauf sie erwiderten:
»Hat ein Mann vom Schlage Arsène Lupins es nötig, beim Diebstahl, den er begeht, dabei zu sein?«
Außer dieser absurden Überlegung gab es noch einen Punkt, den auch die Skeptischen nicht in den Wind schlagen konnten. Wer außer Rozaine reiste allein, war blond und hatte einen Namen, der mit R begann? Wen sollte das Telegramm sonst meinen, wenn nicht Rozaine?
Und als Rozaine einige Minuten vor dem Mittagessen mutig auf unsere Gruppe zukam, standen Miss Nelly und Lady Jerland auf und entfernten sich.
Das war gut und gerne Furcht.
Eine Stunde später ging ein handgeschriebener Umlauf unter den Angestellten an Bord, den Matrosen und den Reisenden aller Klassen von Hand zu Hand: Herr Louis Rozaine versprach demjenigen zehntausend Francs, der Arsène Lupin entlarvte oder den Besitzer der gestohlenen Steine fände.
»Und wenn mir niemand gegen diesen Banditen zur Hilfe kommt«, erklärte er dem Kommandanten, »dann rechne ich allein mit ihm ab.«
Rozaine gegen Arsène Lupin oder nach dem Gerücht, das umlief, eher Arsène Lupin selbst gegen Arsène Lupin; der Kampf wurde interessant!
Er zog sich zwei Tage hin.
Wir sahen Rozaine überall herumsuchen, sahen, wie er sich unter das Personal mischte, fragte und schnüffelte. Wir sahen seinen Schatten in der Nacht herumirren.
Der Kommandant entwickelte seinerseits eine energische Tätigkeit. Die »Provence« wurde von oben nach unten gekehrt, in allen Winkeln durchforscht. Man durchsuchte ausnahmsweise die Kabinen mit dem begründeten Vorwand, dass die Schmuckstücke an irgendeinem Ort versteckt sein müssten, nur eben nicht in der Kabine des Schuldigen.
»Man wird doch etwas finden?« fragte mich Miss Nelly. »Mag er auch ein noch so großer Hexenmeister sein, so gelingt es ihm doch nicht, Diamanten und Perlen unsichtbar zu machen.«
»Sicher«, antwortete ich, »aber man müsste unser Hutfutter, das Futter unserer Jacken und alles, was wir mit uns herumtragen, untersuchen.«
Ich zeigte ihr meine Kodak, einen 9×12-Apparat, mit dem ich sie, so oft es ging, in den verschiedensten Posen fotografierte.
»Nehmen Sie einen nicht größeren Apparat als diesen, glauben Sie nicht, dass darin Platz für alle kostbaren Steine der Lady Jerland wäre? Man tut so, als ob man Aufnahmen macht, und das Spiel ist gewonnen.«
»Ich habe aber gehört, dass es keinen Dieb gibt, der nicht irgendeine Spur hinterlässt.«
»Es gibt einen: Arsène Lupin.«
»Warum?«
»Warum? Weil er nicht nur an den Diebstahl denkt, den er begeht, sondern an alle Umstände, die ihn verraten könnten.«
»Zu Anfang waren Sie zuversichtlicher. «
»Aber seitdem habe ich ihn am Werk gesehen.«
»Was sollte man nach Ihrer Ansicht tun?«
»Meiner Ansicht nach ist alles Tun Zeitverschwendung.«
Und tatsächlich verlief die Suche ergebnislos oder wenigstens entsprach das Ergebnis nicht der allgemeinen Anstrengung: Dem Kommandanten wurde die Uhr gestohlen.
Wütend verdoppelte er seinen Eifer und überwachte Rozaine, mit dem er mehrere Unterredungen hatte, noch intensiver. Am folgenden Tag – was für eine umwerfende Ironie – fand man die Uhr zwischen den falschen Kragen des zweiten Kommandanten.
Alles das grenzte an ein Wunder und zeigte die humoristische Art Arsène Lupins, sein berufliches Können als Einbrecher, aber auch den Dilettanten. Er arbeitete nach Geschmack und Berufung, sicher, aber auch aus Vergnügen. Er machte den Eindruck eines Herrn, der sich über das Stück amüsiert, das er spielen lässt, und der hinter den Kulissen herzhaft über die Geistesblitze und Situationen lacht, die er erfand.
Er war entschieden ein Künstler in seinem Fach, und als ich den finsteren und hartnäckigen Rozaine beobachtete und an die doppelte Rolle dachte, die dieser eigenartige Mensch spielte, konnte ich nicht mehr ohne eine gewisse Bewunderung von ihm sprechen.
In der vorletzten Nacht hörte der vierte Offizier an der dunkelsten Stelle der Brücke einen Menschen stöhnen. Er trat näher. Ein Mann lag lang hingestreckt, sein Kopf war in eine graue feste Schärpe gehüllt, die Handgelenke mit Hilfe einer feinen Schnur gefesselt.
Man befreite ihn von den Fesseln, hob ihn auf und leistete Erste Hilfe.
Der Mann war Rozaine.
Es war Rozaine, der im Laufe einer seiner Expeditionen überfallen, niedergeschlagen und ausgeplündert worden war. Eine mit einer Nadel an seinem Jackett befestigte Visitenkarte enthielt folgende Worte:
»Arsène Lupin nimmt von Herrn Rozaine dankbar die zehntausend Francs an.«
In Wirklichkeit enthielt das gestohlene Portefeuille zwanzig Tausendfrancscheine.
Natürlich beschuldigte man den Unglücklichen, diesen Angriff gegen sich selbst vorgetäuscht zu haben. Aber außer der Tatsache, dass es ihm unmöglich gewesen wäre, sich so zu fesseln, wurde festgestellt, dass die Schrift auf der Karte entschieden von der Handschrift Rozaines abwich und der Arsène Lupins, die man in einer alten Zeitung fand, zum Verwechseln ähnelte.
So war also Rozaine nicht mehr Arsène Lupin. Rozaine war Rozaine, der Sohn eines Kaufmanns aus Bordeaux! Und die Gegenwart Arsène Lupins wurde von Neuem, und durch was für eine fürchterliche Tat, bestätigt.
Schrecken brach aus. Man wagte nicht mehr, allein in seiner Kabine zu bleiben, noch weniger sich an zu abseits gelegenen Stellen der Gefahr auszusetzen. Vorsorglich gesellte man sich zu Menschen, die sich voreinander sicher glaubten. Und trotzdem trennte ein instinktiver Argwohn auch die enger befreundeten. Das rührte daher, dass die Bedrohung jetzt nicht mehr von einem einzigen Individuum ausging und dadurch weniger gefährlich war. Arsène Lupin war jetzt … waren jetzt alle. Unsere überspitzte Fantasie gab ihm eine unbegrenzte, wunderbare Macht. Man hielt ihn für fähig, die überraschendsten Verkleidungen vorzunehmen, СКАЧАТЬ