Zwinglis gefährdetes Erbe. Hans Peter Treichler
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Название: Zwinglis gefährdetes Erbe

Автор: Hans Peter Treichler

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783037600481

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СКАЧАТЬ Auch der Rat als weltliche Obrigkeit verurteilte den Fastenbruch und versprach, den Schuldigen zu massregeln. Dies allerdings mit einem Vorbehalt: Die bischöfliche Vertretung möge bitte nachweisen, wo genau in der Heiligen Schrift ein entsprechendes Fastengebot zu finden sei (siehe «Fastengebot). Zwingli seinerseits untermauerte seine Haltung mit einer bei Froschauer gedruckten Broschüre unter dem Titel Von Erkiesen und Freiheit der Speisen.

      Die vermeintliche Niederlage stellte in Wirklichkeit in zweifacher Hinsicht einen Sieg dar. Nicht nur, dass die weltliche Behörde in einem quasi offiziellen Akt in einer innerkirchlichen Angelegenheit mitentschied. Das Urteil sollte zudem auf der Basis des Schriftprinzips erfolgen: Was zählte, war allein das biblische Wort, nicht aber die unzähligen Schriften der Kirchenväter, die seit der Ära des frühen Christentums das göttliche Wort mit Tausenden von Kommentaren verwässert hatten. Indem sie sich auf das Schriftprinzip einliess, hatte die Konstanzer Abordnung ihre Deutungshoheit bereits eingebüsst. In den nun folgenden vom Rat einberufenen Disputationen (siehe i Hearings zu Glaubensfragen) nahm «Konstanz» nur noch die Rolle des protestierenden Beobachters ein.

      « Fastengebot – Auszug aus Mandat vom 9. April 1522: Als dann anfangs diser fasten etlich personen on not fleisch gessen habendt, darus dann vil zanks, unruow und widerwärtigkeit ist entsprungen, uf das verkündent und ermanent unser Herrn BM, Rät und der gross Rat der stadt Zürich menklichen in der Stadt und uff dem land, dass hinfür in der fasten on merklich ursachen und erloubtnuss gar niemas me fleisch essen sölle bis uf witeren bescheid, inhalt einer abredung mit unsres Gnädigen Herren von Costentz botschaft beschechen. Darbi ist ouch unserer Herren will und meinung, dass sich niemas einich zanks und haders oder widerwärtiger, ungeschickter worten gegen einander nit anneme, belade noch gebruche, es syg des fleischessens, des predigens, oder derglich sachen und händlen halb, sonders mänklich fridlich und rüewig sye; dann es möchte einer so grob unvernünftig reden bruchen, man wurd in darumb hertiglich büessen. (Egli 237, S. 77)»

      Nachdem zu Beginn der diesjährigen Fastenzeit mehrere Personen ohne besonderen Anlass Fleisch assen, woraus sich viel Zank, Unruhe und Streit ergab, verkünden und mahnen der Bürgermeister, der Kleine und der Grosse Rat der Stadt Zürich jedermann, ob in der Stadt oder auf dem Land wohnhaft, dass ab sofort in der Fastenzeit niemand ohne besonderen Grund Fleisch essen solle. Dies gilt bis auf weitere Beschlüsse in dieser Sache, wie wir mit einer Delegation unseres Gnädigen Herrn in Konstanz verabredet haben. Unsere Herren wollen, dass niemand in dieser Sache mit Zank und Klagen aufwarte oder mit feindseligen und unpassenden Worten einen Streit verursache, ob es nun um das Fleischessen oder die Predigten gehe oder um ähnliche Dinge und Streitpunkte, sondern sich vielmehr ruhig und friedfertig verhalte. Sollte jemand grobe und unvernünftige Worte äussern, so wird man ihm deswegen eine harte Busse auferlegen.

       Kritisches Porträt

      In der Bevölkerung fand das Wurstessen sowohl Zustimmung wie harsche Kritik; manche feindlich gesinnte Zeitgenossen nahmen es zum Anlass für eine Generalabrechnung. Seit Zwingli hier predige, zürnte ein erboster Magister, sei die Stadt vom Glück verlassen; zuodem wäre alles erlogen, was er geseit; dann er all sin predigen us nid und hass getan hette.

      Dezenter als solche Schmähungen klingt ein kritisches Porträt aus demselben Jahr, das in seiner aufrichtig besorgten Tonlage durchaus glaubwürdig wirkt. Verfasst hat es Konrad Hofmann, einer der ältesten Chorherren am Grossmünster. Der 67-Jährige ist ein Befürworter der ersten Stunde und hat sich seinerzeit für die Berufung des Einsiedler Leutpriesters eingesetzt. Schon vorher hatte er sich mit bissigen Predigten gegen das Reislaufen und das Pensionenwesen exponiert und eine scharfe Attacke gegen den Zwang zum Zölibat geritten. Eigentlich der geborene Mitstreiter für den neuen Glauben – nur dass Zwingli in den Augen des älteren Kollegen eine viel zu forsche Gangart anschlägt. Schuld daran sind sein angeblicher Geltungsdrang und eine gewisse Überheblichkeit, mit der er sich über Andersdenkende lustig mache. Allzu oft vermittle Zwingli den Eindruck, er sei weiser und gelehrter als andere Geistliche und schöpfe als Einziger uss dem ursprünglichen brunnen, und die anderen uss den rinslinen und pfützinen.

      So jedenfalls der altgediente Chorherr in einer sogenannten Klagschrift, die er an Propst und Kapitel des Grossmünsters richtet. Sein Ziel: Die oberste geistliche Behörde soll dem unbotmässigen Pfarrherrn die Zügel straffziehen und seinen Tatendrang bremsen. Die Flausen und Unarten, die sie Zwingli womöglich austreiben soll, füllen einen grossen Teil von Hofmanns 26-seitigem Memorandum. Es beginnt mit Zwinglis angeblichem Missbrauch seines Platzes auf der Kanzel: Da würden in der Predigt namentlich genannte Personen geschänzelet, geschmächt, verlümdet und gelaidet und persönliche Fehden in aller Öffentlichkeit ausgetragen – zum Gaudi der Gemeinde, die derbe Sprüche natürlich über alles liebe. Diese Vorliebe nütze Meister Ulrich nur allzu gerne aus mit drastischen Schilderungen von sünd, laster und unfuog in gassen, trinkstuben, wirtshus, kloster oder geistlichen stätten und deroglichen. Kurz, unter dem Vorwand, das Laster zu bekämpfen, halte er das Publikum mit der Schilderung ebendieser Laster bei der Stange, vermische überhaupt ernste Anliegen immer wieder mit groben Spässen. Wer aber«wie Kunz hinter dem Ofen» so volkstümlich argumentiere, lasse keinen Platz für Besinnlichkeit und innere Einkehr. Überhaupt spreche Zwingli vor der Gemeinde viel zu schnell, wolle durch schnelligkeit des redens bi ungelertem volk sich wunderbar machen.

      Diese Effekthascherei mache auch nicht halt vor den ehrwürdigen Kirchenvätern. Manche nenne Zwingli ungeniert tolle fantasten, die ihre Lehren aus wüest pfützen oder mistlachen schöpften und einfach kurz niedergeschrieben hätten, was ihnen gerade in die grind sye kommen. Damit aber untergrabe er die Autorität der Kirche als Ganzes, stifte Unheil für die Propstei und die gesamte Glaubensgemeinschaft. Höchste Zeit, dass Propst und Kapitel diesem Treiben den Riegel schöben!

       Wie klingt Zürich?

      Über das vorreformatorische Zürich gibt es zahlreiche ausführliche Abhandlungen; vielfach beschrieben wird die einzigartige Regierungsform mit ihrer anderswo unbekannten Machtstellung der Handwerkerzünfte. Rege diskutiert wird auch die Sachlage der politischen Vorrangstellung der Stadt als «Vorort» der Eidgenossenschaft, die in wirtschaftlicher Hinsicht aber keine Entsprechung findet: Ökonomisch gesehen fehlt es der Limmatstadt an Ausstrahlungskraft. Was den städtischen Alltag um 1500 betrifft, so liegen kaum zusammenhängende Untersuchungen vor. Rund um Zwinglis erste Amtsjahre interessieren hier aber auch Themen jenseits der theologischen oder politischen Fragestellung. Was fällt einem Neuankömmling wie Zwingli auf, was befremdet, was fasziniert ihn an dieser Stadt?

      Zwingli hat in Wien studiert, in Basel seinen Magister gemacht und an der Universität gelehrt. Im städtischen Umfeld, mit städtischen Umgangsformen und Hierarchien kennt er sich aus, ja er bringt eine gewisse Weltläufigkeit mit, die СКАЧАТЬ