Название: Zwinglis gefährdetes Erbe
Автор: Hans Peter Treichler
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783037600481
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Zwilch und Samt
Wie kommen die Fremden Dienste im Urteil der heutigen Geschichtsschreibung weg? Hier fällt häufig der Ausdruck «temporäre Emigration», Auswanderung auf Zeit. Sie diente als eine Art Hochdruckventil vor allem für die Bergkantone, in denen die einheimische Produktion mit den wachsenden Bevölkerungszahlen nicht Schritt zu halten vermochte. Die Lösung, die Zürich vorlebte – Verzicht auf Solddienst, Einführung neuer Produktionszweige und -methoden, Einstieg in den europaweiten Handel –, kam hier nicht in Frage; dafür fehlten das Know-how von Fachleuten und der Unternehmergeist einzelner Pioniere. Für junge Männer sowohl des Mittellands wie der Berggebiete spielten Abenteuerlust und Erlebnishunger eine zentrale Rolle; hier weisen Mentalitätshistoriker darauf hin, dass ein natürliches Ventil für solche Bedürfnisse im Binnenland Schweiz fehlte: die Seefahrt. Auch wenn der Solddienst einigen wenigen Aufsteigern zu Wohlstand und Ansehen verhalf, führte er keineswegs zu einer Umverteilung der Güter. Im Ganzen gesehen verschärfte er sogar die sozialen Spannungen: Am stärksten profitierten, wie gesehen, die Angehörigen der führenden Familien.
Für die konservative Geschichtsschreibung des frühen 20. Jahrhunderts stellten die Fremden Dienste noch eine ruhmreiche Tradition dar. Im Monumentalwerk Honneur et fidélité feierte der Waadtländer Militärhistoriker Paul de Vallière den Mythos aufopfernder Treue, verkörpert beispielsweise im Widerstand der königlichen Garde in Paris beim Volkssturm auf die Tuilerien. Damals, am 10. August 1792, fanden um die tausend Schweizer Gardisten den Tod; sie verteidigten den leerstehenden Königspalast gegen eine aufgebrachte Volksmenge. Dreissig Jahre nach den Ereignissen weihte Luzern die Statue eines in eine Grotte geflüchteten sterbenden Löwen ein. Eine Inschrift feiert die Treue und Tapferkeit der Opfer; in den Sandstein gemeisselt finden sich weiter die Namen von 26 gefallenen Offizieren, während der gefallenen Soldaten mit einer Pauschalangabe gedacht wird.
Ein Monument im Stil des Löwendenkmals ist heute undenkbar geworden. Die moderne Forschung verortet das Schweizer Söldnertum im europaweiten Rahmen einer «Industrie der Gewalt», zu der auch die deutschen Landsknechte oder die Condottieri Italiens zählen. Aus dieser Sicht nahmen die bewaffneten eidgenössischen Gastarbeiter keineswegs eine Sonderstellung ein, sondern gehörten zu einem länderübergreifenden Markt der delegierten Kriegsführung, in dem sie sich gegen rivalisierende Anbieter zu behaupten hatten. So gesehen erscheinen die in Honneur et fidélité und anderswo verherrlichten Söldnerepisoden als vergebliche Versuche, dem blutigen Geschäft eine heroische Seite abzugewinnen. Aber weder beim Tuileriensturm noch beim Übergang über die Beresina handelte es sich um beispiellose Akte der Selbstaufgabe im Dienste eines höheren Ganzen; vielmehr kämpften hier Truppen in aussichtsloser Lage um das nackte Überleben. Mit diesem Dilemma hat wohl auch zu tun, dass die erzählende Literatur wie die darstellende Kunst der Schweiz das Thema «Söldnertum» aus den Augen verloren hat (siehe i Schweizer Söldner als Operettenheld), während noch im 19. Jahrhundert einige der populärsten Novellen Conrad Ferdinand Meyers vor dem Hintergrund der oberitalienischen Feldzüge spielten.
i Schweizer Söldner als Operettenheld. Einen internationalen Bühnenerfolg feiert die Figur des Schweizer Söldners in George Bernard Shaws 1894 uraufgeführter Komödie Helden (Originaltitel: Arms and the Man). Im Mittelpunkt steht Artilleriehauptmann Bluntschli, der im Dienst der serbischen Armee durch seine Ungeschicklichkeit für Turbulenzen sorgt. Oscar Straus taufte seine Operettenfassung des Stücks Der Pralinésoldat (1908), dies in Anspielung auf Bluntschlis Vorliebe für Schokolade.
In der Deutschschweizer Literatur wird das Söldnertum nur selten zum Thema – am eindrücklichsten bei Conrad Ferdinand Meyer in seiner Novelle Das Amulett. In Pankraz der Schmoller lässt Gottfried Keller seinen Protagonisten als Söldner bei der Ostindischen Kompanie anheuern, wo aus dem verzogenen Burschen ein verantwortungsbewusster Offizier wird. Autobiografischer Natur ist die Lebensgeschichte des Toggenburger Bauern Ulrich Bräker, der ausführlich seine Erlebnisse als Infanterist der preussischen Armee mitsamt seiner Fahnenflucht nach der Schlacht bei Lobositz (1756) schildert. Internationale Beachtung fand L’histoire du soldat des Waadtländer Dichters Charles-Ferdinand Ramuz – ein Bühnenwerk rund um einen fahnenflüchtigen Söldner, zu dem der russische Komponist Igor Strawinsky die Musik schuf.
In der bildenden Kunst nehmen Ferdinand Hodlers Marignano–Fresken (1909 vollendet) eine Sonderstellung ein. Die realistische Schilderung einer Söldnertruppe nach verlorener Schlacht löste einen öffentlichen Skandal aus. Als Wandschmuck für den Waffensaal des Landesmuseums konzipiert, stiess sie auf den Widerstand patriotisch gesinnter Bürger: Weshalb eine Niederlage festhalten, wo die Geschichte des Landes so reich an gewonnenen Schlachten ist?
In einen Teufelskreis führte die befristete Emigration in manchen Agrarregionen. Zurückkehrende Söldner taten sich schwer mit der Arbeit auf dem väterlichen Bauerngut. «Der Bauer hatte den Zwilch mit dem Sammetwams vertauscht», formuliert der Militärhistoriker Hans Rudolf Kurz in blumigen Worten, «die redliche Arbeit auf der heimatlichen Scholle verlor für viele ihren Reiz.»
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