Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2021. Jürgen Thaler
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СКАЧАТЬ DENK: Aber Du hast Konstanz nicht verlassen!

      DAVID HENRY WILSON: Ja und nein! Unsere Anglistikstudent*innen mussten als Teil des Kurses einen Aufenthalt in einem englischsprechenden Land verbringen. Wir haben also mit der Uni Bristol ein einmaliges Schema organisiert. Kurz: Sie suchten einen Spezialisten, der Kurse für ihre deutschen Austauschstudent*innen halten könnte. Wir suchten eine englische Uni für unsere Student*innen. Die Lösung: Die Konstanzer Student*innen kamen nach Bristol, wo ich sie unterrichtete, und ich habe getrennte Kurse für die Nicht-Konstanzer gehalten. Bristol hatte also einen Spezialisten, der von Konstanz bezahlt wurde, und Konstanz hatte einfachen und fast grenzlosen Zugang zu einer der besten Universitäten in England! Aber ich musste auch anfangs viermal im Jahr, später zweimal, Intensiv-Kurse in Konstanz für meine Examenskandidat*innen halten, und dann mit denjenigen, die nicht nach Bristol kamen, einen Korrespondenzkurs. Das bedeutete natürlich viel Arbeit für mich, aber so blieb ich immer noch akademischer Oberrat an der Uni Konstanz! Und manchmal konnte die Familie mich nach Konstanz begleiten, wenn die Intensiv-Kurse während der Schulferien stattfanden.

      DOMINIK DENK: Genial! Aber zusätzlich zu Deiner Arbeit mit den Student*innen in Bristol und Konstanz warst Du mit dem Theater, der literarischen Zeitschrift, Deinen Übersetzungen für Iser und auch deiner eigenen Schriftstellerei beschäftigt!

      DAVID HENRY WILSON: Ja, das Unitheater habe ich 1976 aufgegeben, denn eine ganz wunderbare Regisseurin namens Tessa Theodorakopoulos kam nach Konstanz und war bereit es von mir zu übernehmen. Die Geschichte von UNIVERS hat ein trauriges Ende gehabt, denn die Leute, die sie in meiner Abwesenheit übernommen haben, hatten leider Ideen, die zu einem direkten Konflikt mit der Uni führten. Ich war inzwischen als Herausgeber zurückgtreten. Aber als Schriftsteller war ich immer aktiv! Ich weiß nicht, wie ich die Zeit fand, meine eigenen Theaterstücke, Romane und Kinderbücher zu schreiben, aber irgendwie hat es geklappt. Die Kinderbücher – vor allem die Serie über Jeremy James – waren sogar ganz erfolgreich, und ich hatte auch in den 1980er und 1990er Jahren viele professionelle Aufführungen meiner Theaterstücke. Aber all das wäre unmöglich ohne die Geduld, das Verständnis, die Tüchtigkeit und die Liebe von Lisbeth gewesen. Sie war das Herz der Familie, und ihr Herz schlägt immer noch in uns allen.

      DOMINIK DENK: Dein Familienleben war vielleicht Dein wichtigster Erfolg!

      DAVID HENRY WILSON: Unser wichtigster Erfolg! Und nicht „vielleicht“!

      DOMINIK DENK: Was machen Deine Kinder jetzt?

      DAVID HENRY WILSON: Chris (54) ist Lehrer in einem College of Further Education, schreibt brillante (aber noch nicht veröffentlichte) Erzählungen, hat früher zehn Jahre lang sein Brot als Bass-Gitarrist verdient, ist jetzt verheiratet und hat zwei Söhne (Zwillinge, viereinhalb Jahre alt). Sie wohnen alle in Clevedon – 40 Minuten weg von Taunton, wo ich wohne.

      Jenny (53) ist die beste Redakteurin der ganzen Welt, freiberuflich, unverheiratet, Personifizierung des Sonnenscheins, und wohnt in Bristol – 60 Minuten weg von Taunton.

      J.J. (52) schreibt Lehrbücher für „English as a foreign language“, die in 73 Ländern benutzt werden, schreibt auch Erzählungen und Romane (nach dem Erfolg von Damnificados – auch in deutschsprachiger Übersetzung erschienen – wird sein zweiter Roman Nazaré im Herbst erscheinen), ist verheiratet und hat einen Sohn (13 Jahre alt). Die Familie wohnt in New Mexico (seine Frau ist Professorin an der dortigen Uni) – X-Tausend Meilen weg von Taunton.

      DOMINIK DENK: Du bist im Jahr 2000 in den Ruhestand getreten. Was vermisst Du und wie nutzt Du diese Freiheit?

      DAVID HENRY WILSON: Ich vermisse vor allem den Kontakt mit den Student*innen, denn die Interaktion war ein ständiges Vergnügen, und trotz des Ernsts der Prüfungen, haben wir viel Spaß in den Kursen gehabt. Aber das Korrigieren vermisse ich gar nicht, und am Ende war das der Grund, weshalb ich frühzeitig in Ruhestand ging. Es war einfach zu viel. Ich hatte erwartet, dass ich mich dann dem Schreiben widmen würde, aber nein, komischerweise fühlte ich nicht mehr den Drang. Vielleicht hatte ich schon alles geschrieben, was ich schreiben wollte (über 50 abendfüllende Theaterstücke, noch mehr kurze Stücke, ungefähr zwölf Romane und 25 Kinderbücher). Stattdessen fing ich eine neue Karriere als vollzeitiger Übersetzer an. Nun habe ich zahllose Bücher in allerlei Genres übersetzt: akademische von Aleida und Jan Assmann, Reisebücher von Peter Sager, Kunst von Werner Hofmann, Romane, Gedichte, und vor allem Kinderbücher – Hunderte von Kinderbüchern! Zurzeit arbeite ich an einem wunderbaren Roman von Kirsten Boie ... und alles macht Spaß. Ich bin mit meiner neuen Karriere äußerst zufrieden!

      DOMINIK DENK: Jetzt schließen wir den Kreis. Nach all diesen Jahren am Bodensee, und nach all diesen Übersetzungen, wie kommt es, dass Du Franz Michael Felders Autobiografie übersetzt hast?

      DAVID HENRY WILSON: Durch einen wunderschönen Zufall. Seit Jahren habe ich eine Institution gesucht, die mein Archiv nehmen würde. Überall fand ich Institutionen, die ein Teil davon haben wollten: X für die Kinderbücher, Y für die Übersetzungen, Z für alles, was mit Wolfgang Iser zu tun hat. Aber nein, ich wollte mein Archiv nicht teilen. Ich bin ich, nicht i-c-h! Nun war einer der Schrifsteller im Autorenkreis an der Uni ein jetzt sehr bekannter Dichter namens Peter Salomon. Wir sind Freunde geworden, und wir korrespondieren miteinander. Ich habe eine Idee gehabt: „Peter, was machst du mit deinem Archiv?“ Und die Antwort kannst du schon erraten! Da ich insgesamt 33 Jahre lang in Konstanz tätig war und gedichtet habe, fühlte ich mich berechtigt, mich als Bodenseeautor vorzustellen! Und fast sofort bekam ich die Antwort: Ja, sie würden das ganze Archiv gern nehmen! Und jetzt haben sie es. Aber das ist natürlich nicht das Ende der Geschichte. Ich führte eine reizende Korrespondenz mit Jürgen Thaler, und als ich vor vier Jahren eine Reise mit der Familie nach Konstanz plante, war ein Besuch in Bregenz selbstverständlich ein Teil des Plans! So haben wir uns persönlich kennengelernt, und das war ein echter Höhepunkt der ganzen Reise. Jürgen hatte jahrelang davon geträumt, eine englische Ausgabe der Autobiografie zu veranstalten, und vielleicht wäre ich der Mann, der sie übersetzen könnte? Ich habe also das erste Kapitel gelesen und war von Anfang an gefesselt.

      DOMINIK DENK: Und jetzt halten wir das fertige Buch in Händen. David, ich danke Dir herzlich für die Chance, etwas dazu beizutragen – und selbstverständlich auch für das Gespräch!

      1 Anm. DD: Ich bringe trotzdem zwei Fußnoten bei! Aus einem „Kaiserjäger“ wurde kurzerhand ein „soldier“, weil den Leser*innen der englischen Übersetzung im Unterschied zu Felders Zeitgenoss*innen eher nicht bekannt sein dürfte, was ein Kaiserjäger war, und der genaue militärische Zusammenhang an der Stelle nicht von größter Bedeutung ist.

      2 Anm. DD: Hier passt vielleicht das Beispiel vom alten Mann, der dem jungen Felder „etwas Blaues von einem hölzernen Gliedeisen“ erzählt – in der Übersetzung erzählt er „another of his ridiculous fantasies“.

      WERNER NELL

      Literatur und Sozialreform auf dem Lande

      Als Gegenbild zum zeitgenössischen Verfall der Welt durch die Massenmedien hat uns in den 1980er Jahren der US-amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman (1931 – 2003) den amerikanischen Farmer vor Augen geführt. Noch im 19. Jahrhundert konnte er offensichtlich sein Feld bestellen und sich zugleich, so ist es zumindest in Postmans kulturkritischem Bestseller Wir amüsieren uns zu Tode von 1985 zu lesen, noch seiner philosophischen oder sonstigen Lektüre, zumal der Bibel, widmen.

      „Der Farmerjunge, der mit einem Buch in der Hand dem Pflug folgt, die Mutter, die ihrer Familie am Sonntagnachmittag etwas vorliest, der Kaufmann, der die Meldungen über die zuletzt eingelaufenen Clipper liest – sie waren andere Leser als die von heute. СКАЧАТЬ