Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2021. Jürgen Thaler
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СКАЧАТЬ Schwächen und Widersprüche. Er versucht nicht (oder selten), sich zu rechtfertigen: Seine Geschichte ist eine lange Suche nach der Wahrheit, der Gerechtigkeit, und einem Gleichgewicht für sich selbst und für die Menschheit im Allgemeinen. Es geht hoch, es geht tief, er lernt und vor allem er liebt. All das erfahre ich mit ihm. Und ich weiß, das was er geschrieben hat, ist in der wahren Welt passiert – es ist keine Fiktion. Die reine Tatsache, dass er den ersten Teil mit der Hochzeit beendet, finde ich fast unerträglich rührend, denn dieser gute Mann wollte uns etwas Positives am Ende schenken, obwohl das Tragische schon passiert war. Und wir wissen natürlich, dass er selbst kurz nach dem Schreiben gestorben ist, und so hat das Ende unseres Buchs noch eine Dimension der Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Die ganze wahre, rührende, gelegentlich sogar amüsante, romantische, realistische, deprimierende, erhebende, ichbezogene, selbstlose Geschichte ist unvergesslich. Das wäre vielleicht eine gute Zusammenfassung meiner Antwort auf Deine Frage: Was bedeuten Felder und seine Autobiografie für mich? Eine unvergessliche Erfahrung.

      DOMINIK DENK: Bist Du an diese Übersetzung anders herangegangen als an andere Werke?

      DAVID HENRY WILSON: Nein, denn bei mir handelt es sich immer darum, die genauen Absichten des Schriftstellers zu suchen, und dann so treu wie möglich diese Absichten zu erfüllen. (Selbstverständlich spielt dann die Subjektivität eine wichtige Rolle, und deshalb war Deine Sachkenntnis allwichtig, weil Felders Sprache und verschiedene Anspielungen manchmal für mich unverständlich waren. Ich will Dich nicht in Verlegenheit bringen, aber ohne Deine Beiträge wäre die Übersetzung gar nicht möglich gewesen.) Dieses Prinzip gilt natürlich für allerlei Bücher. Bei Felder war es von Anfang an klar, dass er seine Geschichte 100% ehrlich und offen erzählen wollte, auch wenn er sich selbst analysierte und kritisierte. Deshalb musste der Stil der Übersetzung genauso direkt und spontan wirken.

      DOMINIK DENK: Am Beginn unserer Zusammenarbeit musste ich Deinen Zugang zum Übersetzen erst verstehen, denn vieles, was ich zuerst als Fehler interpretiert hatte, war natürlich Absicht. Dein größtes Ziel schien mir immer, die Leser*innen so wenig wie möglich spüren zu lassen, dass sie gerade eine Übersetzung lesen.

      DAVID HENRY WILSON: Es ist meines Erachtens absolut notwendig, dass die Leser*innen den Text wie einen originalen englischen Text lesen können. Sobald die Sprache sie vom Inhalt ablenkt, ist die Übersetzung ein Misserfolg. Das ist aber nicht „das größte Ziel“. Es ist unentbehrlich, um das größte Ziel zu erreichen, denn es ist bestimmt nicht die Absicht des Autors, die Leser*innen vom Inhalt abzulenken! Das größte Ziel ist gerade NICHTS zu verlieren, aber ein englisches Äquivalent zum deutschen Text zu finden.

      DOMINIK DENK: Das ist aber nicht immer so einfach, und manchmal schier unmöglich. Auf erklärende Fußnoten hast Du aber dieses Mal verzichtet.

      DAVID HENRY WILSON: In einem rein akademischen Buch habe ich keine Hemmungen, Fuß- oder Endnoten einzubringen. Manchmal sind Akademiker*innen ganz stolz auf ihre Fußnoten, denn sie verbreitern die Kenntnisse der Leser*innen und zeigen auch, wie gründlich der Autor sein Thema erforscht hat (das meine ich nicht ironisch). Die Fußnoten sind dann keine Ablenkung, sondern eine Erweiterung. Dasselbe könnte auch für eine Biografie gelten, wenn es nur um Fakten geht. Aber wenn Du eine Geschichte erzählst, ist die Situation ganz anders, und Felder erzählt seine Geschichte. Wenn jemand spricht, ist es unhöflich zu unterbrechen, und jede Fußnote ist eine Unterbrechung. Deshalb wollte ich mit Deiner Hilfe subtile Erklärungen oder Vereinfachungen1 innerhalb des Textes einbringen oder, wenn irgendeine Anspielung völlig unverständlich war, dann lieber streichen als die Leser*innen vom allwichtigen Ziel des Satzes abzulenken2. Ich hoffe, dass wir gar nichts Unvollständiges im Text hinterlassen haben. Wenn die Leser*innen fragen, „Was soll das bedeuten?“, dann hab’ ich mich geirrt.

      DOMINIK DENK: Anstatt sich also mittels Fußnoten permanent beim Publikum dafür zu entschuldigen, versuchst Du einen Verlust an Bedeutung stillschweigend auszugleichen. Wie würdest Du denn deine Arbeitsweise beschreiben?

      DAVID HENRY WILSON: Ich mag das Wort „Verlust“ nicht, und selbstverständlich entschuldige ich mich nicht, denn ich soll ganz verschwinden! Das höchste Kompliment wäre, wenn man sagen würde: „Felders Buch ist ein Meisterwerk“, ohne zu wissen, dass der Text eine Übersetzung ist! Wie ich meine Arbeitsweise beschreiben würde? Hm! Ein ständiger Versuch, die Absichten des Autors „in perfect English“ zu erfüllen.

      DOMINIK DENK: Das gefällt mir sehr gut. Im Studium lernen wir, dass Übersetzen zwingend Interpretieren bedeutet, du musst also erst einmal deuten, was die Absichten des Autors waren, bevor du sie auf Englisch erfüllen kannst. Vielleicht hattest du einen Startvorteil, schließlich nennt man einen Dolmetscher auf Englisch einen „interpreter“. Wie bist Du überhaupt zum Übersetzen, zur deutschen Sprache gekommen?

      DAVID HENRY WILSON: Ich habe Deutsch und Französisch in Cambridge studiert und dann zwei Jahre als „assistant“ in Frankreich und vier Jahre als Lehrer (für Englisch und Französisch) in Ghana verbracht, bevor ich eine Lektorenstelle an der Uni Köln bekam. Und da habe ich Wolfgang Iser, den später berühmten „literary theorist“, kennengelernt. Eines Tages hat er mich gebeten, einen Aufsatz über Becketts Waiting for Godot zu übersetzen, und das war sozusagen der Anfang meiner Karriere als Übersetzer! Sein Stil war eigentlich schwer zu übersetzen, und im Text waren auch zwei oder drei Passagen, wo ich mit seiner Interpretation nicht einig war. Und daraus wuchsen schon die zwei Prinzipien: Das Englisch muss perfekt sein, und man übersetzt nicht die Worte, sondern die Gedanken des Autors. Wir haben alles diskutiert (er akzeptierte übrigens meine Interpretation!), bis wir beide mit dem neuen, englischen Text zufrieden waren. Es war eine fast einmalige und ideale Situation: Autor und Übersetzer sitzen zusammen, und dadurch hat der Übersetzer direkten Zugang zu den Gedanken des Autors (und in diesem Fall sogar die Möglichkeit, sie zu klären!), und der Autor kann die Sprache des Übersetzers ständig prüfen und sogar mitformulieren (sein Englisch war ausgezeichnet). Die Freundschaft und Zusammenarbeit dauerten über 40 Jahre, bis Wolfgang Iser 2007 gestorben ist.

      DOMINIK DENK: Wie Wolfgang Iser warst dann auch Du lange an der Uni Konstanz. Wie kam es dazu?

      DAVID HENRY WILSON: Als Wolfgang den Ruf nach Konstanz bekam, hat er ich mich eingeladen, ihn zu begleiten. Ich würde dann eine Beamtenstelle auf Lebenszeit (als akademischer Rat, später Oberrat) haben, und da die Uni Konstanz ganz neu war, würde die Arbeit gar nicht so anstrengend wie an der Massen-Uni Köln sein, wo ich Kurse für Hunderte von Student*innen halten musste! Das habe ich natürlich mit meiner lieben Frau Lisbeth diskutiert – wir hatten schon ein Kind und ein zweites war unterwegs – und sie sagte ja. Zufällig kannten wir schon die Gegend und die wunderschönen Landschaften des Bodensees, und das trug auch zur Entscheidung bei. Und so kam es, dass wir im Sommer 1967 nach Konstanz umgezogen sind.

      DOMINIK DENK: Und wie war es?

      DAVID HENRY WILSON: Herrlich! Die Uni war noch nicht gebaut! Kurse, Verwaltung usw. fanden zuerst im Insel-Hotel statt. Nur wenige Student*innen – anfangs hatte ich zwei Examenskandidaten (in Köln waren es über 50). Selbstverständlich hat sich alles schnell geändert, sobald die Gebäude fertig waren, aber trotzdem war es jahrelang eine relativ kleine Uni. Und damals war alles viel offener und freier als jetzt. 1970 habe ich das Universitätstheater gegründet (das 50. Jubiläum war letztes Jahr, aber leider musste man das Fest wegen Covid ausfallen lassen), und kurz darauf habe ich einen Autorenkreis etabliert, was zur Gründung einer literarischen Zeitschrift (UNIVERS) geführt hat. Wolfgang hat mich bei allen Unternehmen immer ständig unterstützt, und wir haben Finanzierung gekriegt. Inzwischen hielt ich natürlich meine Kurse für Sprache und Literatur, und ich habe ein besonderes Programm für das Trainieren der Examenskandidat*innen entwickelt. Aber 1972 haben wir trotzdem entschieden, Konstanz zu verlassen.

      DOMINIK DENK: Warum?

      DAVID HENRY WILSON: Meine Frau war übrigens Afrikanerin (sie ist leider vor acht Jahren gestorben). Die drei Kinder mussten СКАЧАТЬ