Название: Physikalische Chemie
Автор: Peter W. Atkins
Издательство: John Wiley & Sons Limited
Жанр: Химия
isbn: 9783527828326
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Herleitung 4.1: Die Phasenregel
Die Herleitung der Phasenregel kann am einfachsten verstanden werden, wenn wir uns zunächst auf die Betrachtung eines Systems beschränken, das nur eine einzelne Komponente enthält. Anschließend verallgemeinern wir die Betrachtung, indem wir das Ergebnis auf Systeme anwenden, die aus einer beliebigen Anzahl von Komponenten bestehen.
Schritt 1 Aufstellen der Phasenregel für ein Einkomponentensystem.
Wenn nur eine einzige Phase vorliegt, ist F = 2, und p und T können unabhängig voneinander variiert werden (zumindest über einen kleinen Bereich), ohne dass sich die Zahl der Phasen ändert. Für zwei Phasen α und β im Gleichgewicht ist P = 2. Wenn diese beiden Phasen bei gegebenen Werten von Druck und Temperatur im Gleichgewicht vorliegen, dann müssen ihre chemischen Potenziale identisch sein:
Diese Beziehung gibt einen Zusammenhang zwischen p und T wieder: wenn sich beispielsweise der Druck ändert, sind die Änderungen der chemischen Potenziale unterschiedlich; damit sie wieder identisch sind, muss sich auch die Temperatur ändern. Das bedeutet: Um das Gleichgewicht zwischen beiden Phasen aufrecht zu erhalten, kann nur eine der beiden Variablen unabhängig variiert werden, also ist F = 1.
Wenn drei Phasen eines Einkomponentensystems im Gleichgewicht vorliegen, müssen die chemischen Potenziale aller drei Phasen (α, β und γ) identisch sein:
In dieser Zeile stecken tatsächlich zwei Gleichungen, μ(α; p, T) = μ(β; p, T) und μ(β; p, T) = μ(γ; p, T), mit zwei Unbekannten: dem Druck und der Temperatur. Nur ein einziges Wertepaar (p, T) erfüllt daher dieses Gleichungssystem (ebenso wie das Gleichungssystem x + y = xy und 3x − y = xy als einzige Lösung das Wertepaar (x = 2, y = 2) besitzt.) Da dieses Wertepaar festgelegt ist, können wir schließen, dass keine Möglichkeit zur freien Variation der Variablen besteht; dies steht im Einklang mit F = 0.
Vier Phasen können in einem Einkomponentensystem nicht im Gleichgewicht vorliegen, weil in dem Gleichungssystem
drei Gleichungen für zwei Unbekannte (p und T) vorliegen und es daher keine Lösung besitzt (ähnlich wie das Gleichungssystem x + y = xy, 3x − y = xy und 4x − y = 2xy2).
Wir fassen zusammen: Für ein Einkomponentensystem (C = 1) haben wir gezeigt: F = 2 für P = 1; F = 1 für P = 2; und F = 0 für P = 3. Als Ergebnis können wir festhalten, dass für C = 1 allgemein gilt: F = 3 − P.
Schritt 2 Aufstellen der Phasenregel für Systeme mit einer beliebigen Anzahl von Komponenten.
Nun gehen wir zum allgemeinen Fall über. Zunächst zählen wir die intensiven Variablen (Zustandsgrößen, die nicht von der Größe des Systems abhängen): Mit dem Druck p und der Temperatur T sind wir bei 2. Die Zusammensetzung ist vollständig bestimmt, wenn der Molenbruch von (C − 1) Komponenten bekannt ist (es ist nicht erforderlich, alle Molenbrüche zu kennen, da durch x1 + x2 + … + xC = 1 einer der Molenbrüche festgelegt ist, wenn alle anderen bekannt sind). Wenn P Phasen vorliegen, gibt es somit insgesamt P(C − 1) Variablen für die Zusammensetzung. Die Gesamtzahl der intensiven Variablen ist damit P(C − 1) + 2.
Im Gleichgewicht hat das chemische Potenzial eines Stoffs J in jeder Phase denselben Wert:
Für jede Komponente J müssen demnach P − 1 Gleichungen erfüllt sein. Wenn die Anzahl der Komponenten C ist, ergeben sich insgesamt C(P − 1) Gleichungen. Durch jede wird die Anzahl der unabhängigen intensiven Variablen [ausgehend von P(C − 1) + 2] um 1 reduziert; damit ergibt sich für die Anzahl der Freiheitsgrade des Systems
Die rechte Seite der Gleichung lässt sich vereinfachen, sodass wir die Phasenregel in der Form erhalten, wie sie von J.W. Gibbs hergeleitet wurde:
In einem Einkomponentensystem (wie beispielsweise reinem Wasser) ist
(4.2)
Stehen zwei Phasen miteinander im Gleichgewicht, wird F = 1; das bedeutet, dass man bei festgelegter Temperatur den Druck nicht mehr frei wählen kann. (Bei gegebener Temperatur findet man einen ganz bestimmten Dampfdruck einer Flüssigkeit.) Das Gleichgewicht zweier Phasen entspricht demnach einer Linie im Phasendiagramm. Anstelle der Temperatur können wir auch den Druck frei wählen; das Phasengleichgewicht lässt sich dann aber nur bei einer bestimmten Temperatur realisieren. Jeder Phasenübergang, wie beispielsweise das Gefrieren, erfolgt bei vorgegebenem Druck bei einer ganz bestimmten Temperatur.
Befinden sich drei Phasen miteinander im Gleichgewicht, wird F = 0: Das System ist invariant, d. h. es besitzt keine Freiheitsgrade. Dieser Zustand wird nur bei einem bestimmten Temperatur/Druck‐Wertepaar erreicht, das für jeden Stoff charakteristisch ist; diesen Punkt kann man nicht beeinflussen. Das Gleichgewicht dreier Phasen entspricht einem Punkt im Phasendiagramm, dem Tripelpunkt. Da F nicht negativ werden kann, können in einem Einkomponentensystem niemals mehr als drei Phasen koexistieren. Eine Zusammenfassung all dieser Merkmale gibt Abb. 4.7; Sie sollten sie bei der folgenden Diskussion der Phasendiagramme dreier Reinstoffe stets im Hinterkopf behalten.
Abb. 4.7 Die typischen Bereiche eines Einkomponenten‐Phasendiagramms. Die Linien entsprechen Bedingungen, bei denen die beiden angrenzenden Phasen im Gleichgewicht stehen. Ein Punkt gibt die (eindeutigen) Bedingungen an, bei denen drei Phasen miteinander im Gleichgewicht stehen. Vier Phasen können nicht miteinander im Gleichgewicht stehen.
4.1.3 Drei typische Phasendiagramme
Im Folgenden werden wir die Bedeutung der verschiedenen Merkmale von Phasendiagrammen anhand der Beispiele Kohlendioxid, Wasser und Helium verdeutlichen.