Название: Physikalische Chemie
Автор: Peter W. Atkins
Издательство: John Wiley & Sons Limited
Жанр: Химия
isbn: 9783527828326
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Die Erkennung eines Phasenübergangs ist nicht immer so einfach wie bei einem Topf mit kochendem Wasser; hierfür wurden spezielle Methoden entwickelt. Eine davon ist die thermische Analyse, die sich die bei jedem Phasenübergang aufgenommene oder abgegebene Wärme zunutze macht. Ist der Phasenübergang exotherm, verrät er sich dadurch, dass die Temperatur einer Probe sich an einem bestimmten Punkt nicht verringert, obwohl der Probe Wärme entnommen wird (Abb. 4.2). Wenn der Phasenübergang hingegen endotherm ist, beobachtet man bei der Übergangstemperatur, dass sich die Temperatur der Probe trotz kontinuierlich zugeführter Wärme vorübergehend nicht mehr erhöht. Auch die dynamische Differenzialkalorimetrie (Abschn. 2.3) wird zur Erkennung von Phasenübergängen eingesetzt. Thermische Untersuchungsmethoden sind vor allem für fest/fest‐Übergänge wichtig, bei denen man allein durch Beobachtung der Probe nicht viel erkennen kann. Auch die Röntgenbeugung (Abschn. 15.2) kann häufig einen fest/fest‐Übergang verraten, da die beiden Phasen unterschiedliche Strukturen besitzen.
Abb. 4.2 Eine Abkühlungskurve bei konstantem Druck. Das Plateau entspricht der Zeit, während der das System sich nicht weiter abkühlt, weil ein exothermer Phasenübergang erster Ordnung (Erstarren) stattfindet. Anhand dieses Plateaus kann man TSm identifizieren, auch wenn der Übergang visuell nicht beobachtbar ist.
Wie immer müssen wir auch bei der Diskussion von Phasenübergängen sorgfältig zwischen der Thermodynamik und der Kinetik (der Geschwindigkeit) von Prozessen unterscheiden: Ein Übergang, der thermodynamisch freiwillig verlaufen sollte, kann sehr langsam vonstatten gehen und daher keine praktische Bedeutung besitzen. So ist bei normaler Temperatur und normalem Druck die molare Freie Enthalpie von Graphit niedriger als die von Diamant – aus thermodynamischer Sicht würde man erwarten, dass sich Diamant spontan in Graphit umwandelt. Dazu müsste sich allerdings die räumliche Anordnung der Kohlenstoffatome ändern; derartige Vorgänge laufen in Feststoffen unmessbar langsam ab (außer bei sehr hoher Temperatur). Es ist also eine kinetische und keine thermodynamische Frage, wie schnell sich ein Phasengleichgewicht einstellen kann. In Gasen und Flüssigkeiten beobachtet man hohe Geschwindigkeiten von Phasenübergängen, da die Moleküle viel beweglicher sind; in Festkörpern hingegen können thermodynamisch instabile Zustände sozusagen „eingefroren“ werden. Derartige thermodynamisch instabile Phasen, die nur existieren können, weil der Phasenübergang kinetisch gehemmt ist, nennt man metastabile Phasen. Ein Beispiel ist Diamant als die unter normalen Bedingungen metastabile Phase des Kohlenstoffs.
(c) Thermodynamische Kriterien für die Stabilität von Phasen
Die Grundlage unserer Diskussion bildet die Freie Enthalpie einer Substanz – genauer gesagt die molare Freie Enthalpie Gm, die sich im Laufe dieses Fokus und im folgenden Text als so wichtig erweisen wird, dass wir ihr einen besonderen Namen geben: das chemische Potenzial μ. Für reine Stoffe ist μ = Gm, d. h. „molare Freie Enthalpie“ und „chemisches Potenzial“ sind Synonyme. In Abschn. 5.1 werden wir jedoch eine allgemeinere Definition von μ kennenlernen und die weiter reichende Bedeutung dieser Größe besprechen. Die Bezeichnung „chemisches Potenzial“ lässt uns bereits erahnen, dass μ als Maß für die Möglichkeit einer Zustandsänderung der betreffenden Substanz in einem System gelten kann. In diesem Kapitel und in Fokus 5 konzentrieren wir uns dabei zunächst auf das Potenzial eines Stoffs, seinen physikalischen Zustand zu ändern. Die Rolle von μ bei chemischen Umwandlungen wird uns in Fokus 6 beschäftigen.
Unser Ausgangspunkt in dieser Diskussion ist eine Schlussfolgerung aus dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik (Abb. 4.3):
Im Gleichgewicht ist das chemische Potenzial eines Stoffs überall in der Probe gleich groß, unabhängig davon, wie viele Phasen koexistieren.
Um uns von der Richtigkeit dieser Aussage zu überzeugen, betrachten wir ein System, bei dem das chemische Potenzial an einem Ort μ1 und an einem anderen Ort μ2 beträgt; beide Positionen können in der gleichen oder in zwei verschiedenen Phasen liegen. Wird nun eine Stoffmenge dn vom ersten zum zweiten Ort transportiert, verringert sich die Freie Enthalpie des System um μ1 dn (wenn die Stoffmenge von Ort 1 entnommen wird; also ist dG = −Gm,1 dn) und nimmt um μ2 dn zu (wenn der Stoff an Ort 2 wieder zugeführt wird; also ist dG = Gm,2 dn). Die Gesamtänderung der Freien Enthalpie ist damit dG = (μ2 − μ1) dn. Wenn nun das chemische Potenzial am Ort 1 höher ist als an Ort 2, so nimmt G während des Gesamtprozesses ab; der Prozess verliefe also freiwillig. Ein Gleichgewicht liegt nur vor, wenn sich G bei einem derartigen Prozess nicht ändert, wenn also μ1 = μ2 ist.
Abb. 4.3 Wenn zwei oder mehr Phasen im Gleichgewicht stehen, ist das chemische Potenzial einer Substanz (bzw. in einer Mischung einer Komponente) in allen Phasen und an jedem Ort in jeder Phase gleich.
Illustration 4.3
Die molare Freie Standardbildungsenthalpie von Wasserdampf bei 298 K (25 °C) ist −229 kJ mol−1, und für flüssiges Wasser bei derselben Temperatur beträgt sie −237 kJ mol−1. Daraus ergibt sich, dass sich die Freie Enthalpie verringert, wenn Wasserdampf bei 298 K zu flüssigem Wasser kondensiert; aus diesem Grunde läuft die Kondensation bei dieser Temperatur (und einem Druck von 1 bar) freiwillig ab.
4.1.2 Phasengrenzen
Das Phasendiagramm eines Stoffs ist eine grafische Darstellung der Druck‐ und Temperaturbereiche, in denen die einzelnen Phasen thermodynamisch stabil sind (Abb. 4.4). Streng genommen können zwei beliebige intensive Variablen verwendet werden (z. B. Temperatur und Magnetfeld, in Abschn. 5.1 werden wir den Molenbruch als weitere Variante kennen lernen), aber im vorliegenden Fokus konzentrieren wir uns auf Druck und Temperatur. Die Bereiche werden durch Phasengrenzlinien (oder Koexistenzkurven) voneinander getrennt; diese repräsentieren Wertepaare (p, T), bei denen zwei Phasen miteinander im Gleichgewicht stehen und ihre chemischen Potenziale gleich sind. Eine einzelne Phase entspricht einer Fläche im Phasendiagramm.
Abb. 4.4 Eine allgemeine Darstellung der Gebiete, in denen gasförmige, flüssige und feste Phase am stabilsten sind (d. h., die geringste molare Freie Enthalpie bzw. das niedrigste chemische Potenzial aufweisen). Die feste Phase ist beispielsweise bei niedriger Temperatur und hohem СКАЧАТЬ