Alles ist beseelt. Ashley Curtis
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Alles ist beseelt - Ashley Curtis страница 8

Название: Alles ist beseelt

Автор: Ashley Curtis

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783905574043

isbn:

СКАЧАТЬ eines X.31

      Bei so viel Verschachtelung könnte einem Materie bei allen Schwächen fast noch lieber sein.

      •

      Berkeleys Problem war, dass er auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen wollte. Eigentlich sogar erst auf einer, dann auf noch einer und dann auf noch einer. Er wollte »Sein ist Wahrgenommenwerden«. Und er wollte, dass Objekte (wie der Baum oder der Sessel) fortwährend existieren. Und er wollte bestimmte Vorstellungen behalten, die er schon von Gott hatte.

      Dieses ganze verschachtelte System lässt sich stark vereinfachen, wenn wir zwei Ideen fusionieren. Die erste Idee lautet, dass »Materie«, wie wir gesehen haben, eigentlich bloß als Platzhalter für »nicht wahrgenommene Existenz« fungiert. Das Problem der Existenz, die niemand mitbekommt, löst der materielle Baum, weil das nun mal ist, was Materie tut. Sie ist da, ob’s einem gefällt oder nicht; sie ist da, egal ob irgendwer etwas mit ihr zu tun hat oder nicht. Aber wie wir auch gesehen haben, hat dieser Platzhalter keinen Inhalt. Ob Baum oder Sessel oder Atom, um mehr als eine leere Chiffre zu sein, benötigt es unsere Wahrnehmung, ob nun die echte oder die imaginierte. »Nicht wahrgenommene Existenz« und »Materie« laufen in Wirklichkeit auf dasselbe unstimmige Konzept hinaus – ein Konzept, das zwar nach einem Konzept klingt, weil wir Wörter dafür haben, aber eigentlich gar kein Konzept ist, weil diese Wörter leer sind. Ohne Wahrnehmung können wir kein Konzept von der Welt haben, obwohl wir uns hier ständig etwas vormachen – immer wenn wir glauben, Dinge bestünden aus Materie.

      Die zweite Fusion geschieht zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen. Eigentlich lautet Berkeleys Gleichung nicht »Sein ist Wahrgenommenwerden«, sondern: »Sein ist Wahrgenommenwerden (oder Wahrnehmen)«. Nicht nur der Baum existiert im Innenhof, wenn ein Student ihn ansieht – der Student existiert ebenso. (Berkeley bezeichnete den Baum als Vorstellung und den Studenten als Geist, meinte damit aber nichts anderes als eben das: etwas Wahrgenommenes und einen Wahrnehmenden.) Versuchen wir allerdings, den Wahrnehmenden oder das Wahrgenommene vom jeweils anderen abzugrenzen, landen wir am Ende wieder bei der Leere. Gibt es keinen Wahrnehmenden (den Studenten), gibt es auch nichts wahrzunehmen (den Baum), und somit kann der Baum nicht existieren. Aber dasselbe gilt für den Wahrnehmenden (den Studenten). Hat der Wahrnehmende keine Wahrnehmungen, ist er kein Wahrnehmender und existiert also auch nicht. Wahrnehmen und Wahrgenommenwerden ist wie ein Tanz – und, wie es Berkeleys irischer Landsmann William Butler Yeats in seinem Gedicht Unter Schulkindern ausdrückte: »Wo trennt man nur den Tänzer und den Tanz?«32 Wir können sie nicht voneinander trennen. Ohne einen Tänzer gibt es keinen Tanz; und ohne einen Tanz gibt es keinen Tänzer. Ohne einen Wahrnehmenden gibt es nichts Wahrgenommenes; und ohne das Wahrgenommene gibt es keinen Wahrnehmenden.

      Wenn Sie sich fragen, wer oder was Sie eigentlich sind, und dieses Ding ausfindig machen wollen, indem Sie all Ihre Sinneseindrücke, Gefühle, Gedanken, Glaubensvorstellungen, Fantasien, Erinnerungen, Überzeugungen abziehen – kurz gesagt alles, was Sie wahrnehmen –, um das »Ich« hinter all dem zu finden, bleibt Ihnen am Ende kein »Kern-Ich«, das all diese Dinge wahrnimmt. Es bleibt Ihnen gar nichts. Es bleibt nichts übrig. Selbst wenn Sie Ihre Augen schließen, ist Ihnen immer noch warm oder kalt, Sie fühlen sich wohl oder unwohl, hören alle möglichen Geräusche oder Ihren Herzschlag, Sie riechen die Luft oder schmecken den Speichel in Ihrem Mund. Sie können sich nicht von Ihren Wahrnehmungen lösen. Die Welt ist nicht losgelöst vom wahrnehmenden Subjekt – aber genauso wenig ist das wahrnehmende Subjekt losgelöst von der Welt.

      Fügen wir die beiden obigen Fusionen aneinander, können wir uns keine Welt ohne Wahrnehmung vorstellen und keine Wahrnehmung ohne Welt. Paradox ist das nur, solange wir darauf bestehen, die Welt als getrennt von uns selbst zu begreifen. Sind der Tänzer und der Tanz eins – der Wahrnehmende und das Wahrgenommene –, verschwindet das Paradox.

      •

      Ich denke, der spätere Bischof von Cloyne wollte auf ebendiesen Punkt hinaus, bis ihm Gott in die Quere kam. Aber er kam ganz nah ran. Berkeley sah klar die Absurdität und Leere der Vorstellung von Materie und der einer Existenz, die von Wahrnehmung getrennt ist – ihm zufolge handelt es sich um dieselbe Vorstellung. Er löste diese Absurdität mit einer Art universeller Wahrnehmung, die er Gott zuschrieb. Der Baum existiert fortwährend, weil Gott ihn fortwährend wahrnimmt, und esse est percipi.

      Es gibt noch eine andere Lösung für das Problem des Fortwährens, und obgleich Berkeley sie direkt vor der Nase hatte, sah er sie nicht.

      Esse est percipi (aut percipere) – Sein ist Wahrgenommenwerden (oder Wahrnehmen). Genau da steht’s, in der Klammer.

      Was wäre, wenn der Baum im Innenhof selbst wahrnähme? Was wäre, wenn der Baum, in Berkeleys Terminologie, ein Geist wäre?

      Bis vor nicht allzu langer Zeit wäre man für die Idee, Bäume nähmen wahr, auf dem universitären Innenhof ausgelacht worden – Gelehrte wollten nichts davon hören. Heute sehen Wissenschaftler das anders. Im Kapitel »Sein oder Nichtsein« schauen wir uns später an, was sie zu sagen haben. Fürs Erste reicht es, Folgendes anzumerken: Falls Bäume tatsächlich wahrnehmen, müsste es Berkeley nicht mehr »recht doof« finden, dass der Baum weiter im Raum stände, »selbst wenn niemand da wäre im Hof«. Schließlich wäre der Baum – ein Geist – dann selbst »im Hof«, und mehr brauchte es nicht.

      Wenn wir dächten, dass nicht nur Bäume, sondern auch Steine und Flüsse und Wolken Geister in Berkeleys Sinn seien – also wahrnehmend –, würden wir die Welt sehr anders empfinden. Es wäre eine Welt, wie sie der Homo sapiens während des Großteils seiner Vorgeschichte erfahren hat – also während weit über 90 Prozent der Zeit, die wir als Spezies existieren. Nach wie vor mit der Wildnis verbunden, erfahren viele indigene Völker diese Welt auch heute noch.

      Diese Sichtweise wird gemeinhin als Animismus bezeichnet. In der Regel nahm sie immer dann und dort ab, wenn Menschen sich vom Jagen und Sammeln ab- und der Landwirtschaft zuwandten, wo Pflanzen und Tiere von, in Yuval Hararis Worten33, »gleichberechtigten spirituellen Partnern« zu »stummen Besitzgütern« wurden. Systematisch verurteilt und ausgerottet wurde der Animismus in großen Teilen der Welt durch Berkeleys Religion, das Christentum, das der Natur innewohnende, nichtmenschliche Geister mit Heiligen ersetzte – Männer und Frauen, die nicht in Bäumen oder Flüssen lebten, sondern im Himmel. Oftmals ging die christliche Missionierung einher mit kolonialistischem Genozid und ökologischer Zerstörung durch einen Ressourcenabbau auf Land, das Europäer den ursprünglichen Bewohnern СКАЧАТЬ