Название: Alles ist beseelt
Автор: Ashley Curtis
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783905574043
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Aber was ist dann dieser materielle Sessel? Er ist nicht braun, weil er nicht gesehen oder imaginär gesehen wird. Er ist nicht fest oder weich gepolstert, weil er nicht berührt oder imaginär berührt wird. Er wiegt keine fünf Kilo, weil er nicht angehoben oder herumgeschoben wird, ob in der Realität oder in der Vorstellung. So seltsam es klingen mag, der materielle Sessel hat keine Eigenschaften.D
An dieser Stelle ruft normalerweise jemand: Moment mal. Der Sessel ist ja in Wirklichkeit eine Ansammlung von Atomen. Und das sei schließlich eine Eigenschaft. Selbst wenn niemand braun sehe oder fest oder weich gepolstert spüre oder sich vorstelle, irgendetwas herumzuschieben, seien die Atome ja da.
Aber leider, leider kann ich mit den Atomen dasselbe anstellen wie gerade mit dem Sessel. Atome sollen Dinge sein, die ein bestimmtes Gewicht haben, eine bestimmte Größe und bestimmte Eigenschaften, durch die sie andere Atome abstoßen oder anziehen. Doch selbst wenn ihr Gewicht sehr viel geringer ist als das eines Sessels, muss ich immer noch an Herumschieben oder Hochheben denken, um mir Gewicht überhaupt vorstellen zu können. Um mir Größe vorstellen zu können, muss ich mir Sehen vorstellen. Um mir Abstoßen oder Anziehen vorzustellen, muss ich mir vorstellen, einen Schub oder Zug zu spüren. Ohne mir diese Sinneseindrücke vorzustellen, sind »Größe«, »Gewicht« und »Anziehung« leere Wörter. Obwohl ich ein Atom also nie so direkt wie den Sessel wahrnehme, muss ich, damit das Wort »Atom« überhaupt eine Bedeutung hat, auf meine Sinneseindrücke zurückgreifen. Ziehe ich die Sinneseindrücke des Sehens, Fühlens und Schiebens von meiner Vorstellung eines Atoms ab, bleibt nichts von dieser Vorstellung übrig. Genau so, wie nichts vom Sessel übrig bleibt.
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Wenn wir also davon ausgehen, es gebe Materie – Stoff, dessen Existenz nicht davon abhängt, wahrgenommen zu werden –, dann hat diese Materie gar keine Eigenschaften. Aber zu sagen, Materie habe keine Eigenschaften, ist, als würde man sagen, das Wort sei eine leere Chiffre – es bezieht sich auf nichts. Warum, fragte Berkeley, sollten wir unser Verständnis dessen, was existiert, mit einem bedeutungslosen Begriff wie »Materie« verwechseln? Stattdessen schlug er vor: Esse est percipi (aut percipere). Oder verständlicher: Sein ist Wahrgenommenwerden (oder Wahrnehmen).
Dieses »Sein« ist genau das »Sein« unserer Träume und Halluzinationen. In ihnen machen wir oftmals Erfahrungen, die genauso real sind wie die im Wachzustand, aber wenn wir aufwachen, sehen wir uns nicht genötigt, auf einen bedeutungslosen Begriff (»Materie«) zurückzugreifen, um dem Ganzen Rückhalt zu verleihen. Und wenn wir in unseren Träumen keine Materie brauchen, um Dinge wahrzunehmen, warum sollten wir sie sonst irgendwo brauchen?
Aber nicht nur unsere Träume und Halluzinationen kommen großartig ohne Materie aus. In Computerspielen kann man ziemlich genau wie in unserer normalen Welt durch virtuelle Welten reisen. Wenn Sie mit Ihrem virtuellen Auto hundert Meter nach Westen fahren, dann nach Norden, dann nach Osten, dann nach Süden, landen Sie an demselben virtuellen Ort, an dem Sie losgefahren sind. Vielleicht ist es ein Platz mit einem hübschen Springbrunnen. Als sie westwärts vom Springbrunnen weggefahren sind, haben Sie aufgehört, ihn wahrzunehmen. Als Sie vom Norden her, dem letzten Abschnitt Ihrer Fahrt, wieder darauf zugesteuert sind, haben Sie ihn wieder wahrgenommen. Der Springbrunnen ist wie der Sessel in meinem Arbeitszimmer – etwas, das ich oder Sie zurückgelassen und nicht mehr wahrgenommen haben und zu dem wir dann zurückgekehrt sind und es wieder wahrgenommen haben.
Im Computerspiel gehen Sie nicht davon aus, dass ein materieller Springbrunnen an einem festen Ort geblieben war, während Sie herumgefahren sind. Sie akzeptieren, dass der Springbrunnen nicht fortwährend existiert hat; bestimmte Bedingungen haben bei Ihrer Rückkehr die Spiel-Software das Bild des Springbrunnens neu schaffen lassen. Der Springbrunnen im Computerspiel existiert nicht, wenn er nicht wahrgenommen wird.
Mit derselben Einbildung spielen die Matrix-Filme. Ist man eingestöpselt, navigiert man durch eine stimmige Welt, die wie unsere wirkt. In einer eindrücklichen Szene aus Matrix Reloaded gibt es ein saftiges Rindersteak und ein Stück Schokoladentorte, die die Figur des Merowingers in einem Restaurant isst, bevor er zum Sex auf die Toilette verschwindet. Steak und Torte sind überaus sinnlich (den Sex sehen wir nicht). Doch statt Materie liegt ihnen ein Computercode zugrunde. Die herrlichen Geschmäcker und Gefühle brauchen keine Materie, um zu existieren.
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Niemand glaubte Berkeley. Seine Philosophie ließ zahlreiche Limericks, Scherzgedichte, entstehen – immerhin war er Ire. Das Problem des Sessels, der im Arbeitszimmer weiterexistiert, wenn ich gerade in der Küche bin, erschien als das Problem eines Baumes, der im Innenhof einer Universität weiterexistiert, wenn alles schläft:
Einst meinte ein Jungphilosoph,
Gott müsse wohl denken: Recht doof!
Wenn er fände den Baum,
wie der stände im Raum,
selbst wenn niemand da wäre im Hof.
Berkeleys Schwäche war, dass er es selbst »recht doof« fand, dass der Baum nicht weiter im Innenhof der Universität existieren sollte – oder eben der Sessel im Arbeitszimmer. Seine Reaktion illustriert ein zweiter Limerick:
Werter Herr, Ihr Staunen wirkt toll,
im Innenhof bin ich, jawoll!
Drum steht auch der Baum
fortwährend im Raum,
erfasst von Gott, hochachtungsvoll.
Wie in seinem Traktat über Teerwasser kommt der Bischof am Ende auf Gott zu sprechen. Aber wie. Nicht nur glaubt Berkeley, esse est percipi sei selbsterklärend für jeden, der mal drüber nachdenke – er glaubt auch, dass darin ein klarer Beweis für die Existenz Gottes liege. Der Anfangsidee, der Baum im Innenhof der Universität müsse wahrgenommen werden, um zu existieren, fügt er hinzu, dass es absurd wäre, anzunehmen, der Baum schaue kurz im Dasein vorbei und verschwinde dann wieder, je nachdem, ob gerade Menschen den Hof beträten oder verließen. Sein Fazit? Etwas anderes als ein Mensch müsse den Baum wahrnehmen – und ihn fortwährend wahrnehmen, damit er fortwährend existieren könne. Und wer ist der einzige Kandidat, um den Baum immer wahrzunehmen? Gott natürlich. Der entsprechende Syllogismus, ein aus zwei Prämissen gezogener logischer Schluss, sieht dann wie folgt aus:
Esse est percipi. (Sein ist Wahrgenommenwerden.)
Der Baum existiert fortwährend.
Deshalb wird der Baum fortwährend wahrgenommen (und das einzige Wesen, das den Baum fortwährend wahrnehmen kann, ist Gott, und deshalb muss Gott den Baum fortwährend wahrnehmen, und deshalb existiert Gott).
Zugegebenermaßen ist das Fazit dieses Syllogismus ein bisschen verschachtelt. Aber es geht noch verschachtelter, etwa wenn man ein paar weitere von Berkeleys Ideen zu Gott unterbringen will, wie in diesem Versuch der Philosophin Lisa Downing (der Sie überzeugen könnte, auf keinen Fall hauptberuflich Philosoph zu werden):
Ein X existiert zur Zeit Z, falls, und nur falls, Gott einen Impuls hat, der einem Wollen entspricht, dass, falls ein finiter Verstand in Z sich in den richtigen Umständen befindet СКАЧАТЬ