Janowitz. Rolf Schneider
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Название: Janowitz

Автор: Rolf Schneider

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102654

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СКАЧАТЬ Verbindung zu Magda hatte mit inständigen Briefen begonnen, die sie ihm schrieb, adressiert an seinen Leipziger Verlag, der die Schreiben an ihn weiterreichte. Er antwortete ihr umgehend, die Korrespondenz wurde lebhaft, er nannte sie Benvenuta. Schließlich trafen sie sich, in einem Berliner Hotelzimmer, und kamen voneinander nicht los. Sie spielte für ihn, Beethoven, Bach, Scarlatti, er besuchte mit ihr die Prinzessin Marie von Thurn und Taxis, seine Gönnerin, der Magda offensichtlich gefiel, und wieder einmal fasste er den Plan, sich von Clara scheiden zu lassen, damit er Magda heiraten konnte. Benvenuta, liebes, liebes Herz – bist du nicht in Wahrheit meine jungfräuliche Mutter, mein Kind, mein liebes, liebes Mädchen? Du, mit deinem goldenen Panzer, an dem alles Unechte und Verdorbene zerschellen muss! Du wirst, du musst nicht anders können, Benvenuta, als diese reine Erhebung meines Gemütes zu dir, diese Andacht meiner Natur zu fühlen, wo du auch seist.

      Der Schmerz in seinem Unterkiefer war schwächer geworden, doch nicht gänzlich vergangen. Sollte er eine weitere Aspirin-Tablette schlucken? Er stellte sich vor den Spiegel, der über dem Lavoir hing, und besah sein Abbild. Der linke Unterkiefer war angeschwollen, die Schwellung war nicht auffällig, doch unübersehbar. Er musste etwas unternehmen. Er kannte einen Zahnarzt, dem er völlig vertraute, der aber in Berlin saß, und wie sollte er auf die Schnelle von Janowitz nach Berlin gelangen? Er verließ sein Zimmer, ging die Treppe hinab, suchte nach Sidonie und traf sie, sitzend in einem Korbsessel und vertieft in ein Buch. Wie zufällig verdeckte er das Kinn mit der Hand. So vertraute er sich Sidonie an. Die Angelegenheit war ihm peinlich.

      Sidonie nickte. Sie stand auf und ging, um zu telefonieren. Als sie zurückkam, sagte sie, dass sie einen Termin vereinbart habe.

      Sie setzte Rilke in ihr Automobil und brachte ihn nach Beneschau. Während der Fahrt dorthin kehrten die Schmerzen mit Heftigkeit zurück. Er betastete die Schwellung. Sie schien größer geworden, die Haut darüber fühlte sich taub an. Entstellte ihn die Schwellung? Machte sie ihn hässlich? Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, ich war schwer von Schweiß, und es kreiste ein betäubender Schmerz in mir, als ob in meinem Blute etwas zu Großes mittriebe, das die Adern ausdehnte, wohin es kam. So stand es in seinem Roman.

      Sidonie brachte ihn in die Praxis des Zahnarztes Václav Poláček, eines jungen Menschen mit breiten Schultern und muskulösen Armen. Rilke setzte sich in den Behandlungsstuhl und öffnete seinen Mund. Sidonie wartete in einem Nebenraum. Poláček injizierte ein Betäubungsmittel, dann warf er, als die Betäubung eingetreten war, seinen Bohrer an. Rilke schloss die Augen. Er vernahm das schreckliche Bohrgeräusch und fühlte es in seinem Schädel. Als er die Augen wieder öffnete, sah er nah über sich das großporige Gesicht des Arztes, der einen rötlichen Schnurrbart trug. An der Wand stand, auf einem Regal, eine Vase mit verblühenden Pfingstrosen, darüber hing ein Kruzifixus. War Poláček nicht vielmehr ein jüdischer Name? Waren die Eltern des Arztes vielleicht rechtzeitig konvertiert, dass sie ihr Kind nach dem heiligen Wenzel benennen konnten?

      Der Zahnarzt setzte den Bohrer ab. In fast akzentfreiem Deutsch sagte er, dass er Rilke eine Goldplombe einsetzen wolle. Die Rechnung dafür, wusste Rilke, würde Sidonie begleichen.

      Karl von Nádherný, von Angehörigen und Freunden Charlie gerufen, begab sich, als seine Schwester den Dichter Rilke in ihr Automobil gesetzt hatte, um ihn nach Beneschau zu fahren, in sein Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtisch häuften sich Unterlagen und Akten. Seine Aufgabe war es, sämtliche wirtschaftlichen Entscheidungen der Domäne zu fällen und zu überwachen, das betraf Äcker, Weiden, Gebäude, Teiche, Viehbesitz, Ernteerträge, Fischfänge, Einkäufe, Fahrzeuge, Maschinen, Pachten und Löhne. Sidonie war an Ökonomie nicht interessiert und verließ sich dabei völlig auf ihren Bruder. Nach dem Tode des Vaters hatte zunächst sein Bruder Johannes die Verwaltung übernommen. Charlie hatte ihm bloß dabei geholfen. Johannes hatte auch den Einfall gehabt, zusätzliches Land einschließlich zweier Siedlungen zu kaufen, bezahlt aus einer auf die Familie gekommenen Erbschaft. Die Nádhernýs rückten damit zu einem der größten agrarischen Unternehmer der Region auf.

      Johannes war tot. Er war der Liebling der Mutter gewesen, und ebenso hatte Sidonie sich entschiedener an Johannes angeschlossen als an ihn, Charlie, den das etwas kränkte und der sich auch sonst von der Familie zurückgesetzt fühlte.

      Johannes hatte sich vor einem Jahr umgebracht. Über seine Gründe wurde ungern gesprochen, meist war von Schwermut die Rede. Gesund war Johannes schon länger nicht gewesen, er war abgemagert, hatte sich eine schwere Gelenkverletzung zugezogen und war depressiv, doch zeigte er sich dann auch wieder überraschend fröhlich und genesen. In etlichen renommierten Sanatorien hatte er Kuren angetreten, die ihm zu helfen schienen.

      Johannes war liebenswürdig. Die Leute mochten ihn. Er war umfassend interessiert, las viel, besuchte Kunstausstellungen, sammelte Bilder und Möbel, an der Prager Universität hatte er Philosophie belegt. Die intime Beziehung zu seiner Schwester änderte sich, als Sidonie ihre wechselvolle Liebesbeziehung mit dem Kunstmaler Švabinsky begann, von der niemand erfahren sollte und von der die gesamte Familie gleichwohl wusste. Johannes seinerseits fasste eine leidenschaftliche Neigung zu Niny Mladota, seiner Jugendfreundin aus dem Nachbarschloss Červeny Hrádek, der er Liebesbriefe schrieb und die seine Gefühle leider nicht erwiderte. Er tröstete sich damit, dass er in Prager Bordellen verkehrte, wo er sich gleich zwei Krankheiten einfing, Gonorrhoe und Lues. Davon sollte niemand erfahren, und die gesamte Familie wusste es gleichwohl. Johannes ließ sich behandeln. Die Therapie schien anzuschlagen, aber dies war nicht von Dauer. Schwarz wie der Himmel stehe vor ihm die Welt, schrieb er in einer Notiz. Am 28. Mai 1913 nahm er sich in München das Leben.

      Sidonie war unterwegs, als es geschah. Sie hatte mit May-May, ihrer Vertrauten, eine längere Reise angetreten, nach Livorno, Neapel, Sizilien und schließlich, auf einem Schiff, nach Tunesien. Als der Selbstmord geschah, befand sie sich in Paris, wo die Frau des Schriftstellers Rilke eine Porträtbüste von ihr anfertigte. Die Nachricht vom Tod ihres geliebten Bruders, wusste Charlie, erschütterte sie zutiefst. Sie war verzweifelt. Sie gab sich eine Mitschuld, da sie sich zuletzt mit Johannes mehrmals gestritten hatte. Rilke wusste sie aufs Einfühlsamste zu trösten, mit langen Briefen, die sie Charlie zu lesen gab, schon weil darin regelmäßig Grüße an ihn standen. Rilke schickte immer wieder Briefe nach Janowitz.

      Er, Charlie, hatte den sonderbaren Dichter eigentlich gern. Die von ihm gemachten Verse verstand er nicht, aber der Mensch gefiel ihm, und die Eigentümlichkeiten, die Rilke an den Tag legte, fand er putzig. Rilke machte seiner Schwester den Hof, was ihr guttat, da sie es zu genießen schien, immer waren es abwechslungsreiche Tage und Abende, wenn Rilke, wie eben jetzt wieder, sich in Janowitz zu Besuch aufhielt. Auch sonst sorgte Sidonie dafür, dass Gäste kamen, es gab Gespräche, es gab Musik, sie spielte auf dem Flügel, Stücke von Frédéric Chopin, den sie sehr mochte.

      Draußen hielt ein Automobil. Offenbar waren Sidonie und Rilke aus Beneschau zurückgekehrt. Charlie verließ sein Arbeitszimmer. Es war, sah er dann, nicht Sidonies Wagen, der angekommen war, vielmehr ein anderes Fahrzeug. Der Mann, der ihm entstieg, war der Schriftsteller Karl Kraus aus Wien.

      Als er ausstieg, kam der Hund auf ihn zugelaufen, Bobby, Sidis Leonberger. Charlie rief das Tier zurück, Charlie reichte ihm die Hand und sagte, Sidonie sei noch unterwegs, sie bringe den Dichter Rilke zu einer Zahnbehandlung, nach Beneschau. Also gab es einen weiteren Gast in Janowitz. Kraus wusste, dass Sidi die Dichtungen Rainer Maria Rilkes schätzte, was er so hinnahm.

      Er entlohnte den Mietchauffeur, der ihn nach Janowitz gebracht hatte. Der Domestik Ludvik übernahm das Gepäck. Charlie geleitete ihn ins Schloss.

      Sidi kam kurz darauf. Kraus sah vom Fenster aus, wie sie vorfuhr. Der zierliche Mensch, der zusammen mit ihr dem Automobil entstieg, war der Dichter Rilke, den er flüchtig kannte, von einer Veranstaltung in Wien. Rilke hielt die linke Hand an der Wange, während er mit der rechten Sidonies bloßen Oberarm streichelte, was Kraus missfiel.

      Seine Begrüßung Sidonies СКАЧАТЬ