Janowitz. Rolf Schneider
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Название: Janowitz

Автор: Rolf Schneider

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102654

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СКАЧАТЬ sage ich dir den meinen. Rilke ist ein bedeutender Dichter. Seine Gedichte sind voller Empfindsamkeit und Wohlklang. Sie sind schön.

      Sollte dies das Einzige sein, worin wir bei Rilke unterschiedlicher Meinung sind, wäre ich es zufrieden.

      Er hat ein bedeutendes Publikum.

      Das habe ich auch.

      Beneidest du ihn um das seine?

      Nein. Das seine besteht aus verwöhnten Adelsdamen mit viel Geld. Er feiert sie samt ihren Schlössern, zum Lohn dürfen sie ihn aushalten.

      Du redest auch von mir?

      Ich rede von seinen anderen Blaublüterinnen. Manche sind etwas welk. Die von Thurn und Taxis zum Beispiel, ihre Sippe wurde vor dreihundert Jahren geadelt. Du bist bloß Freifrau und bist es erst anderthalb Jahrzehnte. Ich erwähne das, damit du weißt, welchen Rang du bei Rilke einnimmst.

      Mich interessiert nicht, welchen Rang ich bei ihm einnehme.

      Dann ist alles gut.

      Er erhob sich und zog seinen dunkelblauen Nachtmantel über. Die Bekleidung machte, dass der Stand seiner rechten Schulter weniger auffiel. Auf nackten Sohlen ging er zum Fenster und starrte hinaus. Im oberen Fensterrand, sah Sidonie, stand ein blanker Dreiviertelmond.

      Vor einem Jahr, sagte sie, ist mein Bruder Johannes gestorben. Du hast ihn nicht gekannt, Rilke kannte ihn. Er hat von dem Tod erfahren und hat mir umgehend geschrieben. Ich kann seinen Brief auswendig: Niemand, der weiß, was Unfassliches Ihnen widerfahren ist, kann versuchen, in Worten etwas von dem zu versichern, was er empfindet, mag ihm das Herz noch so deutlich und innig zureden.

      Das klingt verschroben. Findest du nicht?

      Nein.

      Begreif doch, dass dieser Mensch in Wahrheit immerfort bloß von sich selber redet.

      Sein Brief hat mich damals sehr getröstet.

      Rilke kennt immer nur sich.

      Darin unterscheidet er sich nicht besonders von Karl Kraus.

      Ich liebe dich, Sidi. Die Aufmerksamkeit, die du Rilke gibst, nimmst du mir fort.

      Komm endlich schlafen.

      Er drehte sich vom Fenster fort und sah sie an. Auf seinen Brillengläsern lag der Widerschein des Lichts ihrer Nachttischlampe. Er sagte:

      Lass uns heiraten, Sidi.

      Sie zuckte zusammen. Es war, als habe man ihr einen kleinen Stoß versetzt. Sie zerdrückte den Rest ihrer Zigarette in der Schale einer Jakobsmuschel. Einst waren solche Schalen das Erkennungszeichen von Pilgern gewesen, die ins galicische Santiago di Compostela zogen, zum Grab des heiligen Jakobus. Bedeutete ihre Profanierung der Muschel zum Aschenbecher ein willkürliches Sakrileg?

      Ich habe darüber nachgedacht, sagte Kraus. Ziemlich lange, und das ist das Ergebnis: Ich möchte dich heiraten, Sidi.

      Das ist dein Ernst?

      Mein völliger Ernst.

      Da das Halten wilder Tiere gesetzlich verboten ist und Haustiere dir kein Vergnügen machen, wolltest du lieber unverheiratet bleiben. So hast du geschrieben.

      Ich habe vieles geschrieben. Ich habe auch geschrieben, die Ehe sei eine Mesalliance.

      Ich erinnere mich.

      Man kann seine Meinung ändern. Ich habe die meine geändert. Weil ich dich kenne und seit ich dich kenne. Ich liebe dich, Sidi. Warum wollen wir nicht heiraten?

      Ich denke, mein Bruder Charlie wäre damit nicht einverstanden.

      Wir brauchen seine Einwilligung nicht.

      Das Gesetz schreibt es vor.

      Wir werden das Gesetz missachten.

      Das hätte üble Folgen. Charlie würde mir alle materielle Zuwendung sperren. Augenblicklich.

      Wir brauchen seine Zuwendung nicht. Außerdem dürfte er längst wissen, wie ich zu dir stehe.

      Ich fürchte, er weiß es nicht. Wir haben nie darüber geredet. Eine Ehe mit dir wäre in seinen Augen ein Missgriff. Er möchte mich standesgemäß verheiraten. Er ist stolz auf unseren Adelsrang.

      Der ist keine hundert Jahre alt.

      Trotzdem. Oder gerade deshalb.

      Er löste sich vom Fenster und kehrte zurück zu ihrem Bett. Er hockte sich neben sie und fasste ihre Hände.

      Du bist mir, sagte er, immer noch eine Antwort schuldig. Sidi.

      Ich weiß. Lass mich darüber nachdenken.

      Rilke sollte zum Zahnarzt Václav Poláček fahren. Diesmal würde ihn nicht Sidi chauffieren, vielmehr würde er jene Kutsche benutzen müssen, die ihn vom Bahnhof Beneschau abgeholt hatte. Es war ein trüber Tag, der Niederschlag bringen konnte. Das Gefährt besaß einen Regenschutz, der fürsorglich aufgespannt worden war.

      In der Kutsche würde seine Fahrt deutlich länger dauern als in Sidonies Automobil. Er trug Briefe bei sich, hellblaue Couverts, es war dies die von ihm bevorzugte Papierfarbe. Er würde die Sendungen in Beneschau aufgeben, da er vermeiden wollte, dass man in Schloss Janowitz von den Adressatinnen und dem Umfang seiner Korrespondenzen allzu viel erfuhr.

      Einer der Briefe ging an Prinzessin Marie von Thurn und Taxis. Darin schilderte er eingehend seinen augenblicklichen Seelenzustand und erwähnte dabei, wie nebenher, seine finanziellen Nöte. Er hoffte, es würde der Prinzessin eine entsprechende Zuwendung entlocken. Zusätzlich wollte er erfahren, ob Marie eine neue Séance veranstaltet und ein neues Medium gefunden habe. An einer von Maries spiritistischen Sitzungen hatte er teilgenommen, und der Verlauf hatte ihn sehr bewegt.

      Ein anderer Brief ging an Magda von Hattingberg. Die bestand nach wie vor auf einer raschen Wiederbegegnung, die er in ebenso höflichen wie kunstvollen Formulierungen abzulehnen wusste. Er spürte deutlich, dass er ihrer inzwischen etwas überdrüssig geworden war. Trotzdem ist alles gut, schrieb er ihr, war ich doch zutiefst in deiner Seele, in deinem Herzen, wie das Kind in der Mutter. Derart gedachte er sie zu trösten.

      Der dritte Brief ging an Loulou Albert-Lazard. Sie war eine seiner jüngeren Bekanntschaften, eine Frau mit überraschend freizügigen Ansichten hinsichtlich der körperlichen Liebe, darin nicht unähnlich ihrer Vornamensschwester Andreas-Salomé. Loulou wusste einige Gedichte von ihm auswendig und ließ ihn erkennen, dass sie ihn auch körperlich begehrte, was ihn ebenso faszinierte wie erschreckte. Sie selbst war verheiratet, mit einem sehr viel älteren Münchner Fabrikanten, der durch seine Erfindungen in Sachen Fotografie und den Handel damit ein Vermögen angehäuft hatte. Es kam seiner Frau zugute und war für Rilke ein zusätzliches Motiv des Interesses. Loulou hatte ein Kind, das bei Verwandten aufwuchs. Sie liebte die Unabhängigkeit, die Kunst, den Luxus, Frankreich und Rilke. Geboren war sie in Metz, als Tochter eines Bankiers, in München hatte sie Malerei studiert. Dass Du endlich gekommen bist, schrieb ihr Rilke. Bin ich nicht von jeher auf Dich zugegangen? Loulou war allerdings nicht nur nicht adelig, sie war außerdem Jüdin.

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