Janowitz. Rolf Schneider
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Название: Janowitz

Автор: Rolf Schneider

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102654

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СКАЧАТЬ erhielt. Ehe sie es hätte antreten können, starb sie, bloß dreiundzwanzig Jahre alt. Die Nachricht von ihrem Tod meldete »Die Fackel« mit einer Zuschrift des Schriftstellers Peter Altenberg, dessen Wortlaut Kraus gründlich überarbeitet hatte: Die schönste, genialste, sanfteste, kindlichste Frau, die wie ein Gnadengeschenk des Schicksals in diese hintrauernde Welt der Unvollkommenheiten gesendet ward, hat sterben müssen.

      Sie war seine erste große Liebespassion gewesen und eine tragische dazu. Er sollte sich noch lange daran klammern und einen förmlichen Kult betreiben. An ihrer Beisetzung auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg hatte kaum jemand teilgenommen. Ihren Leichnam ließ er später umbetten und ein prunkvolles Grabmal errichtet. Als Harden die Beziehung zwischen ihm und der Toten öffentlich als Roman verhöhnte, erwiderte er: Der lebende Harden sei in Wahrheit tot, während sein eigener Roman mit der Toten lebe und die Kraft habe, immer wieder aufzuleben, denn ich verdanke ihm mein Bestes.

      Er sah sie vor sich: eine schlanke Person, mit gelocktem Haar, mit der Andeutung eines Lächelns. Die Erinnerung an sie schmerzte, immer noch und immer wieder. Annie war seit dreizehn Jahren tot. Damals hatte er wochenlang nicht mehr arbeiten können und war, um sich abzulenken, nach Skandinavien gefahren, wo niemand ihn kannte und wo er niemanden kannte. Er kehrte dann zurück. Sein Verlagshaus hatte nicht mehr mit ihm gerechnet und brachte eine läppische Imitation der »Fackel« heraus, die bald scheiterte. Er suchte sich eine andere Druckerei und begann wieder zu schreiben.

      Er legte das alte Heft beiseite. Er trat ans Fenster und blickte hinaus. Der Tag war sonnig, im Himmel hingen bloß ein paar Schleierwolken. Auf der Straße fuhren Kutschen. Ein Paar ging vorüber, die Frau trug einen ausladenden Hut und hielt zusätzlich einen aufgespannten Sonnenschirm in der Hand. Dies erschien ihm übertrieben, und Übertriebenes erregte sein Misstrauen.

      Er war besessen von Sprache und besessen vom Schreiben. Er hasste gedruckte Phrasen und deren Urheber, er hasste verlogene Literatur. Der erste Text, mit dem er weithin bekannt wurde, erschien in einer Zeitung und verspottete die Literatenclique, die im Café Griensteidl am Michaelerplatz saß, bis es abgerissen wurde. Einer der dortigen Autoren, Felix Salten, der eigentlich Zsiga Salzmann hieß und der mit Kraus einmal befreundet gewesen war, fühlte sich durch den Text derart beleidigt, dass er Kraus auflauerte und verprügelte. Später, als »Die Fackel« erschien, würde es zu weiteren tätlichen Übergriffen auf deren Schöpfer kommen. Das Pamphlet über die Griensteidl-Literaten erschien außerdem als Broschüre, die mehrere Auflagen erfuhr.

      Er hasste Phrasen, und er liebte das Theater. Anfangs hatte er Schauspieler werden wollen und war auch in einer Inszenierung aufgetreten, die ein blamabler Misserfolg wurde. Von Bühne und Publikum mochte er gleichwohl nicht lassen. Er setzte sich in Theaterpremieren und schrieb darüber. Er probierte sich als öffentlicher Vorleser, von fremden Texten und von eigenen, die erste solche Veranstaltung unternahm er im Alter von achtzehn Jahren. Er las aus Arbeiten Gerhart Hauptmanns vor und aus Arbeiten Frank Wedekinds. Er liebte die Stücke des Possendichters Johann Nestroy und die Operetten des Komponisten Jacques Offenbach. Seine Abende waren immer ausverkauft.

      Soeben war er vierzig Jahre alt geworden. Wen sah er, wenn er sich im Spiegel betrachtete? Einen kleinen, etwas verwachsenen Brillenträger mit dunklen Haaren. Er hatte eine scharfe durchdringende Stimme, die auch singen konnte, öffentlich. Er war vielseitig. Er war fleißig. Seine »Fackel« wurde gekauft und gelesen. Er hatte ein paar enge Freunde und viele erbitterte Gegner, manche von ihnen ehemalige Freunde. Er bezog eine Rente aus dem elterlichen Vermögen, wirtschaftliche Probleme kannte er keine.

      Er sah, wie auf der Straße sein Automobil vorfuhr und hielt. Der Fahrer stieg aus und ging ins Haus, um das Gepäck zu holen. Kraus griff nach seinem Mantel. Er würde nach Janowitz fahren.

      Sie saß in ihrem Korbsessel neben dem Fenster. Sie sah zu, wie Sidonie, in Begleitung dieses Herrn Rilke, langsam in den vormittäglichen Parkgarten hineinging. Sie mochte den Dichter nicht. Sie hatte keinen Zugang zu seinen Versen, durch die andere, darunter Sidonie, in helle Verzückung versetzt werden konnten; es war auch, dass sie ihrerseits nicht genügend Deutsch verstand. Dabei lebte sie seit dreißig Jahren hier, doch sprach sie selbst jetzt immer noch mehr englisch als deutsch, so wie die Geschwister Nádherný miteinander mehr englisch als deutsch sprachen.

      Sie hatten das Englische bei ihr und von ihr gelernt. Vor fast vierzig Jahren war sie, vermittelt durch die Kirche, von Irland nach Böhmen gekommen, um sich der Nádherný-Kinder anzunehmen. Sie, Tochter eines armen Kleinfarmers aus Kildare, war von Nonnen erzogen worden, in einem Kloster, wo es streng und freudlos zuging, wo es kalt und feucht war, wo es nach Armut, Weihrauch und fauligen Kartoffeln roch. Wo Mädchen wie sie, waren sie alt genug, zu unentwegt schwangeren Ehefrauen, zu Novizinnen oder zu Krankenschwestern heranwuchsen.

      Da aber sie, die kleine Mary Cooney, sich als überdurchschnittlich begabt und anstellig erwies, erhielt sie das seltene Angebot, als Nurse in ein anderes katholisches Land zu gehen, nach Österreich.

      Sie beherrschte die dortige Sprache nicht. Sie würde die dortige Sprache lernen wollen. Als sie eintraf, erkannte sie, dass jener Teil Österreichs, in dem sie sich befand, gleich zwei Sprachen hatte, Deutsch und Tschechisch, so wie es auch dort, wo sie herkam, zwei Sprachen gab, Gälisch und Englisch. Das Deutsche würde sie mit der Zeit erlernen, wiewohl nicht sehr vollkommen. Das Tschechische verstand sie nur wenig.

      Sidonie und der Dichter, sah sie, entfernten sich. Die hohen Rhododendronbüsche verdeckten sie bald völlig. Mary hatte keine Kenntnis davon, wie lange der Dichter sich in Janowitz aufhalten würde, er war schon mehrfach Gast hier gewesen, einmal für mehrere Wochen.

      Als sie selbst damals in Prag eintraf, nach einem umständlichen Transport zunächst mit dem Schiff, danach mit der Eisenbahn, sprach sie bei der hochschwangeren Baronin Nádherný vor. Die Unterhaltung war bloß kurz, kaum eine Viertelstunde, der Baronin lag eine ausführliche Empfehlung vor. Die Baronin sprach über die anstehenden Arbeiten, ihr Englisch war nicht gut. Anschließend fuhren beide Frauen nach Janowitz.

      Mary war von ihrer neuen Umgebung überwältigt. Es gab keinen Hunger. Es gab keine Armut. Es gab warme Öfen und trockene Betten. Es gab Musik, die nicht bloß Orgelspiel und Choralgesang war. Gemeinsam mit der Baronin besuchte sie das sonntägliche Hochamt, die Predigten verstand sie anfangs nicht, die Liturgie war ihr vertraut von daheim, die Gebete konnte sie mitsprechen. An den Fronleichnamsprozessionen nahm sie, umgeben von tschechisch sprechenden Dörflern, ein Jahr ums andere teil, auch jetzt noch, wogegen sie die sonntäglichen Kirchgänge, seit die Baronin nicht mehr lebte, häufig ausfallen ließ. Sidonie und ihr Bruder Karl hielten wenig auf Religion.

      Das älteste Kind der Baronin war Johannes, ein reizender kleiner Junge, den sie, Mary, augenblicklich mochte. Sie sah ihn heranwachsen. Die Zwillinge kamen zur Welt und wuchsen heran. Baron Carl Ludwig Nádherný und Borutín, ihr Vater, ein eleganter, äußerst lebenslustiger Mensch und leidenschaftlicher Jäger, starb an einer Lungenentzündung, gerade sechsundvierzig Jahre alt. (Der Dorfklatsch wisperte was von Syphilis, eine Lüge!) Der Tod traf die Familie sehr. Die Baronin wurde unleidlich und flüchtete sich tiefer in die Religion. Hauslehrer kamen ins Schloss, um die Kinder zu unterrichten, später, als Halbwüchsige, besuchten die Brüder in Prag ein Adelsinternat. Sidonie wurde weiterhin in Janowitz unterrichtet.

      Sie, Mary, war dann eine Weile aus Janowitz fortgegangen. Den Kindern konnte sie nichts mehr beibringen, sie fühlte sich überflüssig, sie verstand sich nicht sehr gut mit der Baronin und wollte der Familie nicht zur Last fallen. Also ging sie nach Prag, wohnte in einer winzigen Dachkammer auf der Kleinseite und brachte anderen Kindern Englisch bei. Sie fühlte sich einsam. Die Stadt blieb ihr fremd. Einmal traf sie am Moldauufer Johannes, der an der Universität studierte, der sie lächelnd begrüßte und mit dem sie derart ins Gespräch kam. Er war es wohl, der dafür sorgte, dass die Baronin einen Brief verschickte des Inhalts, wenn Mary wolle, dürfe sie gerne nach Janowitz zurückkehren, welchem Angebot Mary umgehend Folge leistete.

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