Der Gottstehunsbei. Martin Arz
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Название: Der Gottstehunsbei

Автор: Martin Arz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783940839602

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СКАЧАТЬ hatte auf normalen Ratssitzungen nichts zu suchen. Ebenso wenig wie der Oberrichter. Der kam nur zu den Sitzungen, an denen der Stadtrat Todesurteile zu fällen hatte. Und aktuell stand kein derartiges Urteil an. Doch zu Tassilo Stubenruß’ Verwunderung saß am Tisch der Oberrichter Bartholomäus Fenggen, gemeinhin von allen Fenggenbartel genannt, was nur für Nichteingeweihte respektlos klang. Selbst die Fenggens nannten ihn untereinander so. Man musste die Fenggenbrüder im Gespräch irgendwie schnell unterscheiden können, also gabs den Fenggenbartel und den Fenggenmuck. Der Sohn vom Nepomuk war der Fenggenmathes. Der Bartel war deutlich jünger als der Nepomuk, fünfzehn Jahre trennten sie. Natürlich vermied Bartel jeglichen Blickkontakt mit seinem verhassten Bruder Nepomuk. Gelegentlich lugte er dem Schreiber, der das Protokoll führte, über die Schulter, ansonsten starrte er schweigend auf seine gefalteten Hände.

      Ein weiteres Dauerthema, das regelmäßig für erhitzte Diskussionen sorgte, war, wie man gegen nächtliches Rumoren energischer vorgehen könnte. Die Stadt war voll von Feier- und Saufwütigen, die die Nächte zum Tag machten und die redlichen Anwohner um den Schlaf brachten. Prinzipiell waren alle dafür, dass die Straßen sicherer werden sollten. Die Ratsherren Casper Tömlinger und Michel Astaler wehrten sich gegen schärfere Kontrollen in den Wirtshäusern, aber die waren Weinschenke und daher auf trinkfreudiges Publikum angewiesen. »Bei mir in der Schenke hat es noch nie, noch NIE! eine Schlägerei gegeben«, brachte Astaler empört vor. »Freilich, IN deiner Schenke nicht«, rief Urban Katzmair zur allgemeinen Erheiterung, »weil sich die Saubande nämlich VOR deiner Schenke schlägert und rumbrüllt wie nicht gescheit.« Der Rat Ulrich Ligsalz warf nicht ganz zu Unrecht ein, dass man halt den Wein nicht zu sehr mit irremachenden Kräutern würzen solle – wie beispielsweise mit Stechapfel oder Bilsenkraut. Das, so Ligsalz, solle man endlich mal verbieten. Dann, so warf Astaler ein, würde ja niemand mehr Wein trinken! Er würde sowieso nur Bilsenkraut in minimalsten Mengen beimischen und weder Stechapfel noch Tollkirsche kämen ihm in den Wein. Der Alkohol, so antwortete der Ligsalz, wäre schon Rausch genug, das würde reichen.

      Den Wenzel Pötzschner trieb eher die Frage um, wer denn die zusätzlichen Wachen bezahlen sollte, ganz ohne Abgabenerhöhung! Da tauchte der Bürgermeister Paul Wilprecht hinter den Massen des Bürgermeisters Hundertpfundt auf und rief, dass eine Abgabenerhöhung mit ihm als Bürgermeister und dem gesamten Äußeren Rat auf gar keinen Fall zu machen sei! Nie und nimmer! So wahr er hier stehe!

      Tassilo gab unter allgemeinem Nicken zu bedenken, dass der Stadthaushalt aktuell überstrapaziert sei. Die Erneuerung und Erweiterung der Stadtmauer, dann die letztjährigen Katastrophen – Brückeneinsturz und Stadtbrand –, dazu die zu erwartenden Ernteausfälle. Wenn man gerade jetzt mit Abgabenerhöhungen ankäme, könnte das die Münchner zu Aufständen verleiten. Und wozu solche Aufstände führten, das sei ja wohl besonders den älteren Herren nur zu bekannt.

      Immerhin einigte man sich auf den Unterpunkt, dass weiterhin jeder, der des Nachts auf den Straßen unterwegs war (aus welchen Gründen auch immer), ein Licht mit sich führen musste. Wer dagegen verstieß, durfte von jedermann in die städtische Schergenstube im Ratshauskeller geworfen werden.

      Bei der Frage, ob die Stadt in baldiger Zukunft den unverheirateten Männern ein offizielles Bordell zur Verfügung stellen sollte, flammte kurz ein Streit zwischen Veit Sendlinger und Melchior Pütrich auf. Die Sendlinger und die Pütrichs zählten zu den ältesten, einflussreichsten und grundsätzlich gegensätzliche Meinungen vertretenden Münchner Familien. Es war in den vergangenen Monaten wiederholt zu Übergriffen auf junge Mägde und zu Vergewaltigungen gekommen. Der greise, verschrumpelte Veit Sendlinger hatte zeitlebens wie ein Asket gelebt, was ihn nicht vor der Gicht bewahrt hatte. Dicht eingemummelt in Pelze, deren Wärme seine Krankheit lindern halfen, sah er hinfälliger aus, als er tatsächlich war. Ein fanatischer Betbruder vor dem Herrn, der überall Unzucht und Sodomie witterte. In Sachen Betbruder konnte es nur noch der Fenggenmuck mit ihm aufnehmen, doch der war geradezu liberal, was die Ansichten über Zwischengeschlechtliches anging. Die gichtigen Hände des Sendlinger schienen eh immer ineinander zum Gebet verknotet. Er forderte lautstark, dass die unverheirateten Männer sich gefälligst in keuscher Enthaltsamkeit üben sollten, das sei ja wohl nicht zu viel verlangt – hier überging er geflissentlich das nicht sonderlich unterdrückte Gelächter der anderen Herren. Und wer nicht hören wolle, dem solle man zur Strafe sein »Ding da« abhacken. Melchior Pütrich verwies darauf, dass der Mensch nun einmal von Geburt an sündhaft sei – daran sei bekanntlich das Weib an sich schuld, also das Urweib, die Eva, damals mit dem Apfel –, und betonte, dass das Bordell, das der Scharfrichter momentan in der Nähe seines Hauses betrieb, ohnehin unter schärfster städtischer Kontrolle stehe. Daher sei es nur ein kleiner Schritt, dieses »Frauenhaus« offiziell zu machen und dem Henker, der ohnehin von der Stadt bezahlt wurde, die Aufsicht über das liederliche Weibsvolk zu übertragen. Man sollte, warf da der Rat Lorentz Tulbeck ein, zu diesem delikaten Thema auch die Kirche anhören, speziell den Fürstbischof von Freising. Der Sendlinger nickte beifällig, mehrere andere, darunter Tassilo Stubenruß, verdrehten genervt die Augen. Was der Fürstbischof zu dem Thema sagen würde, sofern man ihn mal von seiner Geliebten runterbekam, war eh klar. Also könnte man das auch gleich lassen. Die Abstimmung wurde vertagt.

      Die Sache mit dem kleinwüchsigen Taschendieb, den Tassilo am östlichen Brückenkopf hatte festnehmen lassen, behandelte der Rat zuletzt. Diesmal mischte sich der Oberrichter Fenggen ein. Man ließ den Dieb aus dem Kerker holen. Er beteuerte seine Unschuld und bettelte um Vergebung. Tassilo berichtete, was er beobachtet hatte. Es dauerte keine fünf Minuten, da waren sich Stadtrat und Oberrichter einig, dass man den frechen Kerl am nächsten Morgen beim ersten Hahnenschrei vor das Sendlinger Tor führen sollte. Dort bestrafte man kleinere Vergehen durch Auspeitschen, Brandmarken oder Gliedmaßen abhacken. Kurz stand im Raum, dass man dem Verbrecher beide Hände abhacken sollte. Doch der Oberrichter legte aufgrund der recht geringen gestohlenen Summe fest, dass man sich mit der rechten begnügen würde. Danach würde man den Delinquenten durch richterliche Schergen mit Knüppeln aus dem Stadtgebiet rausprügeln lassen, das er im Übrigen für mindestens zwölf Monate nicht mehr betreten dürfe. Wie alle Städte endete München nicht an seinen Mauern. Es gehörte immer noch Umland zum Stadtgebiet, das man Burgfrieden nannte. Vom Sendlinger Tor aus hatte der Verurteilte gute Chancen, die Grenze zu Sendling nahe der Brudermühle zu erreichen, wenn er den Verlust seiner Hand sofort ausblendete und schnell genug vor den Bütteln mit ihren Prügeln davonrannte. Das Übliche eben. Alle waren zufrieden, lobten die Milde des Richters als gottgefällig, und selbst der Verurteile wimmerte »Danke, die Herrn, danke«, als man ihn zurück in die Zelle brachte.

      Als sich der Rat auflöste, die Herren in ihre hochhackigen Holztrippen schlüpften und deren Lederriemen festzurrten, um sich draußen im Matsch nicht die feinen Schuhe zu versauen, und Tassilo seine Sachen zusammenpackte, traten die beiden Bürgermeister an ihn heran. »Mit Verlaub, Herr Tassilo«, sagte Seitz Hundertpfundt. »Wir hätten Euch gerne noch etwas gezeigt. Und etwas mit Euch besprochen.«

      Tassilo Stubenruß zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Mehr als »So?« fiel ihm nicht ein. Er sah von Hundertpfundt zu Wilprecht und von Wilprecht zu Hundertpfundt. Dann noch zum Oberrichter Fenggenbartel, denn der war zu seiner größten Verwunderung ebenfalls geblieben. Ebenso dessen Bruder, der Fenggenmuck. Sollte es mit seiner Bewerbung für die Meistersinger zu tun haben? Waren den hochnäsigen Stadtratskollegen die Meistersinger zu vulgär, weil sie sich nur aus Handwerkern und Zunftmeistern zusammensetzten?

      »Hört, meine Herren …«, begann Tassilo, kam aber nicht weiter.

      »Folgt uns bitte, mein Herr«, sagte Fenggenbartel. Es ging im Fackelschein hinab in den Kerker unter dem Rathaus, vorbei an den Zellen, vor denen sich drei städtische Wachmänner langweilten und in denen nur zwei Landstreicher, zwei Huren und ein Dieb hockten. Bis auf den Dieb würden morgen alle anderen zum Frondienst an der Stadtmauer geführt werden. Man ließ sich von einem Büttel die schwere, eisenbeschlagene Tür zu dem Raum aufschließen, in dem normalerweise nur die »peinlichen Verhöre« stattfanden, also mehr oder weniger raffinierte Verfahren der Schmerzbereitung zur Wahrheitsfindung eingesetzt wurden. In einer Ecke kauerte eine junge Magd, die in ihre Schürze СКАЧАТЬ