Der Gottstehunsbei. Martin Arz
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Название: Der Gottstehunsbei

Автор: Martin Arz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783940839602

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СКАЧАТЬ und ein Ei vom Kloster Scheyern abgekauften Feldern bei dem kleinen Dorf Haidhausen im Münchner Osten fand man hochwertigen Lehm, aus dem sich feinste Ziegel brennen ließen. Zunächst flache Ziegel, um Dächer zu decken, damit der Funkenflug unterbrochen wurde, und schließlich Backsteine, aus denen sich halbwegs feuerresistente Häuser bauen ließen. Die Stubenrußens betrieben selbst zehn Ziegelbrennöfen und pachteten dann dazu noch Ziegelgrund, den die Stadt erworben hatte, um jedem Bürger zu ermöglichen, zum Selbstkostenpreis günstiges Baumaterial zu erstehen. Alles, was sie über den Stadtbedarf hinaus produzierten, konnten die Stubenrußens frei verkaufen. Nun zählten sie zu den wichtigsten und einflussreichsten Familien Münchens. Was einen Sitz im Inneren Rat der Stadt mit sich brachte.

      Und diese Mitgliedschaft im Stadtrat erforderte, dass Tassilo Stubenruß mindestens einmal die Woche nach München zu einer Sitzung musste. So wie heute. Daher die dezente Kleidung. Genau in dem Moment, als er das Haus verließ, hörte der Regen auf. Tassilo nahm den eingefetteten Umhang aus gewalkter Wolle von den Schultern, er war sich sicher, hätte er keinen Umhang umgelegt, hätte es nicht aufgehört zu regnen. Dank seiner hölzernen Trippen beschmutzte er seine Lederschuhe nicht, während er sich mühte, würdevoll durch den rutschigen Matsch im Hof zu schreiten und dabei den sich suhlenden Schweinen auszuweichen.

      »Habt Ihr Euer Christophorus-Amulett dabei?«, rief ihm die Gurkenhemma nach.

      »Aber ich reite nur nach München, Hemma!«

      »Auch auf einem kurzen Weg lauern Gefahren, junger Herr. Ich zünde zur Sicherheit noch eine geweihte Kerze an, damit …« Was sie beim Zurückgehen ins Haus noch brummelte, hörte Tassilo nicht mehr. Vor dem Hoftor wartete sein Diener Christoffel mit dem gesattelten Pferd. Christoffel, von allen nur Stoffel genannt, saß bereits auf seinem Maultier und schob die Kapuze des Regenumhangs vom Kopf. Hinter ihm türmte sich das Gepäck. Man blieb nur eine Nacht weg, aber Tassilo gehörte zu den Menschen, die gerne gut ausgestattet unterwegs waren. Wer wusste schon, wie oft man sich im Laufe eines Tages umziehen musste.

      »Wenn der Herr kommt, lacht die Sonne!«, rief Stoffel fröhlich.

      »So gehört es sich auch«, antwortete Tassilo ebenso fröhlich. Er mochte den jungen Burschen, seit der vor siebzehn Jahren als ein kaum einige Tage altes Findelkind nachts vor die Tür der Stubenrußens gelegt worden war. Man hatte sich des Kindes mildtätig angenommen und im Haus aufgezogen. So wuchs der Bub gleichsam natürlich in seine Rolle als persönlicher Diener für Tassilo hinein. Für Tassilo war Stoffel fast wie ein jüngerer Bruder oder kleiner Neffe, aber nur fast, denn das Schicksal hatte ihnen völlig unterschiedliche Plätze in diesem Spiel namens Leben zugewiesen.

      Es gab dann doch immer wieder diesen Moment, in dem Tassilo den Landsitz auf dem Hochufer der Isar liebte. Wenn er wie jetzt auf seinem Pferd saß, über das weite Flusstal blickte und dort unten seine Stadt liegen sah. Von Westen schob lichtes Blau die Regenwolken hinweg. Münchens Kirchtürme und einige Hausdächer glitzerten im Sonnenlicht. Wie gewöhnlich ritt er nicht sofort über den gewundenen Weg den Hang hinunter ins Tal, sondern so lange als möglich oben an der Hangkante Richtung Norden, um den Blick zu genießen. Unten am Flussufer lag das Fischerdorf namens Au. Ein Ort, der in den letzten Jahren erheblichen Zuzug erlebt hatte, weil viele Menschen in der nahen Stadt Arbeit fanden, sich aber das teure Bürgerrecht nicht leisten konnten. Also wucherten die erbärmlichen Siedlungen der einfachen Lohnarbeiter an den Rändern der Dörfer rings um München. Auch damit müsste sich bald der Stadtrat beschäftigen, wusste Tassilo, mit diesen geschwürartig wachsenden Elendsquartieren.

      Die Isar führte schlieriges Hochwasser und mäanderte in vielen Seitenarmen durch das breite Tal. Flöße ritten gekonnt auf dem wilden Wasser zielstrebig auf die große Lände links und rechts der Brücke zu. Kräftige Knechte und bullige Zugpferde warteten auf das Anlanden und Entladen der Flöße. Eben kollidierten zwei Flöße beim Versuch, an Land zu kommen. Schon herrschte Gebrüll, die Schlägerei würde nicht lange auf sich warten lassen. Ein weiteres ewiges Thema im Rat: Die Flößerei an sich und im Speziellen die Halunken und Huren, die die beiden stetig wachsenden Häfen Münchens magisch anzogen.

      Schließlich gabelte sich der Weg kurz vor der Leprosenanstalt auf dem Gasteigberg. Vor dem Anstaltstor konnte man zwei Aussätzige hocken sehen, die hohen spitzen Hüte und die weiten schwarzen Mäntel, die sie tragen mussten, machten sie weithin sichtbar. Sie bettelten vorbeikommende Fuhrwerke an. Tassilo und sein Diener ritten links die engen Serpentinen des steilen Hügels hinunter zur Brücke am östlichen Isarufer. Ein paar halbwüchsige Burschen lungerten herum. Bäuerinnen warteten darauf, über die Brücke in die Stadt gelassen zu werden. Die drei Torwachen beschäftigten sich, den Weg blockierend, mit zwei Salzfuhrwerken, deren Lenkern und bewaffnetem Begleitschutz. Man diskutierte laut, die Fuhrleute schienen mehr als unglücklich und verängstigt, regelrecht in Panik.

      »He«, rief Stoffel laut. »Macht Platz für den Herrn!« Die Bäuerinnen stoben auseinander.

      »He, Burschen«, rief Stubenruß, nachdem sich die Wachen nicht bequemten, den Weg frei zu machen. »Was erlaubt ihr euch? Lasst uns gefälligst passieren. Und ihr Wachen lasst die Fuhrleute in Ruhe.«

      »Verzeiht, Herr«, antwortete einer der Wachen, ein Rothaariger mit nur noch zwei Zähnen im schiefen Maul. »Wir lassen die Fuhrleute doch in Ruhe …«

      »Das sieht mir nicht danach aus. Sind sie bleich und zittrig, oder nicht? Sie sehen verängstigt aus. Warum sollten sie das sein, wenn ihr Halunken sie nicht bedroht habt? Ich werde euch …«

      »Nein, Herr, so hört doch.« Der Rothaarige katzbuckelte.

      »Für wen fahrt ihr?«, fragte Tassilo die Kutscher und überhörte die Wache einfach.

      »Für den Fenggen, Herr«, antwortete der Fuhrknecht, der nicht ganz so verschreckt dreinblickte.

      »Den Nepomuk oder den Bartel?« Immerhin gab es zwei Fenggens, um die in München niemand herumkam. Nepomuk und Bartholomäus Fenggen. Brüder, dennoch oder gerade deshalb aufs Bitterste verfeindet. Die zanken sich wie die Fenggens, war in München bereits ein geflügeltes Wort geworden.

      »Den Fenggenmuck.«

      »Nun, Bursche«, Tassilo drehte sich wieder zum rothaarigen Wachmann. »Das könnte böse für dich enden, wenn du die Wagen des ehrenwerten Stadtrats Fenggen …«

      »So hört doch, Herr«, keuchte die Wache. »Die Fuhrleute sind nicht wegen uns so in Aufruhr. Sie haben berichtet, dass sie heute früh …«, er schluckte, »den Bilwis haben tanzen sehen!«

      »Den Bilwis?«, echote Tassilo. Erst die Gurkenhemma, nun die Fuhrleute. Sollte also doch etwas dran sein, dass der Getreidedämon die Felder heimsuchte? Die Halbwüchsigen und die wartenden Bäuerinnen drängten neugierig näher heran. »Ich habs dir doch gesagt«, raunte eine der anderen zu.

      »Oh nein, nicht der Bilwis«, meldete sich einer der Fuhrmänner mit kratziger Stimme zu Wort. Er bibberte wie ein Häschen vor dem Fuchs und war kreidebleich. »Das war mehr! Das war …«, er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und brüllte dann wie von Sinnen: »… der Gottstehunsbei selbst!« Er bekreuzigte sich dreifach. Zwei der Bäuerinnen gaben spitze Kiekser von sich. Alle wichen einen Schritt zurück. Alle zogen scharf die Luft ein oder hielten selbige an und bekreuzigten sich, denn wenn man den Namen des Teufels zu oft aussprach und nicht sofort ein klares Bekenntnis zu Christus nachschob, konnte der Leibhaftige sich herbeigerufen fühlen. Alle machten es so, außer Tassilo. Es gehörte ein wenig mehr dazu, einen Stubenruß aus der Ruhe zu bringen.

      »Der Leibhaftige?« Wieder schrie eine der Frauen laut auf und murmelte Stoßgebete. Eine begann sich im Kreis zu drehen und zu einem Rhythmus, den nur sie hören konnte, mit den Füßen zu stampfen.

      Tassilo СКАЧАТЬ